Erstes Baendchen Vorrede zum ersten und zweiten Baendchen der ersten Auflage Mit den Taschenkalendern und Zeitschriften muessen die kleinen vermischten Werkchen so zunehmen - weil die Schriftsteller jene mit den besten Beitraegen zu unterstuetzen haben -, dass man am Ende kaum ein grosses mehr schreibt. Selber der Verfasser dieses Werks (obwohl noch manches grossen) ist in acht Zeitschriften und fuenf Kalendern ansaessig mit kleinen Niederlassungen und liegenden Gruenden. Dies frischte im Jahre 1804 in Jena die Voigtische Buchhandlung an, »kleine Schriften von Jean Paul Friedrich Richter«, ohne mich und ihr Gewissen zu fragen, in den zweiten Druck zu geben. Sie frischt wieder mich an, ihre kleinen Schriften von J. P., gleichfalls ohne zu fragen, hier ans Licht zu stellen. Gelassen lass' ich hier die Handlung ueber Nachdruck des Nachdrucks, ueber Nachverlag des Nachverlags schreien und mache mit diesem Suenden-Bekenntnis gern das Publikum zum heiligen Stroppinus, welcher der Beichtvater Christi ist.* Denn will Voigt klagen, dass ich ihm seinen Verlagartikel unbrauchbar gemacht und verdorben haette durch voellige Verbesserung und Umarbeitung desselben: so versetz' ich, dass nur ein Sechstel dieses Buchs aus jenem genommen ist. Das zweite Sechstel sammelte ich aus Zeitschriften, woraus er noch nichts von mir gesammelt. Das zweite und das dritte Drittel dieses Buchs sind ganz neu, naemlich Dr. Katzenbergers Badreise und Geschichte, so wie die Schluss-Polymeter; aber hierueber sei ein Beichtwort an den Leser vergoennt, wuerd' es ihm auch schwerer, zum zweiten Male der heilige Stroppinus zu sein. Und doch sind ueber das folgende leichter vergebende Beichtvaeter zu haben als Beichtmuetter. Es betrifft den Zynismus des Doktors Katzenberger. Es gibt aber viererlei Zynismen. Der erste ist der rohe in Betreff des Geschlechts, wie ihn Aristophanes, Rabelais, Fischart, ueberhaupt die alten, obwohl keuschen Deutschen und die aerzte haben. Dieser ist nicht sowohl gegen Sittlichkeit als gegen Geschmack und Zeit. Der zweite Zynismus, den die Vernunftlehre annimmt, ist der subtile der Franzosen, der, aehnlich dem subtilen Totschlag und Diebstahl der alten Gottesgelehrten, einen zarten subtilen Ehebruch abgibt; dieser glatte nattergiftige Zynismus, der schwarze Laster zu glaenzenden Suenden ausmalt und welcher, die Suende verdeckend und erweckend, nicht als Satiriker die spanischen Fliegen etwan zu Ableitschmerzen auflegt, sondern welcher als Verfuehrer die Kanthariden zu Untergangs-Reizen innerlich eingibt; dieser zweite Zynismus nimmt freilich, wie Kupfer, bei der Ausstellung in Freie bloss die Farbe des Gruens an, das aber vergiftet, indes der erste schwere, gleich Blei, zur schwarzen verwittert. Von dem zweiten Zynismus unterscheidet sich ueberhaupt der erste so vorteilhaft-sittlich, wie etwan (um undeutlicher zu sprechen) Epikurs Stall von der Sterkoranisten Stuhl, worin das Gottgewordne nicht Mensch wird; oder auch so wie boue de Paris (Lutetiae) oder caca du Dauphin von des griechischen Diogenes offizinellem album graecum verschieden ist. - Beinahe macht die Rechtfertigung sich selber noetig; ich eile daher zum dritten Zynismus, welcher bloss ueber natuerliche, aber geschlechtlose Dinge natuerlich spricht, wie jeder Arzt ebenfalls. Was kann aber hier die jetzt-deutsche Pruederie und Phrasen-Kleinstaedterei erwidern, wenn ich sage: dass ich bei den besten Franzosen (z. B. Voltaire) haeufig den cul, derrière und das pisser angetroffen, nicht zu gedenken der filles-à-douleur.? In der Tat ein Franzose sagt manches, ein Englaender gar noch mehr. Dennoch wollen wir Deutsche das an uns Deutschen nicht leiden, was wir an solchen Briten verzeihen und geniessen, als hier hintereinander gehen: Butler, Shakespeare, Swift, Pope, Sterne, Smollet, der kleinern wie Donne, Peter Pindars und anderer zu geschweigen. Aber nicht einmal noch hat ein Deutscher so viel gewagt als die sonst in Sitten, Sprechen, Geschlecht- und Gesellschaft-Punkten und in weisser Waesche so zart-bedenklichen Briten. Der reinliche, so wie keusche Swift drueckte eben aus Liebe fuer diese geistige und leibliche Reinheit die Patienten recht tief in sein satirisches Schlammbad. Seine Zweideutigkeiten gleichen unsern Kaffeebohnen, die nie aufgehen koennen, weil wir nur halbe haben. Aber wir altjuengferlichen Deutschen bleiben die seltsamste Verschmelzung von Kleinstaedterei und Weltbuergerschaft, die wir nur kennen. Man bessere uns! Nur ists schwer; wir vergeben leichter auslaendische Sonnenflecken als inlaendische Sonnenfackeln. Unser salvo titulo und unser salva venia halten wir stets als die zu- und abtreibenden Rede-Pole den Leuten entgegen. Der vierte (vielleicht der beste) Zynismus ist der meinige, zumal in der Katzenbergerschen Badgeschichte. Dies schliess' ich daraus, weil er bloss in der reinlichsten Ferne sich in die gedachten britischen Fussstapfen begibt und sich wenig erlaubt oder nichts, sondern immer den Grundsatz festhaelt, dass das Komische jene Annaeherung an die Zensur-Freiheiten der Arzneikunde verstatten verlange, verziere, welche hier, wie natuerlich, in der Badgeschichte eines Arztes nicht fehlen konnte. Schon Lessing hat in seinem Laokoon das Komisch-Ekle (das Ekel-Komische ist freilich etwas anderes) in Schutz genommen durch Gruende und durch Beispiele, z. B. aus des feinen Lord Chesterfield Stall- und Kuechenstueck einer hottentottischen Toilette. Genug davon! Damit mir aber der gute Leser nicht so sehr glaube: so versichere ich ausdruecklich, dass ich ihn mit der ganzen Einteilung von vier Zynismen gleichsam wie mit heilendem Vierraeuberessig bloss vorausbesprenge, um viel groessere Befuerchtungen vor Katzenberger zu erregen, als wirklich eintreffen, weil man damit am besten die eingetroffnen entschuldigt und verkleinert. Gebe der Himmel, dass ich mit diesen zwei Baendchen das Publikum ermuntere, mich zu recht vielen zu ermuntern. Baireuth, den 28. Mai 1808. Jean Paul Fr. Richter. Vorrede zur zweiten Auflage Die Badreise wurde 1807 und 1808 schon geschrieben und 1809 zuerst gelesen, in Jahren, wo das alte Deutschland das Blutbad seiner Kinder zu seiner staerkenden Verjuengung gebrauchte; indes wurde das Buch mitten in der schwuelen Kurzeit heiter ausgedacht und heiter aufgenommen. Die neue Auflage bringt unter andern Zusaetzen mehre neue Auftritte des guten Katzenbergers mit, welche ich eigentlich schon in der alten nicht haette vergessen sollen, weil ich durch diese Vergesslichkeit seinem Charakter manchen liebenswuerdigen Zug benommen. Was hingegen die Malerei des Ekels anlangt, an der einige keinen besondern Geschmack finden wollten, so ist sie ganz unveraendert geblieben. Denn wo sollte man aufhoeren wegzulassen? Die aerzte - und folglich starke Leser derselben wie ich - schauen im wissenschaftlichen aetherreich herab und unterscheiden durch ihre Vogelperspektive des untern Unrats sich ungemein von Hofdamen, die alles zu nahe nehmen. Und zweitens kommen denn nicht alle die verschiedenen Leser mit allen ihren verschiedenen Antipathien zum Buecherschreiber, so dass er ringsum von Leuten umstanden ist, deren jedem er etwas nicht schildern soll, dem einen nicht das Schneiden in Kork, dem andern nicht Abrauschen auf Atlas oder Glasklirren, dem dritten nicht (z. B. mir selber) das Abbeissen vom Papier, dem vierten vollends am wenigsten etwa Kreuzspinnen und so fort? - Wenn nun der vierte, wie z. B. der freundliche Tieck im »Phantasus«, mit einem wahren Abscheu gegen die Figur der Kanker dasteht, so muss ihm freilich erbaermlich werden, wenn er dem Dr. Katzenberger zusehen soll, wie dieser die Spinnen vor Liebe gar so leicht verschluckt als ein anderer Fliegen. Und doch koennte der Doktor immer die Seespinnen, die Krebse und die Austern und andere tafelfaehige Missgestalten fuer sich sprechen lassen und ueberhaupt nebenher die naturhistorische Bemerkung machen, dass die Tiere desto ungestaltet ausfallen, je naeher am Erdboden sie leben - so die chaotischen Anamorphosen und Kalibane des Meers und die Erdbohrer des Wurmreichs und die kriechende Insektenwelt - und dass hingegen - wie z. B. die letzte als fliegende und das schwebende Vogelreich und die hochaufgerichteten Tiere bis zum erhabnen Menschen hinauf beweisen - sich im Freien alles verschoenere und veredle. Der Hauptpunkt aber ist wohl dieser, dass das fluechtige Salz des Komischen manche Gegenstaende, die wie ketzerische Meinungen in uebelm Geruche stehen, so schnell zersetzt und verfluechtigt, dass der Empfindung gar keine Zeit zur Bekanntschaft mit ihnen gelassen wird. Da das Lachen alles in das kalte Reich des Verstandes hinueberspielt: so ist es (weit mehr noch als selber die Wissenschaft) das grosse Menstruum (Zersetz- und Niederschlagmittel) aller Empfindungen, sogar der waermsten; folglich auch der ekeln. - Freilich etwas ganz anderes waer' es gewesen, wenn ich im Punkte des Ekels den zarten Wieland zum Muster genommen haette und, wie er* auf einer Vignette, statt unseres Katzenbergers, dem ueber nichts uebel wird, einen Leser haette aufgestellt, der sich ueber den Doktor und das Gelesene oeffentlich erbricht. Aber zum Gluecke ist im ganzen Werke von allen Lesern kein einziger in Kupfer gestochen und kann also die andern auf dem Stuhle sesshaften nicht anstecken. Baireuth, den 16. Oktober 1822. Jean Paul Fr. Richter. * In der ersten Ausgabe seiner Beitraege zur geheimen Geschichte der Menschheit wurde eine Rede ueber den moralischen Anstoss, den der Leser an gewissen Behauptungen nehmen wuerde, mit einer Vignette beschlossen, die ihn mit der letzten Wirkung eines Brechpulvers darstellt. Erste Abteilung 1. Summula Anstalten zur Badreise. »Ein Gelehrter, der den ersten Juli mit seiner Tochter in seinem Wagen mit eignen Pferden ins Bad Maulbronn abreiset, wuenscht einige oder mehre Reisegesellschafter.« - Dieses liess der verwittibte ausuebende Arzt und anatomische Professor Katzenberger ins Wochenblatt setzen. Aber kein Mensch auf der ganzen Universitaet Pira (im Fuerstentume Zaeckingen) wollte mit ihm gern ein paar Tage unter Einem Kutschenhimmel leben; jeder hatte seine Gruende - und diese bestanden alle darin, dass niemand mit ihm wohlfeil fuhr als zuweilen ein hinten aufgesprungener Gassenjunge; gleichsam als waere der Doktor ein ansaessiger Postraeuber von innen, so sehr kelterte er muntere Reisegefaehrten durch Zu- und Vor- und Nachschuesse gewoehnlich dermassen aus, dass sie nachher als lebhafte Koepfe schwuren, auf einem Eilboten-Pferde wollten sie wohlfeiler angekommen sein und auf einer Krueppelfuhre geschwinder. Dass sich niemand als Wagen-Mitbelehnter meldete, war ihm als Mittelmanne herzlich einerlei, da er mit der Anzeige schon genug dadurch erreichte, dass mit ihm kein Bekannter von Rang umsonst mitfahren konnte. Er hatte naemlich eine besondere Kaelte gegen Leute von hoeherem oder seinem Range und lud sie deshalb hoechst ungern zu Diners, Goûters, Soupers ein und gab lieber keine; leichter besucht' er die ihrigen zur Strafe und ironisch; - denn er denke (sagte er) wohl von nichts gleichgueltiger als von Ehren-Gastereien, und er wolle ebenso gern à la Fourchette des Bajonetts gespeiset sein, als feurig wetteifern mit den Grossen seiner Stadt im Gastieren, und er lege das Tischtuch lieber auf den Katzentisch. Nur einmal - und dies aus halbem Scherz - gab er ein Goûter oder Dégoûter, indem er um 5 Uhr einer Gesellschaft seiner verstorbnen Frau seinen Tee einnoetigte, der Kamillen-Tee war. Man gebe ihm aber, sagte er, Lumpenpack, Aschenbroedel, Kotsassen, Soldaten auf Stelzfuessen: so wuesst' er, wem er gern zu geben habe; denn die Niedrigkeit und Armut sei eine hartnaeckige Krankheit, zu deren Heilung Jahre gehoeren, eine Toepfer- oder Topf-Kolik, ein nachlassender Puls, eine fallende und galoppierende Schwindsucht, ein taegliches Fieber; - venienti aber, sage man, currite morbo, d. h. man gehe doch dem herkommenden Lumpen entgegen und schenk' ihm einen Heller, das treueste Geld, das kein Fuerst sehr herabsetzen koenne. Bloss seine einzige Tochter Theoda, in der er ihres Feuers wegen als Vater und Witwer die vernachlaessigte Mutter nachliebte, regte er haeufig an, dass sie - um etwas Angenehmeres zu sehen als Professoren und Prosektoren - Teegesellschaften, und zwar die groessten, einlud. Er drang ihr aber nicht eher diese Freude auf, als bis er durch Wetterglas, Wetterfisch und Fussreisen sich voellig gewiss gemacht, dass es gegen Abend stuerme und giesse, so dass nachher nur die wenigen warmen Seelen kamen, die fahren konnten. Daher war Katzenbergers Einwilligen und Eingehen in einen Tee eine so untruegliche Prophezeiung des elenden Wetters als das Hinuntergehen des Laubfrosches ins Wasser. Auf diese Weise aber fuellte er das liebende Herz der Tochter aus; denn diese musste nun, nach dem naerrischen Kontrapunkt und Marschreglement der weiblichen Visitenwelt, von jeder einzelnen, die nicht gekommen war, zum Gutmachen wieder eingeladen werden; und so konnte sie oft ganz umsonst um sieben verschiedne Teetische herum sitzen, mit dem Strumpf in der Hand. Indes erriet die Tochter den Vater bald und machte daher ihr Herz lieber bloss mit ihrer innersten einzigen Freundin Bona satt. Auch fuer seine Person war Katzenberger kein Liebhaber von persoenlichem Umgang mit Gaesten: »Ich sehe eigentlich«, sagte er, niemand gern bei mir, und meine besten Freunde wissen es und koennen es bezeugen, dass wir uns oft in Jahren nicht sehen; denn wer hat Zeit? - Ich gewiss nicht.« Wie wenig er gleichwohl geizig war, erhellt daraus, dass er sich fuer zu freigebig ansah. Das wissenschaftliche Licht verkalkte naemlich seine edeln Metalle und aescherte sie zu Papiergeld ein; denn in die Buecherschraenke der aerzte, besonders der Zergliederer, mit ihren Foliobaenden und Kupferwerken leeren sich die Silberschraenke aus, und er fragte einmal aergerlich: »Warum kann das Pfarrer- und Poetenvolk allein fuer ein Lumpengeld sich sein gedrucktes Lumpenpapier einkaufen, das ich freilich kaum umsonst haben moechte?« - Wenn er vollends in schoenen Phantasien sich des Pastors Goeze Eingeweidewuermerkabinett ausmalte - und den himmlischen Abrahams-Schoss, auf dem er darin sitzen wuerde, wenn er ihn bezahlen koennte - und das ganze wissenschaftliche Arkadien in solchem Wurmkollegium, wovon er der Praesident waere -, so kannte er, nach dem Verzichtleisten auf eine solche zu teuere Brautkammer physio- und pathologischer Schluesse, nur ein noch schmerzlicheres und entschiedeneres, naemlich das Verzichtleisten auf des Berliner Walters Praeparaten-Kabinett, fuer ihn ein kostbarer himmlischer Abrahams-Tisch, worauf Seife, Pech, Quecksilber, oel und Terpentin und Weingeist in den feinsten Gefaessen von Gliedern aufgetragen wurden samt den besten trockensten Knochen dazu; was aber half dem anatomischen Manne alles traeumerische Denken an ein solches Feld der Auferstehung (Klopstockisch zu singen), das doch nur ein Koenig kaufen konnte? - Der Doktor hielt sich daher mit Recht fuer freigebig, da er, was er seinem Munde und fremdem Munde abdarbte, nicht bloss einem teuern Menschen-Kadaver und lebendigen Hunde zum Zerschneiden zuwandte, sondern sogar auch seiner eignen Tochter zum Erfreuen, so weit es ging. Diesesmal ging es nun mit ihr nach dem Badorte Maulbronn, wohin er aber reisete, nicht um sich - oder sie - zu baden, oder um da sich zu belustigen, sondern sein Reisezweck war die ... 2. Summula Reisezwecke. Katzenberger machte statt einer Lustreise eigentlich eine Geschaeftreise ins Bad, um da naemlich seinen Rezensenten betraechtlich auszupruegeln und ihn dabei mit Schmaehungen an der Ehre anzugreifen, naemlich den Brunnen-Arzt Strykius, der seine drei bekannten Meisterwerke - den Thesaurus Haematologiae, die de monstris epistola, den fasciculus exercitationum in rabiem caninam anatomico-medico-curiosarum*, - nicht nur in sieben Zeitungen, sondern auch in sieben Antworten oder Metakritiken auf seine Antikritiken ueberaus heruntergesetzt hatte. Indes trieb ihn nicht bloss die Herausgabe und kritische Rezension, die er von dem Rezensenten selber durch neue Lesarten und Verbesserung der falschen vermittelst des Auspruegelns veranstalten wollte, nach Maulbronn, sondern er wollte auch auf seinen vier Raedern einer Gevatterschaft entkommen, deren blosse Verheissung ihm schon Drohung war. Es stand die Niederkunft einer Freundin seiner Tochter vor der Tuere. Bisher hatte er hin und her versucht, sich mit dem Vater des Droh-Patchens (einem gewissen Mehlhorn) etwas zu ueberwerfen und zu zerfallen, ja sogar dessen guten Namen ein bisschen anzufechten, eben um nicht den seinigen am Taufsteine herleihen zu muessen. Allein es hatte ihm das Erbittern des gutmuetigen Zollers und Umgelders** Mehlhorn nicht besonders gluecken wollen, und er machte sich jede Minute auf eine warme Umhalsung gefasst, worin er die Gevatterarme nicht sehr von Fangkloben und Hummerscheren unterscheiden konnte. Man verueble dem Doktor aber doch nicht alles; erstlich hegte er einen wahren Abscheu vor allen Gevatterschaften ueberhaupt, nicht bloss der Ausgaben halber - was fuer ihn das Wenigste war, weil er das Wenigste gab -, sondern wegen der geldsuechtigen Willkuer, welche ja in Einem Tage zwanzig Mann stark von Kreissenden alles Standes ihn anpacken und aderlassend anzapfen konnte am Taufbecken. Zweitens konnt' er den einfaeltigen Aberglauben des Umgelders Mehlhorn nicht ertragen, geschweige bestaerken, welcher zu Theoda, da unter dem Abendmahl-Genuss gerade bei ihr der Kelch frisch eingefuellt wurde***, mehrmal listig-gut gesagt hatte: »So wollen wir doch sehen, geliebts Gott, meine Mademoiselle, ob die Sache eintrifft und Sie noch dieses Jahr zu Gevatter stehen; ich sage aber nicht bei wem.« - Und drittens wollte Katzenberger seine Tochter, deren Liebe er fast niemand goennte als sich, im Wagen den Tagopfern und Nachtwachen am kuenftigen Kindbette entfahren, von welchen die Freundin selber sie sonst, wie er wusste, nicht abbringen konnte. »Bin ich und sie aber abgeflogen«, dacht' er, »so ists doch etwas, und die Frau mag kreissen.« ------------------------------------------------------------------------ * Fuer Leserinnen nur ungefaehr uebersetzt: 1. ueber die Blutmachung, 2. ueber die Missgeburten, 3. ueber die Wasserscheu. ** So heissen in Pira, wie in einigen Reichsstaedten, Umgeld- und Zoll-Einnehmer. *** Nach dem Aberglauben wird der zu Gevatter gebeten, bei welchem der Priester den Kelch von neuen nachfuellt. 3. Summula Ein Reisegefaehrte. Wider alle Erwartung meldete sich am Vorabend der Abreise ein Fremder zur Mitbelehnschaft des Wagens. Waehrend der Doktor in seinem Missgeburten-Kabinette einiges abstaubte von ausgestopften Tierleichen, durch Raeuchern die Motten (die Teufel derselben) vertrieb und den Embryonen in ihren Glaeschen Spiritus zu trinken gab: trat ein fremder feingekleideter und feingesitteter Herr in die Wohnstube ein, nannte sich Herr von Niess und ueberreichte der Tochter des Doktors, nach der Frage, ob sie Theoda heisse, ein blaueingeschlagenes Briefchen an sie; es sei von seinem Freunde, dem Buehnen-Dichter Theudobach, sagte er. Das Maedchen entgluehte hochrot und riss zitternd mit dem Umschlag in den Brief hinein (die Liebe und der Hass zerreissen den Brief, so wie beide den Menschen verschlingen wollen) und durchlas hastig die Buchstaben, ohne ein anderes Wort daraus zu verstehen und zu behalten als den Namen Theudobach. Herr von Niess schaute unter ihrem Lesen scharf und ruhig auf ihrem geistreichen beweglichen Gesicht und in ihren braunen Feuer-Augen dem Entzuecken zu, das wie ein weinendes Laecheln aussah; einige Pockengruben legten dem beseelten und wie Fruehling-Buesche zart- und glaenzend-durchsichtigen Angesicht noch einige Reize zu, um welche der Doktor Jenner die kuenftigen Schoenen bringt. »Ich reise«, sagte der Edelmann darauf, »eben nach dem Badeorte, um da mit einer kleinen deklamierenden und musikalischen Akademie von einigen Schauspielen meines Freundes auf seine Ankunft selber vorzubereiten.« Sie blieb unter der schweren Freude kaum aufrecht; den zarten, nur an leichte Blueten gewohnten Zweig wollte fast das Fruchtgehaenge niederbrechen. Sie zuckte mit einer Bewegung nach Niessens Hand, als wollte sie die ueberbringerin solcher Schaetze kuessen, streckte ihre aber - heiss und rot ueber ihren, wie sie hoffte, unerratenen Fehlgriff - schnell nach der entfernten Tuere des Missgeburten-Kabinettes aus und sagte: »Da drin ist mein Vater, der sich freuen wird.« Er fuhr fort: er wuensche eben ihn mehr kennen zu lernen, da er dessen treffliche Werke, wiewohl als Laie, gelesen. Sie sprang nach der Tuere. »Sie hoerten mich nicht aus - sagte er laechelnd -. Da ich nun im Wochenblatte die schoene Moeglichkeit gelesen, zugleich mit einer Freundin meines Freundes und mit einem grossen Gelehrten zu reisen:« - Hier aber setzte sie ins Kabinett hinein und zog den raeuchernden Katzenberger mit einem ausgestopften Saebelschnaebler in der Hand ins Zimmer. Sie selber entlief ohne Schal ueber die Gasse, um ihrer schwangern Freundin Bona die schoenste Neuigkeit und den Abschied zu sagen. Sie musste aber jubeln und stuermen. Denn sie hatte vor einiger Zeit an den grossen Buehnendichter Theudobach - der bekanntlich mit Schiller und Kotzebue die drei deutschen Horatier ausmacht, die wir den drei tragischen Curiatiern Frankreichs und Griechenlands entgegensetzen - in der Kuehnheit des langen geistigen Liebetrankes der Jugendzeit unter ihrem Namen geschrieben, ohne Vater und Freundin zu fragen, und hatte ihm gleichsam in einem warmen Gewitterregen ihres Herzens alle Traenen und Blitze gezeigt, die er wie ein Sonnengott in ihr geschaffen und gesammelt hatte. Selig, wer bewundert und den unbekannten Gott schon auf der Erde als bekannten antrifft! - Im Briefchen hatte sie noch ueber ein umlaufendes Geruecht seiner Badreise nach Maulbronn gefragt und die seinige unter die Antriebe der ihrigen gesetzt. Alle ihre schoensten Wuensche hatte nun sein Blatt erfuellt. 4. Summula Bona. Bona - die Frau des Umgelders Mehlhorn - und Theoda blieben zwei Milchschwestern der Freundschaft, welche Katzenberger nicht auseinandertreiben konnte, er mochte an ihnen so viel scheidekuensteln, als er wollte. Theoda nun trug ihr brausendes Saitenspiel der Freude in die Abschiedsstunde zur Freundin; und reichte ihr Theudobachs Brief, zwang sie aber, zu gleicher Zeit dessen Inhalt durchzusehen und von ihr anzuhoeren. Bona suchte es zu vereinigen und blickte mehrmals zuhorchend zu ihr auf, sobald sie einige Zeilen gelesen: »So nimmst du gewiss einen recht frohen Abschied von hier?« sagte sie. »Den frohesten«, versetzte Theoda. - »Sei nur deine Ankunft auch so, du springfedriges Wesen! Bringe uns besonders dein beschnittenes aufgeworfnes Naeschen wieder zurueck und dein Backenrot! Aber dein deutsches Herz wird ewig franzoesisches Blut umtreiben«, sagte Bona. Theoda hatte eine Elsasserin zur Mutter gehabt. - »Schneie noch dicker in mein Wesenchen hinein!« sagte Theoda. »Ich tu' es schon, denn ich kenne dich«, fuhr jene fort. »Schon ein Mann ist im ganzen ein halber Schelm, ein abgefeinerter Mann vollends, ein Theaterschreiber aber ist gar ein fuenfviertels Dieb; dennoch wirst du, fuerchte ich, in Maulbronn vor deinem teuern Dichter mit deinem ganzen Herzen herausbrausen und -platzen und hundert ungestueme Dinge tun, nach denen freilich dein Vater nichts fragt, aber wohl ich.« »Wie, Bona, fuercht' ich denn den grossen Dichter nicht? Kaum ihn anzusehen, geschweige anzureden wag' ich!« sagte sie. »Vor Kotzebue wolltest du dich auch scheuen; und tatest doch dann keck und mausig«, sagte Bona. - »Ach, innerlich nicht«, versetzte sie. Allerdings naehern die Weiber sich hohen Haeuptern und grossen Koepfen - was keine Tautologie ist - mit einer weniger bloeden Verworrenheit als die Maenner; indes ist hier Schein in allen Ecken; ihre Bloedigkeit vor dem Gegenstande verkleidet sich in die gewoehnliche vor dem Geschlecht; - der Gegenstand der Verehrung findet selber etwas zu verehren vor sich - und muss sich zu zeigen suchen, wie die Frau sich zu decken; - und endlich bauet jede auf ihr Gesicht; »man kuesst manchem heiligen Vater den Pantoffel, unter den man ihn zuletzt selber bekommt«, kann die jede denken. »Und was waere es denn«, fuhr Theoda fort, »wenn ein dichtertolles Maedchen einem Herder oder Goethe oeffentlich auf einem Tanzsale um den Hals fiele?« - »Tu' es nur deinem Theudobach«, sagte Bona, »so weiss man endlich, wen du heiraten willst!« - »Jeden - versprech' ich dir -, der nachkommt; hab' ich nur einmal meinen maennlichen Gott gesehen und ein wenig angebetet: dann spring' ich gern nach Hause und verlobe mich in der Kirche mit seinem ersten besten Kuester oder Balgtreter und behalte jenen im Herzen, diesen am Halse.« Bona riet ihr, wenigstens den Herrn von Niess, wenn er mitfahre, unterwegs recht ueber seinen Freund Theudobach auszuhorchen, und bat sie noch einmal um weibliche Schleichtritte. Sie versprachs ihr und deshalb noch einen taeglichen Bericht ihrer Badreise dazu. Sie schien nach Hause zu trachten, um zu sehen, ob ihr Vater den Edelmann in seine Adoptionloge der Kutsche aufgenommen. Unter dem langen festen Kusse, wo Traenen aus den Augen beider Freundinnen drangen, fragte Bona: »Wann kommst du wieder?« - »Wenn du niederkommst. - Meine Kundschafter sind bestellt. - Dann laufe ich im Notfalle meinem Vater zu Fusse davon, um dich zu pflegen und zu warten. O, wie wollt' ich noch zehnmal froher reisen, waer' alles mit dir vorueber.« - »Dies ist leicht moeglich«, dachte Bona im andern Sinne und zwang sich sehr, die wehmuetigen Empfindungen einer Schwangern, die vielleicht zwei Todespforten entgegengeht, und die Gedanken: dies ist vielleicht der Abschied von allen Abschieden, hinter weinende Wuensche zurueckzustecken, um ihr das schoene Abendrot ihrer Freude nicht zu verfinstern. 5. Summula Herr von Niess. Wer war dieser ziemlich unbekannte Herr von Niess? Ich habe vor, noch vor dem Ende dieses Perioden den Leser zu ueberraschen durch die Nachricht, dass zwischen ihm und dem Dichter Theudobach, von welchem er das Briefchen mitgebracht, eine so innige Freundschaft bestand, dass sie beide nicht bloss Eine Seele in zwei Koerpern, sondern gar nur in Einem Koerper ausmachten, kurz Eine Person. Naemlich Niess hiess Niess, hatte aber als auftretender Buehnen-Dichter um seinen duennen Alltagnamen den Festnamen Theudobach wie einen Koenigmantel umgeworfen und war daher in vielen Gegenden Deutschlands weit mehr unter dem angenommenen Namen als unter dem eignen bekannt, so wie von dem hier schreibenden Verfasser vielleicht ganze Staedte, wenn nicht Weltteile, es nicht wissen, dass er sich Richter schreibt, obgleich es freilich auch andre gibt, die wieder seinen Parade-Namen nicht kennen. Gleichwohl gelangten alle Maedchenbriefe leicht unter der Aufschrift Theudobach an den Dichter Niess - bloss durch die Oberzeremonienmeister oder Hofmarschaelle der Autoren; man macht naemlich einen Umschlag an die Verleger. Nun hatte Niess als ein ueberall beruehmter Buehnen-Dichter sich laengst vorgesetzt, einen Badeort zu besuchen, als den schicklichsten Ort, den ein Autor voll Lorbeeren, der gern ein lebendiges Pantheon um sich auffuehrte, zu erwaehlen hat, besonders wegen des vornehmen Morgen-Trinkgelags und der Maskenfreiheiten und des Kongresses des Reichtums und der Bildung solcher oerter. Er erteilte dem Bade Maulbronn, das seine Stuecke jeden Sommer spielte, den Preis jenes Besuches; nur aber wollt' er, um seine Abenteuer pikanter und scherzhafter zu haben, allda inkognito unter seinem eignen Namen Niess anlangen, den Badegaesten eine musikalische deklamatorische Akademie von Theudobachs Stuecken geben; und dann gerade, wenn der saemtliche Hoerzirkel am Angelhaken der Bewunderung zappelte und schnalzte, sich unversehens langsam in die Hoehe richten und mit Ruehrung und Schamroete sagen: endlich muss mein Herz ueberfliessen und verraten, um zu danken; denn ich bin selbst der weit ueberschaetzte Theater-Dichter Theudobach, der es fuer unsittlich haelt, so aufrichtige aeusserungen, statt sie zu erwidern, an der Tuere der Anonymitaet bloss zu behorchen. Dies war sein leichter dramatischer Entwurf. In einigen Zeitungen veranlasste er deshalb noch den Artikel: der bekannte Theater-Dichter Theudobach werde, wie man vernehme, dieses Jahr das Bad Maulbronn gebrauchen. Da es gegen meine Absicht waere, wenn ich durch das Vorige ein zweideutiges Streiflicht auf den Dichter wuerfe: so verspreche ich hier foermlich, weiter unten den Lauf der Geschichte aufzuhalten, um auseinanderzusetzen, warum ein grosser Theater-Dichter viel leichter und gerechter ein grosser Narr wird als ein andrer Autor von Gewicht; wozu schon meine Beweise seines groessern Beifalls, hoff' ich, ausreichen sollen. Niess wusste also recht gut, was er war, naemlich eine Bravour-Arie in der dichterischen Sphaerenmusik, ein geistiger Kaisertee, wenn andere (z. B. viele unschuldige Leser dieses) nur braunen Tee vorstellen. Es ist ueberhaupt ein eignes Gefuehl, ein grosser Mann zu sein - ich berufe mich auf der Leser eignes - und den ganzen Tag in einem angebornen geistigen Cour- und Kuranzuge umherzulaufen; aber Niess hatte dieses Gefuehl noch staerker und feiner als einer. - Er konnte sein Haar nicht auskaemmen, ohne daran zu denken, welchen feurigen Kopf der Kamm (seinen Anbeterinnen vielleicht so kostbar als ein Gold-Kamm) regle, lichte, egge und beherrsche, und wie eben so manches Gold-Haar, um welches sich die Anbeterinnen fuer Haar-Ringe raufen wuerden, ganz gleichgueltig dem Kamm in Zaehnen stecken bleibe als sonst dem Mexiko das Gold. - Er konnte durch kein Stadttor einfahren, ohne es heimlich zu einem Triumphtor seiner selber und der Einwohner unter dem Schwibbogen auszubauen, weil er aus eigner jugendlicher Erfahrung noch gut wusste, wie sehr ein grosser Mann labe - und sah daher zuweilen dem Namen-Registrator des Tors stark ins Gesicht, wenn er gesagt: Theudobach, um zu merken, ob der Tropf jetzt ausser sich komme oder nicht. - Ja er konnte zuletzt in Hotels voll Gaeste schwer auf einem gewissen einsitzigen Orte sitzen, ohne zu bedenken, welches Eden vielleicht mancher mit ihm zugleich im Gasthofe uebernachtenden Juenglingseele, die noch jugendlich die Autor-Achtung uebertreibt, zuzuwenden waere, wenn sie sich darauf setzte und erfuehre, wer frueher da gewesen. »O, so gern will ich jeden Winkel heiligen zum gelobten Lande fuer Seelen, die etwas aus meiner machen - und mit jedem Stiefelabsatze auf dem schlimmsten Wege wie ein Heiliger verehrte Fussstapfen auspraegen auf meiner Lebensbahn, sobald ich nur weiss, dass ich Freude errege.« Sobald Niess Theodas Brief erhalten - worin die zufaellige Hochzeit der Namen Theoda und Theudobach ihn auf beiden Fusssohlen kitzelte -, so nahm er ohne weiteres mit einer Hand voll Extrapostgeld den Umweg ueber Pira, um der Anbeterin, wie ein homerischer Gott, in der anonymen Wolke zu erscheinen; und sobald er vollends in der vorletzten Station im Piraner Wochenblatte die Anzeige des Doktors gelesen: so war er noch mehr entschieden; dazu naemlich, dass sein Bedienter reiten und sein Wagen heimlich nachkommen sollte. In diesen weniger geld- als abgabenreichen Zeiten mag es vielleicht Niessen empfehlen, wenn ich drucken lasse, dass er Geld hatte und darnach nichts fragte, und dass er fuer seinen Kopf und fuer seine Koepfe ein Herz suchte, das durch Liebe und Wert ihn fuer alle jene bezahlte und belohnte. Mit dem ersten Blick hatte er den ganzen Doktor ausgegruendet, der mit schlauen grauen Blitz-Augen vor ihn trat, den Saebelschnaebler streichelnd; Niess legte - nach einer kurzen Anzeige seiner Person und seines Gesuchs - ein Roellchen Gold auf den Naehtisch mit dem Schwure: »Nur unter dieser Bedingung aller Auslagen nehm' er das Glueck an, einem der groessten Zergliederer gegenueber zu sein.« - »Fiat! Es gefaellt mir ganz, dass Sie rueckwaerts fahren, ohne zu vomieren; dazu bin ich verdorben durch die Jahre.« Der Doktor fuegte noch bei, dass er sich freue, mit dem Freunde eines beruehmten Dichters zu fahren, da er von jeher Dichter fleissig gelesen, obwohl mehr fuer physiologische und anatomische Zwecke und oft fast bloss zum Spasse ueber sie. »Es soll mir ueberhaupt lieb sein«, fuhr er fort, »wenn wir uns gegenseitig fassen und wie Salze einander neutralisieren. Leider hab' ich das Unglueck, dass ich, wenn ich im Wagen oder sonst jemand etwas sogenanntes Unangenehmes sage, fuer satirisch verschrien werde, als ob man nicht jedem ohne alle Satire das ins Gesicht sagen koennte, was er aus Dummheit ist. Indes gefaellt Ihnen der Vater nicht, so sitzt doch die Tochter da, naemlich meine, die nach keinem Manne fragt, nicht einmal nach dem Vater; misslingt der Winterbau, sagen die Wetterkundigen, so geraet der Sommerbau. Ich fands oft.« Dem Dichter Niess gefiel dieses akademische Petrefakt unendlich, und er wuenschte nur, der Mann trieb' es noch aerger, damit er ihn gar studieren und vermauern koennte in ein Possenspiel als komische Maske und Karyatide. »Vielleicht ist auch die Tochter zu verbrauchen in einem Trauerspiele«, dacht' er, als Theoda eintrat, die von nachweinender Liebe und von Jugendfrische glaenzte, und die durch die frohe Nachricht seiner Mitfahrt neue Strahlen bekam. Jetzo wollte er sich in ein interessantes Gespraech mit ihr verwickeln; aber der Doktor, dem die Aussicht auf einen Abendgast nicht heiter vorkam, schnitt es ab durch den Befehl, sie solle sein Kaestchen mit Pockengift, Fleischbruehtafeln und Zergliederungzeuge packen. »Wir brechen mit dem Tage auf«, sagte er, »und ich lege mich nach wenigen Stunden nieder. Sic vale!« Der Menschenkenner Niess entfernte sich mit dem eiligsten Gehorsam; er hatte sogleich heraus, dass er fuer den Doktor keine Gesellschaft sei - leichter dieser fuer ihn. Allerdings aeusserte Katzenberger gern einige Grobheit gegen Gaeste, bei denen nichts Gelehrtes zu holen war, und er gab sogar den Tisch lieber her als die Zeit. Es war fuer jeden angenehm zu sehen, was er bei einem Fremden, der, weder besonders ausgezeichnet durch Gelehrsamkeit noch durch Krankheit, gar nicht abgehen wollte, fuer Seitenspruenge machte, um ihn zum Lebewohl und Abscheiden zu bringen; wie er die Uhr aufzog, in Schweigen einsank oder in ein Horchen nach einem nahen lautlosen Zimmer, oder wie er die unschuldigste Bewegung des Fremden auf dem Kanapee sogleich zu einem Vorlaeufer des Aufbruchs verdrehte und scheidend selber in die Hoehe sprang, mit der Frage, warum er denn so eile. Beide Meckel hingegen, die Anatomen, Vater und Sohn zugleich, haette der Doktor tagelang mit Lust bewirtet. 6. Summula Fortsetzung der Abreise durch Fortsetzung des Abschieds. Am Morgen tat oder war Theoda in der weiblichen Weltgeschichte nicht nur das achte Wunder der Welt - sie war naemlich so frueh fertig als die Maenner -, sondern auch das neunte, sie war noch eher fertig. Gleichwohl musste man auf sie warten - wie auf jede. Es war ihr naemlich die ganze Nacht vorgekommen, dass sie gestern sich durch ihren Freudenungestuem und ihre reisetrunkne Eilfertigkeit bei einem Abschiede von einer Freundin vollends versuendigt, deren helle ungetruebte Besonnenheit bisher die Leiterin ihres Brauseherzens gewesen - so wie wieder die Leiterin des zu ueberwoelkten Gattenkopfs - und welche ihre versteckte Waerme immer bloss in ein kaltes Lichtgeben eingekleidet; - und von dieser Freundin so nahe an der Klippe des weiblichen Lebens eilig und freudig geschieden zu sein - dieser Gedanke trieb Theoda gewaltsam noch einmal in der Morgendaemmerung zu ihr. Sie fand das Haus offen (Mehlhorn war frueh verreiset), und sie kam ungehindert in Bonas Schlafgemach. Blass wie eine von der Nacht geschlossene Lilie ruhte ihr stilles Gesicht im altvaeterischen Stuhle umgesunken angelehnt. Theoda kuesste eine Locke - dann leise die Stirn - dann, als sie zu schnarchen anfing, gar den Mund. Aber ploetzlich hob die Verstellte die Arme auf und umschlang die Freundin: »Bist du denn schon wieder zurueck, Liebe - sagte wie traumtrunken Bona -, und bloss wohl, weil du deinen Dichter nicht da gefunden?« »O, spotte viel staerker ueber die Suenderin, tue mir recht innig weh, denn ich verdiene es wohl von gestern her!« antwortete sie und nannte ihr alles, was ihr feuriges Herz drueckte. Bona legte die Wange an ihre und konnte, vom vorfruehen Aufstehen ohnehin sehr aufgeloeset, nichts sagen, bis Theoda heftig sagte: »Schilt oder vergib!«, so dass jener die heissen Traenen aus den Augen schossen, und nun beide sich in Einer Entzueckung verstanden. »O jetzo moechte ich«, sagte Theoda, »mein Blut, wie dieses Morgenrot, vertropfen lassen fuer dich. Ach, ich bin eigentlich so sanft; warum bin ich denn so wild, Bona?« - »Gegen mich bist du gerade recht«, erwiderte sie; »nur einmal das beste Wesen kann dein wildes verdienen. Bloss gegen andere sei anders!« - »Ich vergesse«, sagte Theoda, »bloss immer alles, was ich sagen will oder leider gesagt habe; nur ein Ding wie ich konnte es gestern zu sagen vergessen, dass ich mich am innigsten nach der erleuchteten Hoehle in Maulbronn wie nach dem Sternenhimmel meiner Kindheit sehne, meiner guten Mutter halber.« Ihr war naemlich ein unausloeschliches Bild von der Stunde geblieben, wo ihre Mutter sie als Kind in einer grossen, mit Lampen erhellten Zauberhoehle des Orts - aehnlich der Hoehle im Bade Liebenstein - umhergetragen hatte. Beide waren nun Ein ruhiges Herz. Bona hiess sie zum Vater eilen - wiederholte ihren Rat der Vorsicht mit aller ihr moeglichen Ruhe (ist sie fort, dachte sie, so kann ich geruehrt sein, wie ich will), vergass sich aber selber, als Theoda weinend mit gesenktem Kopfe langsam von ihr ging, dass sie nachrief: »Mein Herz, ich kann nur nicht aufstehen vor besonderer Mattigkeit und dich begleiten; aber kehre ja deshalb nicht wieder um zu mir!« Aber sie war schon umgekehrt und nahm, obwohl stumm, den dritten Abschiedkuss; und so kam sie mit der Augenroete des Abschiedes und mit der Wangen- und Morgenroete des Tags laufend bei den Abreisenden an. 7. Summula Fortgesetzte Fortsetzung der Abreise. Da der Doktor neben dem Edelmanne auf ihre Ankunft wartete: so liess er noch ein Werk der Liebe durch Flex ausueben, seinen Bedienten. Er griff naemlich unter seine Weste hinein und zog einen mit Branntwein getraenkten Pfefferkuchen hervor, den er bisher als ein Magen-Schild zum bessern Verdauen auf der Herzgrube getragen: »Flex«, sagte er, »hier bringe mein Staerkmittel drueben den untern Gerberskindern; sie sollen sich aber redlich darein teilen.« - Der Edelmann stutzte. »Meiner Tochter, Herr von Niess«, sagte er, »duerfen Sie nichts sagen; - sie hat ordentlich Ekel vor dem Ekel - wiewohl ich, fuer meine Person, finde hierin weder einfachen noch doppelten noetig. Alles ist Haut am Menschen, und meine am Bauche ist nur die fortgesetzte von der an den Wangen, die ja alle Welt kuesst. Vor den Augen der Vernunft ist das Pflaster ein Pfefferkuchen wie jeder andere im Herzogtume, ja mir ein noch geistigerer.« »Ich gestehe - versetzte der sich leicht ekelnde Dichter schnell, um nur dem boesen Bilde zu entspringen -, dass mich Ihr Bedienter mit seinem langen Schlepp-Rocke fast komisch interessiert. Wie ich ihm nachsah, schien er mir ordentlich auf Knien zu gehen, wie sonst ein Sieger zum Tempel des Jupiter capitolinus, oder aus der Erde zu wachsen.« Freundlich antwortete Katzenberger: »Ich habe es gern, wenn meine Leute mir oder andern laecherlich vorkommen, weil man doch etwas hat alsdann. Mein Flex traegt nun von Geburt an gluecklicherweise kurze Dachs-Beine, und auch diese sogar aeusserst zirkumflektiert, dass, wenn sein Rock lang genug ist, sein Steiss und sein Weg, ohne dass er nur sitzt, halb beisammen bleiben. Diesen komischen Schein seiner Trauerschleppe nuetz' ich oekonomisch. Ich habe naemlich einen und denselben laengsten Lakaienrock, den jeder tragen muss, Goliath wie David. Diese Freigebigkeit entzweiete mich oft mit dem Piraner Prosektor, sonst mein Herzensfreund, aber ein geiziger Hund, der Leute en robe courte - aber nicht en longue robe - hat, und denen er die Roecke zu kurzen neumodischen Westen (nicht zu altmodischen) einschnurren laesst. Setz' ich nun seinem Geize mein Muster entgegen: so verweiset er mich auf die anatomischen Tafeln, nach denen unter den Gegenmuskeln der Hand der Muskel, der sie zuschliesse, stets viel staerker sei als der, welcher sie aufmacht, und zu jenem Muskel gehoere noch die Seele, wenn Geld damit zu halten sei. Daher die Freunde auch die Haende leichter gegeneinander ballen als ausstrecken. Etwas ist daran.« Als Theoda kam, hatte der Doktor, der im Vordersitz wartete, dass er durch einen Hueften-Nachbar fester gepackt wuerde, den verdruesslichen Anblick, dass das Paar nach langer Session-Streitigkeit sich ihm gegenueber setzte. Die Tochter tat es aus Hoeflichkeit gegen Niess und aus Liebe gegen ihren Vater, um ihn anzusehen und seine Wuensche aufzufangen. Zuletzt sagte dieser im halben Zorn: »Du willst dich sonach an das Steissbein und Rueckgrat des Kutschers lehnen und laesst ruhig deinen alten Vater, wie ein Weberschiffchen, von einem Kissen zum andern werfen, he?« Da erhielt er endlich an seiner hinueberschreitenden Tochter seinen Fuellstein, zur hoechsten Freude des ruecksaessigen Edelmanns, dessen Blicke sich nun wie ein Paar Fliegen immer auf ihre Augen und Wangen setzen konnten. 8. Summula Beschluss der Abreise. Sie fuhren ab ... .... Aber jetzo faengt fuer den Absender der Hauptpersonen, fuer den Verfasser, nicht die beste Zeit von Lesers Seite an; denn da dieser nun alle Verwickelungen weiss, so wird er mit seiner gewoehnlichen Heftigkeit die saemtlichen Entwickelungen in den naechsten Druckbogen haben wollen und die Forderung machen, dass in den naechsten Summuln der Rezensent ausgepruegelt werde, dessen Namen er noch nicht einmal weiss - dass Herr von Niess seine Larve, als sei er bloss ein Freund Theudobachs, abwerfe und dieser selber werde - und dass Theoda darueber erstaune und kaum wisse, wo ihr der Kopf steht, geschweige das Herz. Tu' ich nun dem Leser den Gefallen und pruegle, entlarve und verliebe, was dazu gehoert: so ist das Buch aus, und ich habe erbaermlich in wenig Summuln ein Feuerwerk oder Luftfeuer abgebrannt, das ich nach so grossen Vorruestungen zu einem langen Steppenfeuer von unzaehligen Summuln haette entzuenden koennen. Ich will aber Katzenberger heissen, entzuend' ichs nicht zu einem. Von jetzt an wird sich die Masse meiner Leser in zwei grosse Parteien spalten: die eine wird zugleich mich und die andere und diesen Druck-Bogen verlassen, um auf dem letzten nachzusehn, wie die Sachen ablaufen; es sind dies die Kehraus-Leser, die Valetschmauser, die Juengstentag-Waehler, welche an Geschichten, wie an Froeschen, nur den Hinterteil verspeisen und, wenn sie es vermochten, jedes treffliche Buch in zwei Kapitel einschmelzten, ins erste und ins letzte, und jedem Kopfe von Buch, wie einem aufgetragnen Hechte, den Schwanz ins Maul steckten, da eben dieser an Geschichten und Hechten die wenigsten Graeten hat; Personen, die nur so lange bei philosophierenden und scherzenden Autoren bleiben, als das Erzaehlen dauert, wie die Nordamerikaner nur so lange dem Predigen der Heidenbekehrer zuhorchen, als sie Branntwein bekommen. Sie moegen denn reisen, diese Epilogiker. Was hier bei mir bleibt - die zweite Partei -, dies sind eben meine Leute, Personen von einer gewissen Denkart, die ich am langen Seile der Liebe hinter mir nachziehe. Ich heisse euch alle willkommen; wir wollen uns lange guetlich miteinander tun und keine Summuln sparen - wir wollen auf der Bad-Reise die Einheit des Ortes beobachten, so wie die des Interesse, und haeufig uns vor Anker legen. Langen wir doch nach den laengsten verzoegerlichen Einreden und Vexierzuegen endlich zu Hause und am Ende an, wo die Kehraus-Leser hausen: so haben wir unterwegs alles, jede Zoll- und Warntafel und jeden Gasthofschild, gelesen und jene nichts, und wir lachen herzlich ueber sie. 9. Summula Halbtagfahrt nach St. Wolfgang. Theoda konnte unmoeglich eine Viertelstunde vor dem Edelmarine sitzen, ohne ihn ueber Inner- und aeusserlichkeiten seines Freundes Theudobach, von dem Zopfe an bis zu den Sporen, auszufragen. Er schilderte mit wenigen Zuegen, wie einfach er lebe und nur fuer die Kunst, und wie er, ungeachtet seiner Lustspiele, ein gutmuetiges liebendes Kind sei, das ebenso oft geliebt als betrogen werde; und im aeussern habe er so viel aehnlichkeit mit ihm selber, dass er darum sich oft Theudobachs Koerper nenne. Himmel! mit welchem Feuer schauete die Begeisterte ihm ins Gesicht, um ihren Autor ein paar Tage frueher zu sehen! »Ich habe doch in meinem Leben nicht zwei gleichaehnliche Menschen gesehen« sagte Theoda, der einmal in einem glaenzenden Traume Theudobach ganz anders erschienen war als sein vergebliches Nachbild. »Soll er meiner Tochter gefallen«, bemerkte der Doktor, »so muss die Nasenwurzel des Poeten und die Nasenknorpel samt dem Knochenbau etwas staerker und breiter sein als bei Ihnen, nach ihren phantastischen Voraussetzungen aus seinen Buechern.« Wenn also der Schleicher etwa, wie ein Doppeladler, zwei Kronen durch seine Namen-Maske auf den Kopf bekommen wollte, eine jetzige und eine kuenftige: so ging er sehr fehl, dass er den Menschen ein paar Tage vor dem Schriftsteller abgesondert vorausschickte; denn jener verhaertete in Theodas Phantasie und liess sich sproede nicht mehr mit diesem verarbeiten und verquicken, indes umgekehrt bei einer gleichzeitigen ungeteilten Vorfuehrung beider das Schriftstellerische sogleich das Menschliche mit Glimmer durchdrungen haette. Niess warf ohne Antwort die Frage hin, wie ihr sein beziehlich-bestes Stueck: »Der Ritter einer bessern Zeit« gefallen, mit welchem er eben in Maulbronn die deklamatorische Akademie anfangen wolle. Da ein Autor bei einem Leser, der ihn wegen eines halben Dutzend Schriften anbetet, stets voraussetzt, er habe alle Dutzende gelesen: so erstaunte er ein wenig ueber Theodas Freude, dass sie etwas noch Ungelesenes von ihm werde zu hoeren bekommen. Sie musste ihm nun - so wenig wurd' er auf seinem Selberfahrstuhl von Siegwagen des schoenen Aufzugs satt - sagen, was sie vorzueglich am Dichter liebe; »grosser Gott«, versetzte sie, »was ist vorzueglich zu lieben, wenn man liebt? Am meisten aber gefaellt mir sein Witz - am meisten jedoch seine Erhabenheit - freilich am meisten sein zartes heisses Herz - und mehr als alles andere, was ich eben lese.« - »Was lesen Sie denn eben von ihm?« fragte Niess. »Jetzo nichts«, sagte sie. Der Edelmann brauchte kaum die Haelfte seiner feinen Fuehlhoerner auszustrecken, um es dem Doktor abzufuehlen, dass er mit seinem verschraenkten Gesichte ebenso gut unter dem Balbiermesser freundlich laecheln koennte als unter einem fuer ihn so widerhaarigen Gespraeche; er tat daher - um allerlei aus ihm herauszureizen, worueber er bei der kuenftigen Erkennszene recht erroeten sollte - die Frage an ihn, was er seines Orts vom Dichter fuer das Schlechteste halte. »Alles«, versetzte er, »da ich die Schnurren noch nicht gelesen. Mich wunderts am meisten, dass er als Edelmann und Reicher etwas schreibt; sonst taugen in Papiermuehlen wohl die groben Lumpen zu Papier, aber nicht die seidnen.« Niess fragte: ob er nicht in der Jugend Verse gemacht? »Pope - gab er zur Antwort - entsann sich der Zeit nicht, wo er keine geschmiedet, ich erinnere mich derjenigen nicht, wo ich dergleichen geschaffen haette. Nur einmal mag ich, als verliebter Gessners-Schaefer und Primaner, so wie in Krankheiten sogar die Venen pulsieren, in Poetasterei hineingeraten sein, vor einem dummen Ding von Maedchen - Gott weiss, wo die Goettin jetzt ihre Ziegen melkt. - Ich stellte ihr die schoene Natur vor, die schon dalag, und warf die Frage auf: Sieh, Suse, blueht nicht alles vor uns wie wir, der Wiesenstorchschnabel und die grosse Gaenseblume und das Rindsauge und die Gichtrose und das Lungenkraut bis zu den Schlehengipfeln und Birnenwipfeln hinauf? Und ueberall bestaeuben sich die Blumen zur Ehe, die jetzt dein Vieh frisst! - Sie antwortete geruehrt: Wird Er immer so an mich denken, Amandus? Ich versetzte wild: Beim Henker! an uns beide; wohin ich kuenftig auch verschlagen und verfahren werde, und in welchen fernen Fluss und Bach ich auch einst schauen werde - es sei in die Schweina in Meiningen - oder in die Besau und die Gesau im Henneberg- oder in die wilde Sau in Boehmen - oder in die Wampfe in Lueneburg - oder in den Lumpelbach in Salzburg - oder in die Sterzel in Tyrol - oder in die Kratza oder in den Galgenbach in der Oberpfalz - in welchen Bach ich, schwoer' ich dir, kuenftig schauen werde, stets werd' ich darin mein Gesicht erblicken und dadurch auf deines kommen, das so oft an meinem gewesen, Suse. - Jetzt freilich, Herr von Niess, sprech' ich prosaischer.« Niess griff feurig nach des Doktors Hand und sagte: »Das scherzhafte Gewand verberge ihm doch nicht das weiche Herz darunter.« - »Ich muss auch durchaus frueherer Zeit zu weich und fluessig gewesen sein - versetzte dieser -, weil ich sonst nicht gehoerig hart und knoechern haette werden koennen; denn es ist geistig wie mit dem Leibe, in welchem bloss aus dem Fluessigen sich die Knochen und alles Harte erzeugt, und wenn ein Mann harte Eiszapfenworte ausstoesst, so sollte dies wohl der beste Beweis sein, wie viel weiche Traenen er sonst vergossen.« - »Immer schoener!« rief Niess; »o Gott nein!« rief Theoda im gereizten Tone. Der Edelmann schob sogleich etwas Schmeichelndes, naemlich einen neuen Zug von Theudobach ein, den er mit ihm teile, naemlich den Genuss der Natur. »Also auch des Maies?« fragte der Doktor; Niess nickte. Hierauf erzaehlte dieser: Darueber hab' er seine erste Braut verloren; denn er habe, da sie an einem schoenen Morgen von ihren Maigenuessen gesprochen, versetzt, auch er habe nie so viele gehabt als in diesem Mai wegen der unzaehligen Maikaefer; als er darauf zum Beweise einige von den Blaettern abgepflueckt und sie vor ihren Augen ausgesogen und genossen: so sei er ihr seitdem mehr greuels- als liebenswuerdig vorgekommen, und er habe durch seine Roeselsche Insektenbelustigungen Brautkuchen und Honigwochen verscherzt und vernascht. Niess aber, sich mehr zur Tochter schlagend, fuhr kuehn mit dem Ernste des Naturgenusses fort und schilderte mehre schoene Aussichten ab, die man sah, und von manchen erhabenen Wolken-Partien lieferte er gute Roetelzeichnungen: - als endlich die Partien zu regnen anfingen und selbst herunterkamen. Sogleich rief der Doktor den langroeckigen Flex in den Wagen herein als einen Fuellstein fuer Niess. Diesem entfuhr der Ausruf: »Dies zarte Gefuehl hat auch unser Dichter fuer seine Leute, Theoda!« - »Es ist«, antwortete ihr Vater, »zwar weniger der Mensch da als sein langer Rock zu schonen; aber zartes Gefuehl aeussert sich wohl bei jedem, den der Wagen verdammt stoesst.« Bald darauf kamen sie in St. Wolfgang an. 10. Summula Mittags-Abenteuer. Gewoehnlich fand der Doktor in allen Wirtshaeusern bessere Aufnahme als in denen, wo er schon einmal gewesen war. Nirgends traf er aber auf eine so verzogne Empfangs-Physiognomie als bei der verwittibten, nett gekleideten Wirtin in St. Wolfgang, bei der er jetzt zum zwoelften Male ausstieg. Das zweitemal, wo sie in der Halbtrauer um ihre eheliche Haelfte und in der halben Feiertags-Hoffnung auf eine neue ihrem medizinischen Gaste mit Klagen ueber Halsschmerzen sich genaehert, hatte dieser freundlich sie in seiner Amtsprache gebeten: sie moege nur erst den Unterkiefer niederlassen, er wolle ihr in den Rachen sehen. Sie ging wuetig-erhitzt und mit vergroesserten Halsschmerzen davon und sagte: »Sein Rachen mag selber einer sein; denn kein Mensch im Hause frisst Ungeziefer als Er.« Sie bezog sich auf sein erstes Dagewesensein. Er hatte naemlich, zufolge allgemein-bestaetigter Erfahrungen und Beispiele, z. B. de la Lande's und sogar der Demoiselle Schurmann - welche nur naturhistorischen Laien Neuigkeiten sein koennen -, im ganzen Wirtshause (dem Kellner schlich er deshalb in den Keller nach) umhergestoebert und -gewittert, um fette runde Spinnen zu erjagen, die fuer ihn (wie fuer das obengedachte Paar) Landaustern und lebendige BouilIon-Kugeln waren, die er frisch ass. Ja er hatte sogar - um den allgemeinen Ekel des Wirtshauses, wo moeglich, zurechtzuweisen - vor den Augen der Wirtin und der Aufwaerter reife Kanker auf Semmelschnitte gestrichen und sie aufgegessen, indem er Stein und Bein dabei schwur - um mehr anzukoedern -, sie schmeckten wie Haselnuesse. Gleichwohl hatte er dadurch weit mehr den Abscheu als den Appetit in Betreff der Spinnen und Seiner-Selbst vermehrt, und zwar in solchem Grade, dass er selber der ganzen Wirtschaft als eine Kreuz-Spinne vorkam, und sie sich als seine Fliegen. Als er daher spaeter einmal versuchte, dem Kellner nachzugehen, um unten aus den Kellerloechern seine mensa ambulatoria, sein Kanarienfutter zu ziehen: so blickte ihn der Pursche mit fremdem wie geliehenem Grimme an und sagte: »Fress' Er sich wo anders dick als im Keller!« - Nichts bekuemmerte ihn aber weniger als sauere Gesichter; der gesunde Sauerstoff, der den groesseren Bestandteil seines in Worte gebrachten Atems ausmachte, hatte ihn daran gewoehnt. Die Wirtin gab sich alle Muehe, unter dem frohen Gastmahle ihn von Theoda und Niess recht zu unterscheiden zu seinem Nachteile; er nahm die Unterscheidung sehr wohl auf und zeigte grosse Lust, naemlich Esslust; und liess, um weniger der Wirtin als seinen Leuten etwas zu schenken, diesen nichts geben als seine Tafelreste. Die Wirtin liess er zusehen, wie er mit derselben Butter zugleich seine Brotscheiben und seine Stiefel-Glatzen bestrich, und wie er den Zuckerueberschuss zu sich steckte, unter dem Vorwande, er hole aus guten Gruenden den Zucker erst hinter dem Kaffee nach im Wagen. Dennoch schlug ihm eine feine Krieglist, von deren Beobachtung er durch Verhasstwerden abzuziehen suchte, ganz fehl. Er hatte naemlich unter einer Winkeltreppe ein schaetzbares Katzennest entdeckt, aus welchem er etwan einen oder zwei Nestlinge auszuheben gedachte, um sie abends im Nachtlager, wo er so wenig fuer die Wissenschaft zu tun wusste, aufzuschneiden, nachdem er vorher ihnen in der Tasche aus Mitleiden, zum Abwenden aller Kerkerfieber, die Koepfe einigemal um den Hals gedreht haette. Es muss aber wohl von seinem eilften Besuche, wo die Wirtin gerade nach seiner Entfernung auch die Entfernung einer treuen Mutter mehrer Kaetzchen wahrnahm, hergekommen sein, dass sie, ueberall von weiten ihn wie einen Schwanzstern beobachtend, gerade in der Minute ihm aufstossen konnte, als er eben ein Kaetzchen einsteckte. - »Hand davon, mein Herr! - schrie sie - nun wissen wir doch alle, wo voriges Jahr meine Kaetzin geblieben - und ich war so dumm und sah das liebe Tier in Ihrer Tasche arbeiten - o Sie --.« Den Beinamen verschluckte sie als Wirtin. Aber wahrhaft gefaellig nahm er statt des Kaetzchens ihre Hand und ging daran mit ihr in die Stube zurueck. »Sie soll da besser von mir denken lernen«, sagte er. Und hier erzaehlt' er weitlaeuftig mit Berufen auf Theoda, dass er selber mehre Katzenmuetter halte und solche, anstatt sie zu zerschneiden, vaeterlich pflege, damit er zur Ranzzeit gute starke Kater durch die in einer geraeumigen Huehnersteige seufzenden Kaetzinnen auf seinen Boden verlocke und diese Siegwarte neben den Klostergittern ihrer Nonnen in Telleroder Fuchseisen zu fangen bekomme; denn er muesse als Professor durchaus solche Siegwarte, teils lebendig, teils abgewuergt, fuer sein Messer suchen, da er ein fuer seine Wissenschaft vielleicht zu weiches Herz besitze, das keinen Hund totmachen koenne, geschweige lebendig aufschneiden wie Katzen. Die Wirtin murmelte bloss: »Fuehrt den Namen mit der Tat, ein wahrer abscheulicher Katzen-Berger und -Wuerger.« - Niess fragte nicht viel darnach, sondern da das erste, was er an jedem Orte und oertchen tat, war, nachzusehen, was von ihm da gelesen und gehalten wurde: so fand er zu seiner Freude nicht nur im elenden Leihbuecher-Verzeichnis seine Werke, sondern auch in der Wirtsstube einige geliehene wirkliche. Sich gar nicht zu finden, drueckt beruehmte Maenner staerker, als sie sagen wollen. Niess erteilte seinen Leihwerken aus Liebe fuer den Wolfgangischen Leihbibliothekar auf der Stelle einen unbeschreiblichen Liebhaber-Wert (pretium affectionis) bloss dadurch, dass ers einem Voltaire, Diderot und D'Alembert gleichtat, indem er, wie sie, Noten in die Werke machte mit Namens-Unterschrift; - die kuenftige Entzueckung darueber konnte er sich leicht denken. Waehrend Theoda zwischen dem Dichter und der Freundin hin und her traeumte: kam auf einmal der Mann der letzten, der arme Mehlhorn, matt herein, der nicht den Mut gehabt, seinen kuenftigen Gevatter um einen Kutschensitz anzusprechen. Der Zoller war zwar kein Mann von glaenzendem Verstande - er traute seiner Frau einen groessern zu -, und seine Ausgaben der Langenweile ueberstiegen weit seine Einnahme derselben; aber wer Langmut im Ertragen, Dienstfertigkeit und ein anspruchloses redliches Leben liebte, der sah in sein immer freudiges und freundliches Gesicht und fand dies alles mit Lust darin. Theoda lief auf ihn entzueckt zu und fragte selbvergessen, wie es ihrer Freundin ergangen, als sei er spaeter abgereiset. Er verzehrte ein duennes Mittagmahl, wozu er die Haelfte mitgebracht: »Man muss wahrhaftig - sagt' er sehr wahr - sich recht zusammennehmen, wenn man noch zwei Stunden nach Huhl hat, und doch nachts wieder zu Hause sein will; es ist aber kostbares Wetter fuer Fussgaenger.« Theoda zog ihren Vater in ein Nebenzimmer und setzte alle weibliche Roest-, Schmelz- und Treibwerke in Gang, um ihn so weit fluessig zu schmelzen, dass er den Zoller bis nach Huhl mit einsitzen liess. Er schuettelte kaltbluetig den Kopf und sagte, die Gevatterschaft fuerchtend: »Auch naehm' ers am Ende gar fuer eine Gefaelligkeit, die ich ihm etwa beweisen wollte.« Sie rief den Edelmann zum Bereden zu Huelfe; dieser brach - mehr aus Liebe fuer die Fuersprecherin - gar in theatralische Beredsamkeit aus und liess in seinem Feuer sich von Katzenberger ganz ohne eines ansehen. Dem Doktor war naemlich nichts lieber, als wenn ihn jemand von irgend einem Entschlusse mit tausend beweglichen Gruenden abzubringen anstrebte; seiner eignen Unbeweglichkeit versichert, sah er mit desto mehr Genuss zu, wie der andere, jede Minute des ja gewaertig, sich nutzlos abarbeitete. Ich versinnliche mir dies sehr, wenn ich mir einen umherreisenden Magnetiseur und unter dessen Haenden das Gesicht eines an menschlichen Magnetismus unglaeubigen Autors, z. B. Biesters, vorstelle, wie jener diesen immer aengstlicher in den Schlaf hineinzustreichen sucht, und wie der Bibliothekar Biester ihm unaufhoerlich ein aufgewecktes Gesicht mit blickenden Augen still entgegenhaelt. »Gern macht' ich selber«, sagte Niess, »noch den kurzen Weg zu Fuss.« - »Und ich mit«, sagte Theoda. »O! - sagte Niess und drueckte recht feurig die Katzenbergerische Hand - ja es bleibt dabei, Vaeterchen, nicht?« - »Natuerlich - versetzte letztes -, aber Sie koennen denken, wie richtig meine Gruende sein muessen, wenn sie sogar von Ihnen nicht ueberwogen werden.« Man schien auf seiten des Paars etwas betroffen; »auch moecht' ich den guten Umgelder ungern verspaeten«, setzte der Doktor hinzu, »da wir erst nach dem Pferde-Fuettern aufbrechen, er aber sogleich fortgeht.« Als sie saemtlich zurueckkamen, stand der Mann schon freundlich da, mit seinem Abschiede reisefertig wartend. Theoda begleitete ihn hinaus und gab ihm hundert Gruesse an die Freundin mit und den Schwur, dass sie schon diesen Abend das Tagebuch an sie anfange: »Koennt' ich fuer Sie gehen, guter Mann!« sagte sie; und er schied mit einem langen Dankpsalm, ohne sie sonderlich zu verstehen, so wie sie selber, setz' ich dazu, ebenso wenig den Doktor. Sie wusst' es aus langer Erfahrung, dass er zudringende Bitten gewoehnlich abschlug als Anfaelle auf seine Freiheit; sie tat sie aber doch immer wieder und brachte vollends heute den Auxiliar-Poeten mit. Mehlhorn war ihm nicht am meisten als Gevatterbitter verdriesslich, sondern als eine Art Ja-Herr gegen die Frau und ein Ja-Knecht gegen alle Welt; schwachmuetige Maenner aber, sogar gutmuetige, konnt' er nicht gut sich gegenueber sehen, besonders einen halben Tag lang auf dem Ruecksitz. Bald darauf, als die Pferde abgefuettert waren und die Gewinn- und Verlustrechnung abgetan, gab Katzenberger das Zeichen des Abschieds; - es bestand darin, dass er heimlich die Koerke seiner bezahlten Flaschen einsteckte. Er fuehrte Gruende fuer diese letzte Ziehung aus der Flasche an: »Es sei erstlich ein Mann in Paris bloss dadurch ein Millionaer geworden, dass er auf allen Kaffeehaeusern sich auf ein stilles Korkziehen mit den Fingern gelegt, wobei er freilich mehr ans Stehlen gedacht als an erlaubtes Einstecken; zweitens sei jeder, der eine Flasche fodere, Herr ueber den Inhalt derselben, wozu der Stoepsel als dessen Anfang am ersten gehoere, den er mit seinem eigenen Korkzieher zerbohren oder auch ganz lassen und mitnehmen koenne, als eine elende Kohle aus dem niedergebrannten Weinfeuer.« Darueber suchte Niess zu laecheln ohne vielen Erfolg. 11. Summula Wagen-Sieste. Im ganzen sitzt ohnehin jeder Kutschenklub in den ersten Nachmittagstunden sehr matt und dumm da; das junge Paar aber tat es noch mehr, weil Katzenbergers Gesicht, seitdem er dem armen Schreckens-Gevatter die Wagentuere vor der Nase zugeschlagen, kein sonderliches Rosental und Paradies fuer jugendlich-gutmuetige Augen war, die in das Gesicht hinein und auf den sandigen Weg hinaus sahen. Er selber litt weniger; ihn verliess nie jene Heiterkeit, welche zeigen konnte, dass er sich den Stoikern beigesellte, welche verboten, etwas zu bereuen, nicht einmal das Boese. Indes ist dieser hoehere Stoizismus, der den Verlust der unschaetzbaren hoeheren Gueter noch ruhiger ertraegt als den der kleinern, bei Gebildeten nicht so selten, als man klagt. Nach einigen Minuten Sandfahrt senkte Katzenberger sein Haupt in Schlaf. Jetzo bekraenzte Theoda ihren Vater mit allen moeglichen Redeblumen, um dem Freund ihres Dichters ihre Tochter-Augen fuer ihn zu leihen. Besonders hob sie dessen reines Feuer fuer die Wissenschaft heraus, fuer die er Leben und Geld verschwende, und beklagte sein Los, ein gelehrter einsamer Riese zu sein. Da der Edelmann gewiss voraussetzte, dass die Augen-Sperre des Riesen nichts sei als ein Aufmachen von ein Paar Dionysius-Ohren, wie ueberhaupt Blinde besser hoeren: so fiel er ihr unbedingt bei und erklaerte, er staune ueber Katzenbergers Genie. Dieser hoerte dies wirklich und hatte Muehe, nicht aus dem Schlafe heraus zu laecheln wie ein Kind, womit Engel spielen. Des blinden optischen Schlafes bedient' er sich bloss, um selber zu hoeren, wie weit Niess sein Verlieben in Theoda treibe; und dann etwa bei feurigen Welt- und Redeteilen rasch aufzuwachen und mit Schnee und Scherz einzufallen. Jetzo ging Theoda, die an den Schlummer glaubte, weil ihr Vater sich selten die Muehe der Verstellung gab, noch weiter und sagte dem Edelmanne frei: »Sein Kopf lebt zwar dem Wissen, wie ein Herz dem Lieben, aber Sie springen zu ungestuem mit seiner Natur um. - In der Tat Sie legen es ordentlich darauf an, dass er sich ueber Gefuehle recht seltsam und ohne Gefuehle ausdruecke. Taete dies wohl Ihr Theudobach?« - »Gewiss - sagt' er -, aber in meinem Sinne. Denn Ihren Vater, liebreiche Tochter, nehm' ich viel besser als der Haufe. Mich hindert seine satirische Enkaustik nicht, darhinter ein warmes Herz zu sehn. Recht geschliffnes Eis ist ein Brennglas. Man ist ohnehin der alltaeglichen Liebfloskeln der Buecher so satt! O dieser milde Schlaefer vor uns ist vielleicht waermer, als wir glauben, und ist seiner Tochter so wert!« Katzenberger, eben warm und heiss vom nahen Nachmittagschlummer, haett' etwas darum gegeben, wenn ihm sein Gesicht von einem Gespenste waere gegen den Ruecken und das Kutschen-Fensterchen gedreht gewesen, damit er ungesehen haette laecheln koennen; wenigstens aber schnarchte er. Theoda indes, nie mit einer lauen oder hoeflichen ueberzeugung zufrieden, suchte den Poeten fuer den Vater noch staerker anzuwaermen durch das Berichten, wie dieser bei dem Scheine einer geizigen Laune ganz uneigennuetzig als heilender Arzt Armen oefter als Vornehmen zu Huelfe eile und dabei lieber in den seltensten gefahrvollsten als in gefahrlosen Krankheiten der Schutzengel werde. Jedes Wort war eine Wahrheit; aber die Tochter voll kindlicher und jeder Liebe kam freilich nicht darhinter, dass ihm eigentlich die Wissenschaft, nicht der Kranke hoeher stand als Geld und dass er mit einer gewaltigen Gegnerin von kranker Natur am liebsten das medizinische Schach spielte, weil aus der groessern Verwicklung die groessere Lehrbeute zu holen war; ja er wuerde fuer eine stichhaltige Versicherung der blossen Leichenoeffnung jeden umsonst in die Kur genommen haben aus Liebe zur Anatomie. »Vollends aber die Guete, womit mein genialer Vater alle Wuensche erfuellt, mit welchen ich nicht gerade seinen wissenschaftlichen Eifer stoere, und was er alles fuer meine Bildung getan, das kann ich als Tochter leichter in meinem Herzen verehren als durch Worte andern enthuellen; aber schmerzen muss es mich jederzeit, wenn ich ihn bei andern, da er Stand und fremdes Urteil gar zu wenig achtet, ordentlich darauf ausgehen sehe, verkannt zu werden«, beschloss Theoda. - Du warme Verblendete! - So wie wir alle merken, bildet sie sich ein, den Poeten Niess durch Preisen fuer ihren Vater zu gewinnen, fuer einen Mann, der ihm doch ins Gesicht gesagt, seine Nasenwurzel sei zu duenn. Schwerlich sind Wurzelwoerter eines solchen aergers je auszuziehen, und aus der Nasenwurzel wird in Niess - da es etwas anderes sein wuerde, waere statt der Eitelkeit bloss sein Stolz beleidigt worden - immer etwas Stechendes gegen den Doktor wachsen. Dafuer aber zog sich aller Weihrauch, den die Tochter fuer den Vater anbrannte, auf sie selber zurueck in Niessens Nase, und am Ende konnt' er sie kaum anhoeren vor Anblicken; so dass ihm nichts fehlte zu einer poetischen Umhalsung Theodas als der wahre Schlaf des schnarchenden Fuchses. Indes ging er auf andere Weisen ueber, Lieben auszusprechen, und legte solche an einem bekannten Theudobachischen Schauspiel: »Die scheue Liebe« zergliedernd auseinander. Ein Buehnen-Dichter vieler Stuecke oder ein Kunstrichter aller Stuecke hat oder ist leicht eine Schiff- und Eselbruecke in ein Weiberherz. Darueber versank doch der Doktor vor Langweile aus dem vorgetraeumten Schlaf in einen echten, und zwar bald nach Niessens schoenen wahren Worten: »Jungfraeuliche Liebe schlummert wohl, aber sie traeumt doch.« Als er ganz spaet aufwachte, sagt' er, halb im Schlafe: »Natuerlich schlaeft sie und traeumt darauf.« Nur Niessen war dieser ihm zugehoerige Sinnspruch deutlich und erinnerlich, und er dachte leise: »Seht den Dieb!« Eben watete ihnen im Sande ein Bekannter der Familie entgegen, der sogleich sich umkehrte und in die Taschen griff, als er den Wagen erblickte. Es ist bekannt, dass es der Winkel-Schul-Direktor Wuerfel war, ein feines Maennchen. Der Doktor liess ihm schnell nachfahren, um das Umwenden zu begreifen. Eingeholt kehrte der Direktor sich wieder um und verbeugte sich stufenweise vor jedem. Der Doktor fragte, warum er immer so umkehre. »Er sei«, sagte er, »so ungluecklich gewesen, sein Taschenbuch in Huhl zu vergessen; und jetzt so gluecklich geworden, indem ers hole, eine solche Gesellschaft immer vor Augen, wenn auch von weitem, zu haben.« - »So nehmen Sie hier Ruecksitz und Stimme«, sagte der Doktor zu Niessens Verwundrung. Der Winkel-Schul-Direktor war lange, wohl zehnmal, adeliger Haus- und Schloss-Lehrer gewesen - hatte mehr als hundert Hausbaellen zugeschaut und getraute sich, jede adelige Schuelerin noch anzureden, wenn sie mannbar geworden - wie der alte Deutsche im Trunke keusch blieb, so war er stets mitten unter den feinsten Dessertweinen nicht nur keusch, sondern auch nuechtern geblieben, weil er den schlechtesten bekam - und war ueberhaupt an den Tischen seiner Herren tafelfaehig, wenn auch nicht stimmfaehig gewesen. Dieses Durchwaelzen durch die feine Welt hatt' an ihm so viele elegante Sitten zurueckgelassen, als er zu oft an Spezial-, ja an Generalsuperintendenten vermisste; so dass ihm oefter nichts zum vollstaendigsten feinsten Fat fehlte als der Mut; aber er glich dem Prediger, welcher auf der Kanzel mitten zwischen seinen heiligsten Erhebungen ueber die Erde und deren Gaben von Zeit zu Zeit die Dose aufmacht und schnupft. Dabei hatte er durch langes Erziehen fast alle Sprachen und Wissenschaften samt uebriger Bildung in den Kopf bekommen, die ihm, wie einem armen Postknechte Reichtuemer und Prinzen, zu nichts halfen, als dass er sie weiter zu schaffen hatte. Da er indes kein Wort sagte, das nicht schon einen Verleger und Verfasser gehabt haette: so hoerte man seine Schueler lieber als ihren Lehrer. Dieser Winkelschul-Direktor hatte nun einst mit Theoda Theudobachs Stuecke ins Englische und sich dabei (da sie nur eine Buergerliche war) in einen Liebhaber und in den Himmel uebertragen. Eben deshalb hatte ihm der Doktor, der in Herzsachen Scherz verstand und suchte, einen Sitz neben dem zweiten Liebhaber Niess ausgeleert: »ich sehe«, sagte er, »nichts lieber miteinander spielen als zwei Hasen, ausgenommen den Fuchs mit dem Hasen.« Es ging anders. Theoda stellte vor allen Dingen den Vielwisser Wuerfel - dem sie freudig alles schenkte, sich ausgenommen - unserem Freunde des ins Englische verdolmetschten Dichters vor. Da fing das lange Zergliedern des Dichters (Niess war der Prosektor) an, jedes Glied wurde durch kritisches Zerschneiden vervielfacht und vergroessert und zum Praeparat der Ewigkeit ausgespritzt und mit Weingeist beseelt. Bloss der Hoer-Maerterer Katzenberger litt viel bei der ganzen Sache und war der einzige Mann in diesem feurigen Ofen, der sich nicht mit Singen helfen konnte. Niess zeigte ueberall die leichte Weltmanns-Waerme eines feurigen Juwels. Wuerfel zeigte eine Schmelzofenglut, als waeren in seiner die poetischen Gestalten erst fertig zu giessen; Theoda zeigte eine Franzoesin, eine Deutsche und eine Jungfrau und ein Sich. Indes sah der helle Edelmann aus jedem Worte Wuerfels, wie dieser den Theudobachischen Sockus und Kothurn nur in ein Fahrzeug verkehre, um darin auf einer von den schoenen Freundschaft-Inseln Theodas anzulanden; je mehr daher der Direktor den Dichter erhob, desto mehr erboste sich der Edelmann. Doch blieben beide, Niess und Theudobach, so fest und fein und studierten die Menschen und wollten weniger die Schuldner einer (dichterischen) Vergangenheit sein als einer (prosaischen) Gegenwart; Niess wollte zugleich als Muenzer und als Muenze gelten. Vom Dichten kommt man leicht aufs Lieben, und indem man ideale Charaktere kritisiert, produziert man leicht den eigenen, und ein gedruckter Roman wird das Getriebe und Leitzeug eines lebendigen. Wuerfel stach hier mehr durch Feinheit hervor, Niess durch Keckheit. Jener zeigte einen Grad von romantischer Delikatesse, der seinen Stand verriet, naemlich den mittlern. Ich kann hier aus eigner Erfahrung die Weiber der hoehern Staende versichern, dass, wenn sie eine romantischere zaertere Liebe kennen wollen als die galante, hoehnende, atheistische ihrer Weltleute, sie solche in meinem Stande finden koennen, wo mehr Begeisterung, mehr Dichter-Liebe, und weniger Erfahrung herrscht; und es sollte diese Bemerkung mich um so mehr freuen, wenn ich durch sie zum Gluecke manches Hofmeisters und dessen hoher Prinzipalin etwas beigetragen haette; meines waere mir denn Belohnung genug. Niemand war wiederum in der Kutsche zu bedauern als der Blutzeuge Katzenberger, dem solche Diskurse so mild in die Ohren eingingen wie einem Pferde der Schluck Arzenei, den man ihm durch die Nasenloecher einschuettet. Um aber mit irgend etwas seinem Ohre zu schmeicheln, brachte er einen feinen Iltispinsel heraus und steckte ihn in den rechten Gehoergang bis nahe ans Paukenfell und wirbelte ihn darin umher; er versicherte die Zuschauer, hierin sei er ganz der Meinung der Sineser, wovon er die Sitte entlehnen welche diesen Ohrenkitzel und Ohren-Schmaus fuer den Himmel auf Erden halten. Da aber die Menschen immer noch links hoeren, wenn sie in Lust-Geschaeften rechts taub sind: so vernahm er noch viel vom Gespraech. Er fiel daher in dieses mit ein und berichtete: Auch er habe sonst als Unverheirateter an Heiraten gedacht und nach der damaligen Mode angebetet - was man zu jener Zeit Adorieren geheissen -; doch sei einem Manne, der ploetzlich aus dem strengen mathematisch-anatomischen Heerlager ins Kindergaertchen des Verliebens hinein gemusst, damal zumute gewesen wie einem Lachse, der im Lenze aus seinem Salz-Ozean in suesse Fluesse schwimmen muss, um zu laichen. Noch dazu waere zu seiner Zeit eine bessere Zeit gewesen - damal habe man aus der brennenden Pfeife der Liebe polizeimaessig nie ohne Pfeifendeckel geraucht - man habe von der sogenannten Liebe nirgend in Kutschen und Kellern gesprochen, sondern von Haushalten, von Sich-Einrichten und Ansetzen. So gesteh' er z. B. seinerseits, dass er aus Scham nicht gewagt, seine Werbung bei seiner durch die ausgesognen Maikaefer entfuehrten Braut anders einzukleiden als in die wahrhaftige Wendung: naechstens gedenke er sich als Geburthelfer zu setzen in Pira, wisse aber leider, dass junge Maenner selten gerufen wuerden und schwache Praxis haetten, so lange sie unverehlicht waeren. - »Freilich«, setzte er hinzu, »war ich damals hoelzern in der Liebe, und erst durch die Jahre wird man aus weichem Holze ein hartes, das nachhaelt.« »Bei der Trennung von Ihrer Geliebten mag Ihnen doch im Mondscheine das Herz schwer geworden sein?« sagte der Edelmann. »Zwei Pfund - also halb so schwer als meine Haut - ist meines wie Ihres bei Mond- und bei Sonnenlicht schwer«, versetzte der Doktor. »Sie kamen sonach ueber die empfindsam Epoche, wo alle jungen Leute weinten, leichter hinweg?« fragte Niess. »Ich hoffe«, sagt' er, »ich bin noch darin, da ich scharf verdaue, und ich vergiesse taeglich so viele stille Traenen als irgend eine edle Seele, naemlich vier Unzen den Tag; nur aber ungesehen (denn die Magenhaut ist mein Schnupftuch); unaufhoerlich fliessen sie ja bei heilen guten Menschen in den knochigen Nasenkanal und rinnen durch den Schlund in den Magen und erweichen dadrunten manches Herz, das man gekaeuet, und das zum Verdauen und Nachkochen da liegt.« Ich weiss nicht, ob ich mich irre, aber mir kommt es vor, als ob der Doktor seit dem schlafwachen Anhoeren der Lobreden, welche Theoda seinem liebereichen Herzen vor dem Poeten Niess gehalten, ordentlich darauf ausginge, mehr Essigsaeuere, d. h. Sauersauer aufzuzeigen; - aehnlich saeh' ihm dergleichen ganz, und lieber schien er aus Millionen Gruenden haerter als weicher. Als daher Niess, um den seltenen Seefisch immer mehr fuer seine dichterische Naturalienkammer aufzutrocknen, eine neue Frage tun wollte, fuhr Theoda ordentlich auf und sagte: »Herr von Niess, Sie sind im Innerlichen noch haerter als mein Vater selber.« - »So«, sagte der Doktor, »noch haerter als ich? Es ist wahr, die weibliche Sprache ist wie die Zunge weich und linde zu befuehlen, aber diese sanfte Zunge haelt sich hinter den Hundzaehnen auf und schmeckt und spediert gern, was diese zerrissen haben.« Hier suchte der feine Wuerfel auf etwas Schoeneres hin abzulenken und bemerkte, was bisher Theoda nicht gesehen: »Dort schreite schon lange Herr Umgelder Mehlhorn so tapfer, dass ihn der Kutscher schwerlich auf dem hoeckerigen Wege ueberhole.« Als dies der Kutscher vernahm, dem schon laengst der nicht einzuholende Zoller eine bewegliche Schandsaeule und Hoellenmaschine gewesen: so fuhr er galoppierend in die ... 12. Summula - die Avantuere - ... hinein und warf an einem schiefgesunknen Grenzstein leicht, wie mit einer Wurfschaufel, den Wagen in einen nassen Graben hinab. Katzenberger fuhr als Primo Ballerino zuerst aus der Schleudertasche des Kutschers, griff aber im Fluge in die Halsbinde des Schuldirektors wie in einen Kutschen-Lakaien-Riemen ein, um sich an etwas zu halten; - Wuerfel seines Orts krallte nach Flexen hinaus und in dessen Fries-aermel ein und hatte unten im Graben den mitgebrachten Fries-Aufschlag in der Hand; - Niess, das Gestirn erster Groesse im Wagen, glaenzte unten im Drachenschwanze seiner Laufbahn, nahm aber mehr die Gestalt eines Haarsterns an, weil er die Theodasche Peruecke nach sich gezogen, an die er sich laut wehklagend unterwegs hatte schliessen wollen; - Theoda war durch kleines Nachgeben gegen den Stoss und durch Erfassen des Kutschenschlages diagonal im Wagen geblieben; - Flex ruhte, den Kutscher noch recht umhalsend, bloss mit der Stirn im Kote, wie ein mit dem Gipfel vorteilhaft in die Erde eingesetzter Baum. Erst unten im Graben und als jedermann angekommen war - konnte man wie in einem Unterhause auf Herauskommen stimmen und an Einhelligkeit denken. Katzenberger votierte zuerst, indem er die Hand aus Wuerfels Halsbinde nahm und dann auf dem Rueckgrate des Schuldirektors wie auf einer fluechtigen Schiffbruecke wegging, um nachher auf Flexen aufzufussen und sich von da, wie auf einem Gaukler-Schwungbrett, leicht ans Ufer zu schwingen. Es gelang ihm ganz gut, und er stand droben und sah hernieder. Hier konnte er nicht ohne wahre Ruhe und Lust so leicht bemerken, wie die andern Hechte im Graben-Wasser schnalzten, aus Verlegenheit. Flexens Rueckgrats-Wirbel wurden ein allgemeines, aber gutes Trottoir, und der Schuldirektor schlug willig diesen Weg ein. Am Ufer zog der Doktor ihn an der Halsbinde nach kurzem Erwuergen ans Ufer, wo er unaufhoerlich sich und seinen Kleider-Bewurf besah und zurueckdachte. Auch der untergepfluegte Dichter bekroch Flexen und bot dem Doktor die Hand, an deren Ohrfinger dieser ihn mit kleiner Verrenkung dadurch aufs Trockne zog, dass er selber sich rueckwaerts bog und umfiel, als jener aufstand. Was noch sonst aus dem Nilschlamme halb lebendig aufwuchs, waren nur Leute; aber diese waren am noetigsten zum Aufhelfen, sie waren die Fluegel, die Maschinen-Goetter, die Schutzheiligen, die Korkwesten des Wagens im Wasser. Mehlhorn fuer seine Person war herbeigesprungen und stand auf dem umgelegten Kutschenschlage fest, in welchen er unaufhoerlich seinen Huelf-Engels-Arm umsonst Theodan hineinreichte, um sie um den Schlag herum- und aufzuziehen - bis ihn der Kutscher von seinem Standort wegfluchte, um den Wagen aufzustellen. Delikate Gesellschaftknoten werden wohl nie zaerter aufgeloeset als von dem Wurfe in einen Graben, gleichsam in ein verlaengertes Grab, wobei das allgemeine Interesse wenig verliert, wenn noch dazu Glieder der Mitglieder verrenkt oder verstaucht sind oder beschmutzt. Die Freude ging allgemein wie eine Luna auf; das Staedtchen Huhl lag vor der Nase, und jeder musste sich abtrocknen und abstauben und deshalb vorher uebernachten. Nur Wuerfel, der aus dem oertchen sein Taschenbuch zurueckzuholen hatte, musst' verdruesslich daraus heimeilen mit der nassen Borke am besten Vorderwestchen; eine halbe Nacht und einen ganzen Weg voll Nachtluft musst' er dazu nehmen, um so trocken anzulangen, als er abgegangen. Katzenberger machte weniger aus dem Kot, von welchem er seine eigne Meinung hegte, welche diese war, dass er ihn bloss als reine Adams-Erde, mit heiligem Himmelwasser getauft, darstellte und dann die Leute fragte: Was mangelt dem Dreck? Bloss den dachsbeinigen Flex schalt er ueber dessen schweres Schleppkleid so: »Fauler Hund, haettest du dich nicht stracks aufrichten koennen, sobald ich von dir aufgesprungen war? Warum liessest du dich von allen immer tiefer eintreten? Und warum gabst du dem unbedachtsamen Wuerfel nicht nach und liessest dich vom Bocke herunterreissen, anstatt meines Livrei-Aufschlags? He, Mensch?« - »Das weiss ich nicht«, versetzte Flex, »das fragen Sie einen andern.« 13. Summula Theodas ersten Tages Buch. Die Destillation hinabwaerts (dest. per descens.), wie der Doktor den Grabenfall nannte, brachte manches Leben in den Abend. Er selber behielt alles an und war sein Selb-Trockenseil. Niess konnte die Einsamkeit der abwaschenden Wiedergeburt zum Nachschueren von neuem Brennstoff fuer Theoda verwenden. Er sann naemlich lange auf treffliche Sentenzen ueber die Liebe und grub endlich folgende in die Fenstertafel seines Zimmers: »Das liebende Seufzen ist das Atmen des Herzens. - Ohne Liebe ist das Leben eine Nacht in einer Mondverfinsterung; wird aber diese Luna von keiner Erde mehr verdeckt, so verklaert sich mild die Welt, die Nachtblumen des Lebens oeffnen sich, die Nachtigallen toenen, und ueberall ist Himmel. Theudobach, im Junius.« Theoda schrieb eiligst folgende Tagebuchblaetter, um sie dem Mehlhorn noch mitzugeben: »Du teures Herz, wie lange bin ich schon von dir weg gewesen, wenn ich Zeit und Weg nach Seufzern messe! Und wann werd' ich in dein Haus springen oder schleichen? Gott verhuete letztes! Ein Zufall - eigentlich ein Fall in einen Graben - haelt uns alle diese Nacht in Huhl fest; leider kommen wir dann erst morgen spaet in Maulbronn an; aber ich habe doch die Freude, deinem guten Manne mein Geschreibsel aufzupacken. Der Gute! Ich weiss wohl, warum du mir nichts von seiner gleichzeitigen Reise gesagt; aber du hast nicht recht gehabt. Mein Vater setzte auf eine Stunde den raffinierten Zuckerhut Wuerfel in den Wagen; seine Weste litt sehr beim Umwerfen. Insofern war mirs lieb, dass dein Mann nicht mitgefahren; wer steht fuer die Wendungen des Zufalls? - Ich habe, Herzige, deinen Rat - denn in der Ferne gehorcht man leichter als in der Naehe - treu befolgt und heute fast nichts getan als Fragen an den Edelmann ueber den Dichter. Dieser ist selber - hoere - bloss die beste erste Ausgabe seiner Buecher, eine Prachtausgabe, wenn nicht besser, wenigstens milder als seine Stachelkomoedien. Niemand hat sich vor seinem Auge oder Herzen zu scheuen. Er lief schon als Kind gern auf Berge und in die Natur; und so war er auch schon als Kind vor seinem neunten Jahre unsterblich verliebt. Naerrisch ists doch, dass man dergleichen an grossen Menschen als so etwas Grosses nimmt, da man ja bei sich und andern nicht viel daraus macht. - Herr von Niess erzaehlte mir eine koestliche, laengst abgeschlossne Geschichte von seiner ersten Liebe, als eines Knaben voll Zaerte und Glut und Froemmigkeit; sie soll dir einmal wohltun, wenn ich sie dir in dein Wochenbett hineinwerfe. Nur machts der liebe Vater durch Mienen und Worte jedem gar zu schwer, dergleichen vorzutragen - anzuhoeren weniger, denn ich bin an ihn gewoehnt -; er wirft oft, wie du ja weisst, Eisspitzen ins schoenste Feuer, auf die niemand in ganz Pira gefallen waere, und bringt damit den Geruehrtesten zum Lachen. Er nennt unser ewiges Sprechen ueber unsern Dichter ein hollaendisch-langes Glockenspiel. Freilich kennt ihn Herr von Niess nicht oder will es nicht; so seltsam fragt er ihn an. Ich habe dir ihn ueberhaupt noch nicht gemalt, so mag er mir denn sitzen auf dem Kutschenkissen. Recht klug wird man nicht aus ihm; er wirft nicht sich, aber das Geld weg (fast zu sehr) - Er schimmert und schneidet, wie der Demant in seinem Ringe; und ist doch weich dabei und stets auf der Jagd nach warmen Augenblicken - Ein Held ist er auch nicht, ja nicht einmal eine Heldin; vor dem kleinsten Stachelchen faehrt er in die Bienenkappe - wie ich dir nachher meine eigne Peruecke als Beweis und Bienenkappe vorzeigen will - uebrigens hat er alle nachgiebige Bescheidenheit des Weltmannes, der sich auf die Voraussetzung seines Werts verlaesst - und dabei fein-fein und sonst mehr. - Dies ist aber eben der Punkt: von sich spricht er fast kein Wort, unaufhoerlich von seinem Jugendfreunde, dem Dichter, gleichsam als waere sein Leben nur die Grundierung fuer diese Hauptfigur. Auffallend ists, dass er nicht mit dem feurigen Gefuehl, wie etwan ich, von ihm redet, sondern fast ohne Teilnahme (er berichtet bloss Tatsachen), so dass es scheint, er wolle nur meinem Geschmacke zu Gefallen reden und dabei unter der Hand fuer jemand anders den Angelhaken auswerfen als fuer unsern Theudobach. Zwischen diesem Namen und dem meinigen find' er etymologisch, sagt' er, nur den Unterschied des Geschlechts, worueber ich ordentlich zusammenfuhr, weil ich nie darauf gefallen war. Aber, warum sagt er mir solches angenehme Zeug, da er doch sieht, dass er mich nur durch ein ganz fernes Herz in Flammen setzt? Eilte dein Mann nicht so fuerchterlich: wahrlich, ich wollte vernuenftig schreiben. Ich sage dir donnerstags alles, wenn es auch der Freitag widerlegt. In der Fremde ist man gegen Fremde (ja gegen Einheimische) weniger fremd als zu Hause; ich fragte geradezu Herrn von Niess, wie der Dichter aussehe. 'Wie stellen Sie sich ihn denn vor?' fragt' er. 'Wie die edleren Geschoepfe dieses Schoepfers selber (versetzt' ich). Er soll und wird aussehen wie ein nicht zu junger Ritter der alten Zeit - vorragend auch unter Maennern - Er muss Augen voll Dichter- und Kriegerfeuer haben, und doch dabei solche Herzens-Lieblichkeit, dass er sein Pferd ebenso gut streichelt als spornt und ein gefallnes Kindchen aufhebt und abkuesst, eh' ers der Mutter reicht - Auf seiner Stirn muessen ohnehin alle Welten stehen, die er geschaffen, samt den kuenftigen Weltteilen - Koestlich muss er aussehen - Der Bergruecken seiner Nase..... - (Hier, Bona, dacht' ich an deinen Rat.) Nun Sie haben ja die Nase selber gesehen, und ich gedenke, das auch zu tun.' Hierauf versetzte Herr von Niess: 'Vielleicht sollt' er, Demoiselle, diese Gestalt nach Maler-Ideal haben; aber leider sieht er fast so aus wie ich.' Gewiss hab' ich darauf ein einfaeltiges Staun-Gesicht gemacht und wohl gar die Antwort gegeben: 'Wie Sie?' - ueberhaupt schien meine zu lebhafte Vorschilderei seines Freundes ihn nicht sonderlich zu ergoetzen. - 'Theoda und Theudobach - fuhr er fort - behalten ihre aehnlichkeit sogar in der Statur; denn Er ist so lang als ich.' - 'Nein', unterfuhr ich, dann ist er kuerzer als ich; eine Frau, die so lang ist als ein Mann, ist laenger als ein Mann.' - Es schwollen beinahe Giftblasen mir auf, gesteh' ich gern. Es verdross mich das ewige Prahlen mit der koerperlichen aehnlichkeit Theudobachs bei so wenig geistiger. Ich denke an seine unritterliche Furcht und an meine Peruecke beim Wagen-Umwurf. Er wollte sich an meinen Kopf anhalten, um seinen zu retten. Raufen aber ist eine eigne Weise, einem Maedchen den Kopf zu verruecken. Mein Vater wird ihn mit dieser Peruecke, womit er in die Grube gefahren, noch oft fegen, wie die Bedienten in Irland damit die Treppen kehren. Freilich wars an ihn eine dumme Maedchenfrage, die ich nachher getan, wie ich dir beichten will. Aber wer machts denn anders? Die Leserinnen eines Dichters sind alle seine heimlichen Liebhaberinnen - die Juenglinge machen es mit Dichterinnen auch nicht besser -; und wir denken bei einem Genie, der Ehre unseres Geschlechts wegen, zuerst an die Frau, die der grosse Mann uns allen vorgezogen und die wir als die Gesandtin unseres Geschlechts an ihn abgeschickt. Auf seine Frau sind wir sogar neugieriger als auf seine Kinder, die er ja nur bekommen und selten erzieht. Ob ich mich gleich einmal tapfer gegen meinen Vater gewehrt, da er sagte, an einem Poeten zoegen wir den Kniefall dem Silbenfall vor, ein Paar Freierfuesse sechs Versfuessen, Schaeferstunden den Schaeferliedern und waeren gern die Hausehre einer Deutschlands-Ehre: so hatt' er doch halb und halb recht. - Die dumme Maedchenfrage war naemlich die: ob der Dichter eine Braut habe. - 'Wenigstens bei meiner Abreise noch nicht', versetzte Niess. - 'O ich wuesste', sagt' ich, 'nichts Ruehrenderes, als eine Jungfrau mit dem Edeln am Traualtare stehen zu sehen, welchen sie im Namen einer Nachwelt belohnen soll; sie sollte mir meine heiligste Schwester sein, und ich wollte sie lieben wie ihn.' - 'Wahrlich, Sie koennten es', sagte Niess mit unnuetz-feiner Miene. O Gott, zanke nur hier ueber nichts, du Hellseherin. Ach mein Gesicht-Laervchen - wahrlich mehr eine komische als tragische Maske - gibt mir keine Einbildungen, weil ich doch damit keinem Manne gefallen kann als einem halbblinden, der, wie du, nichts verlangt als ein Herz; aber der freilich sollte dieses den auch ganz haben, mit allen Kammern und Herzohren und Flaemmchen darin, und mein kleines Leben hintendrein. Ich wollt', es gaebe gar keine Maenner, sondern die goettlichsten Sachen wuerden bloss von Weibern geschrieben; warum muessen gerade jene einfaeltigen Geschoepfe so viel Genie haben, und wir nichts? - Ach, wie koennte man einen Rousseau liebhaben, wenn er eine Frau waere! Gute Nacht, meine Seele! So viel Himmel, als nur hineingeht, komme in dein Herzchen! Th.« 14. Summula Missgeburten-Adel. Der Wirt, der die Gesellschaft immer hinter Buechern und Schreibfedern sah, vermutete, er koenne sie als Ziehbrunnen benutzen und seinen Eimer einsenken; er brachte ein Werk in Folio und eins in Oktav zum Verkaufe getragen. Das kleinere war ein zerlesener Band von Theudobachs Theater. Aber der Doktor sagte, es sei kein Kauf fuer das Gewissen seiner Tochter, da das Buch vielleicht aus einer Leihbibliothek unrechtmaessig versetzt sei. Auch fragt' er sie, ob sie denn nicht glaube, dass in Maulbronn der Dichter selber sie als seine so warme Anbeterin und Goetzen-Dienerin mit einem schoenen Freiexemplare ueberraschen werde, das er wieder selber umsonst habe vom Verleger. »Ich komme ihm zuvor«, sagte Niess, »ich habe von ihm selber fuenf Prachtexemplare zum Geschenk und gebe gern eines davon um den Preis hin, den es mich kostet.« Theoda hatte Zweifel ueber das Annehmen, aber der Vater schlug alle nieder und sagte zum Edelmanne mit naerrischen Grimassen: »Herr von Niess, ich mache von so etwas Geniessbaren Niessbrauch so wie von allen kostspieligen Auslagen, die Sie bisher auf der Reise vorschossen, weil Sie vielleicht wissen, dass ich ein schlechter Zahl- und Rechenmeister bin; aber am Ende der Reise, hoff' ich, sollen Sie mich kennen lernen.« Niess bat Theoda in sein Zimmer zu folgen, wo er ihr vom Dichter vielleicht noch etwas Lieberes zu geben habe als das Gedruckte. Er fuehrte sie vor die oben gedachte Fensterscheiben-Inschrift. Als sie die Theudobachische Hand und die schoenen Liebeworte erblickte und nun gewiss wusste, dass sie, den Boden und die Nachbarschaft mit ihrem Helden teilend, gleichsam in dessen Atmosphaere gekommen, wie die Erde in die der Sonne*: so zitterte das Herz vor Lust, und die Prachtausgabe verlor fast gegen die Fenster-Schrift. Niess sah das feuchte Auge und hielt sich mit Gewalt, um nicht mit dem Bekenntnis seines zweiten Namens ihr ans Herz zu fallen, aber ihre Hand drueckte er heftig und malte geruehrt den Theaterstreich am Fenster nicht weiter aus. Beide gingen halb trunken zum Doktor zurueck. Dieser hatte eben teuer den Folioband vom Wirte erhandelt, naemlich Soemmerings Abbildungen und Beschreibungen einiger Missgeburten, die sich ehemals auf dem anatomischen Theater zu Kassel befanden. Fol. Mainz 1791. Nicht nur das Paar, auch der Wirt sah, mit welchem Entzuecken er die Missgeburten verschlang. Da nun ein Wirt, wie jeder Handelmann, bei jedem Kaeufer ungern aufhoert zu verkaufen, so sagte der Wirt: »Ich bin vielleicht imstande, einem Liebhaber mit einer der veritabelsten ausgestopften Missgeburten aufzuwarten, die je auf acht Beinen herumgelaufen.« - »Wie, wo, wenn, was?« rief der Doktor, auf den Gastwirt rennend. »Gleich!« versetzte dieser und entschoss. »Gott gebe doch«, fing Katzenberger an, gegen den Edelmann sich wendend, »dass er etwas wahrhaft Missgebornes bringt. Ich weiss nicht, haben Sie meine de monstris epistola gelesen oder nicht; inzwischen habe ich darin ohne Bedenken die allgemeine Gleichgueltigkeit gegen echte Missgeburten geruegt und es sei frei herausgesagt, wie man Wesen vernachlaessigt, die uns am ersten die organischen Baugesetze eben durch ihre Abweichungen gotischer Bauart lehren koennen. Gerade die Weise, wie die Natur zufaellige Durchkreuzungen und Aufgaben (z. B. zweier Leiber mit Einem Kopfe) doch organisch aufzuloesen weiss, dies belehrt. Sagen Sie mir nicht, dass Missgeburten nicht bestehen, als widernatuerlich; jede musste einmal natuerlich sein, sonst haette sie nicht bis zum Leben und Erscheinen bestanden; und wissen wir denn, welche versteckte organische Missteile und ueberteile eben auch Ihrem oder meinem Bestehen zuletzt die Ewigkeit nehmen? Alles Leben, auch nur Einer Minute, hat ewige Gesetze hinter sich; und ein Monstrum ist bloss ein Gesetzbuch mehrerer foederativen Staatkoerperchen auf einmal; auch die unregelmaessigste Gestalt bildete sich nach den regelmaessigsten Gesetzen (unregelmaessige Regeln sind Unsinn). Eben darum koennte aber aus Missgeburten als den hoehern Haruspizien oder passiven Blutzeugen bei geschickter Zergliederung mehr Einsicht gewonnen worden sein als aus allem Alltagvieh, sobald man nur besser diese Sehroehre und Operngucker ins Lebensreich haette zu richten verstanden, und wenn man ueberhaupt, Herr von Niess, so seltene Cicerone und Zeichendeuter, die eben gerade, wie die Wandelsterne, in ihren Verfinsterungen am meisten geistig erleuchten, sorgfaeltiger aufgehoben haette. Wo ist aber - mein elendes ausgenommen - noch ein ordentliches Missgeburtenkabinett? Welcher Staat hat noch Preise auf Einliefern von monstris gesetzt, geschweige auf Erzeugung derselben, wie doch bei Blumen geschehen? Geht ein Monstrum als ein wahrer Solitaer der Wissenschaft unter, so ist man noch gleichgueltiger, als waere ein Schock leicht zu zeugender Werkeltagleiber an der Ruhr verschieden. Wer kann denn aber eine Missgeburt, die sich so wenig als ein Genie fortpflanzt - denn sie ist selber ein koerperliches, eine Einzigperle - nicht einmal ein Sonntagkind, sondern ein Schalttagkind -, ersetzen, ich bitte jeden? Ich fuer meine Person koennte fuer dergleichen viel hingeben, ich koennte z. B. mit einer weiblichen Missgeburt, wenn sie sonst durchaus nicht wohlfeiler zu haben waere, in den Stand der Ehe treten; und ich will dirs nicht verstecken, Theoda - da die Sache aus reiner Wissenschaftliebe geschah und ich gerade an der Epistel de monstris schrieb -, dass ich an deiner sel. Mutter waehrend ihrer guten Hoffnung eben nicht sehr darauf dachte, aufrechte Tanzbaeren, Affen oder kleine Schrecken und meine Kabinetts-Pretiosen fern von ihr zu halten, weil sie doch im schlimmsten Falle bloss mit einem monstrosen Ehesegen mein Kabinett um ein Stueck bereichert haette; aber leider, haett' ich beinah' gesagt, aber gottlob sie bescherte mir dich als eine Bestaetigung der Lavaterschen Bemerkung, dass die Muetter, die sich in der Schwangerschaft vor Zerrgeburten am meisten gefuerchtet, gewoehnlich die schoensten gebaeren. Ein Monstrum .... o, du guter Wirt kommst!« Letzter kam an mit dem fast grimmig aussehenden Stadtapotheker und dieser mit einem gut ausgestopften, achtbeinigen Doppel-Hasen, den er wie ein Wickelkind im Arme trug und an die Brust anlegte. Der Doktor sah den Hasen fast mit geifernden Augen an und wollte wie ein Hasengeier auf ihn stossen. »Ich bin - sagte jener und sprang stirn-runzelnd seitwaerts - Pharmazeutikus hiesiger Stadt und habe dieses curiosum in Besitz. Besehen darf es werden, aber unmoeglich begriffen vor dem Einkauf. Ich will es aber auf alle Seiten drehen, und wie es mir gut duenkt; denn es ist seinesgleichen nicht im Lande oder auf Erden.« - »Um Verzeihung«, sagte der Doktor, »im koeniglichen Kabinett zu Chantilly wurde schon ein solcher Doppel-Hase aufbewahrt**, der sogar sich an sich selber, wie an einem Bratenwender, hat umdrehen und auf die vier Relais-Laeufe werfen koennen, um auf ihnen frisch weiterzureisen, waehrend die vier ausgespannten in der Luft ausruhten und selber ritten.« - »Das konnte meiner bei Lebzeiten auch«, sagte der Apotheker , »und Ihr anderes einfaeltiges Hasenstueck hab' ich gar nicht gesehen und gebe nicht einen Loeffel von meinem darum.« Jetzo nannte er den Kaufschilling. Bekanntlich wurde unter dem minderjaehrigen Ludwig XV. der Greisenkopf auf den alten Louisd'or von Ludwig XIV. bloss durch den Druck eines Rades in den noch lebendigen Kinderkopf umgemuenzt; worauf sie 20 Livres statt 16 galten. Fuer ein solches Geld-Kopfstueck, und zwar fuer ein vollwichtiges, wollte der Apotheker seinen Hasen mit 4 Loeffeln, 2 Koepfen etc. hergeben. Nun hatte der Doktor wirklich ein solches bei sich; nur aber wars um viele Asse zu leicht und ihm gar nicht feil. Er bot halb so viel an Silbergeld - dann ebenso viel - dann streichelte er den Pharmazeutikus am duerren Arme herab, um in seinem Heisshunger nur, wie der blinde Angelo den Torso, so den Pelz der Hasen zu befuehlen, die er wie ein Kalmucke goettlich verehrte. - Endlich zeigte er noch seinen langen Hakenstock vor und zog aus dessen Scheide, wie einen giftigen Bienenstachel, einen langen befiederten amerikanischen Giftpfeil vor und sagte, diesen Pfeil, womit der Pharmazeutikus jeden Feind auf der Stelle erlegen koennte, woll' er noch drein schenken. Bisher hatte dieser immer drei Schritte auf und ab getan, kopfschuettelnd und schweigend; jetzo trug er ohne weiteres seinen Hasenvielfuss zur Tuere hinaus und sagte bloss: »Bis morgen frueh steht viel feil ums Goldstueck; aber mittags katz ab!« - »Es ist mein Herzens-Gevatter«, sagte der Wirt, »und ein obstinater Mann, aber dabei blitzwunderlich; ich sage Ihnen aber, Sie kriegen ebenso wenig den Hasen einzupacken als den Rathaus-Turm, wofern Sie kein solches Kopfstueck ausbatzen; er hat seinen Kopf darauf gesetzt.« - »Gibts denn«, sagte der Doktor, »einen groessern Spitzbuben? Ich habe freilich eins, aber es ist zu gut, zu volloetig fuer ihn - doch werd' ich sehen.« - »So tue«, sagte der Wirt, »doch unser Herr Gott sein Bestes und bringe zwei solche Herren zusammen!« Der Poet Niess hatte aus dem Vorfalle eine ganze Theaterkasse voll Einfaelle und Situationen erhoben; und auf der Stelle den Plan zu einer komischen Oper entworfen, worin nichts als Missgeburten handeln und singen sollten. 15. Summula Hasenkrieg. Der Doktor hatte eine unruhigere Nacht als irgend einer seiner Heilkunden, weniger weil ein Goldstueck fuer das Natur-Kunstwerk zu zahlen war, als weil dasselbe sehr zu leicht war. Endlich fiel ihm gegen Mitternacht der Kunstgriff eines christlichen Kaufmanns bei, der zu leichten Goldstuecken nicht juedisch durch Beschneidung, sondern vielmehr mit etwas Ohrenschmalz, als Taufe und oelung, das alte Gewicht zurueckgab. Er stand auf und nahm seine Gehoerwerkzeuge und gab dem Louis XIV et XV d'or, ohne alle Reims-Flaeschchen, so viele Salbung, bis er sein Gewicht hatte. Fruehmorgens schickte er durch den Wirt die Nachricht in die Apotheke: er gehe den Kauf ein und werde bald vor ihr mit seinem Wagen halten. Man antwortete darauf zurueck: »Gestern waer' es zwar ebenso gut abzumachen gewesen; aber meinetwegen!« Der Doktor sann sich viele List- und Gewalt-Mittel - d. h. Frieden-Unterhandlungen und Krieglisten - aus, um die Foederativ-Hasen zu bekommen; und er war, im Falle gute Worte, naemlich falsche, nicht verfingen, zum aeussersten, zu Mord und Totschlag entschlossen; weshalb er seinen Arm mit dem giftigen Gemshornstock armierte. Vor der Apotheke befahl er, aus dem Wagen springend, die Tuere offen zu lassen und, sobald er gelaufen kaeme, fliegend mit ihm abzurennen. Er hatte sich vorgenommen, anfangs dem Fuchse zu gleichen, der so lange sich einem Hasen naeher tanzt, bis der Hase selber in den Tanz einfaellt, worauf der Fuchs ihn leicht in Totentaenze hineinzieht.* Er stieg dann aus - hielt ein zweikoepfiges Goldstueck bloss zwischen Mittelfinger und Daumen am Rande, um es mehr zu zeigen, und um nichts vom Folien-Golde wegzureiben - und war jedes Wortes gewiss, das er sagen wollte. Er konnte sich aber beim Eintritte nicht viel Vorteil fuer seine Anrede oder Benevolenz-Kaptanz von dem Umstande versprechen, dass gerade das Subjekt** und der Provisor giftigen Bilsensamen in Moerser stampften; da nach allen Giftlehrern dieses Giftkraut unter dem Stossen und Kochen den Arbeiter unter der Hand in ein toll-erbostes, bissiges Wesen umsetzt. Indes fing er - mit dem Goldstueck in der Hand, wie ein venedischer Sbirre mit einem auf der Muetze - sein freundschaftliches Anreden mit Vergnuegen an, weil er wusste, dass er stets mit der sanften Hirtenfloete den, dem er sie vor tauben Ohren blies, leicht hinter dieselben schlagen konnte. »Herr Amtbruder«, sagt' er, »meine de monstris epistola (Sendschreiben ueber Missgeburten) kennen Sie wahrscheinlich frueher als irgend ein Protomedikus und Obersanitaetrat in ganz groessern Staedten; sonst haetten Sie sich vielleicht weniger auf Missgeburten gelegt. Ihr Monstrum, gesteh' ich Ihnen gern - denn es ist zu sehr gegen meine Sinnes-Art, etwas herabzusetzen, bloss weil ich es erhandeln will -, ist, wie Sie selber trefflich sagten, ein curiosum; in der Tat ist Ihr Dioskuren-Hase (Sie verstehen mich leicht) wie ein Doppel-Adler gleichsam eine lebendige Sozietaet-Insel, ein zusammengewachsenes Hasen-tête-à-tête. Sie wissen alles, wenn nicht mehr. Sie sehen aus meinem Goldstueck in der Hand, ich gebe alles dafuer; waer' es nur deshalb, um neben meiner Wissbegierde noch die des Fuersten im Maulbronner-Bad, meines intimen dicken Freundes, zu befriedigen; ich weiss zwar nicht, ob sie bei ihm dabei verlieren, dass Sie den Doppel-Hasen frueher aufgetrieben und besessen als ich; aber ich weiss, dass Sie dabei gewinnen, und dass ich ihm sagen werde, wie Sie sich schreiben, und dass nur Sie mir die Hasen abgelassen.« »Ich will jetzt das Goldstueck waegen«, versetzte der Apotheker und gab das Hasenpaar dem Provisor hin, der es mit vorfechtenden Blicken als Schutzheiliger auf- und abtrug. - Das Subjekt stiess feurig fort und sott ohne Not in eignen Augenhoehlen seine Eiweiss-Augen krebsrot. - Der Prinzipal stand im feuernden Krebs als Sonne und zitterte vor Hast, als er die Goldwaage hielt. Die ganze Apotheke war die Sakristei zu einer streitenden Kirche. - Katzenberger aber zeigte sich mild und schien als kalte Sonne im Steinbock. »Mein Gold«, sagt' er, da es etwas in die Hoehe ging, »ist wohl ueberwichtig; denn Sie halten nicht fest genug, und so fliegts auf und ab.« - - »Wenn nicht Harn dran ist, ders schwer macht«, sagte der Apotheker und berochs; worauf er das Goldstueck versuchweise ein wenig am Oberrockfutter zu scheuern begann. Aber der Doktor fing seine Hand, damit er nicht die auf die Goldmuenze aufgetragne Schaumuenze wegfeile, und sagte ihm frei heraus: »Er halte ihn zwar fuer den ehrlichsten Mann in der ganzen Apotheke, aber er koenne deshalb doch nicht vergessen, dass in verschiedenen Leipziger und Frankfurter Messen Juden gestanden, welche ein feines Reibeisen im Unterfutter eingenaeht getragen, womit sie unter dem Vorwande der Reinigung von den besten Fuerstend'or Goldstaub abgekratzt und dann mitgenommen.« »Fremder Herr! Mordieu! Ihr Geld (sagte der Mann) wird ja immer leichter, je laenger ich waege. - Ein Ass ums andre fehlt.« »Wir wollen beide nichts daraus machen, Herr Amtbruder - sagte der Doktor und klopfte auf dessen spitze Achsel -, sondern als echte Freunde scheiden, zumal da man hinter uns Bilsensamen stampft; Sie kennen dessen Einfluss auf Schlaegereien, in denen ohnehin jeder Charakter, wie eine Sommerkrankheit, leicht einen gewissen bilioesen oder gallichten Charakter annimmt. Wir beide nicht also!« »Sacker, zehnmal zu leicht! (rief der Apotheker, die Goldwaage hoch ueber den Kopf haltend) An keinen Hasen zu denken!« Aber der Doktor hatte schon daran gedacht; denn er hatte den aufs Gespraech horchenden Provisor mit dem Schnabelstocke, den er als ein Kammrad in dessen Zopf eingreifen lassen, rueckwaerts auf den Boden wie in einen Sarg niedergelegt und ihm im Umwerfen die Missgeburt aus der Hand gezogen. Wie ein Krebs trat er den Rueckzug an, um mit dem Gemshornstock vorwaerts in die Apotheke hineinzufechten. Der Landsturm darin organisierte sich bald. Wuetig warf sich der Provisor herum und empor und feuerte (er konnte nicht waehlen) mit Kraeutersaeckchen, Kirschkernsteinen, die erst zu extrahieren waren, mit alten Ostereiern voll angemalter Vergissmeinnicht dem Doktor auf die Backenknochen. - Der Apotheker hatte erstaunt das Goldstueck fallen lassen und sucht' es unten mit Grimm. - Das Subjekt stocherte mit dem Stoessel bloss auf dem Moerserrand und drehte sich selber fast den Kopf ab, um mehr zu sehen. - Unten schrie der gebueckte Apotheker: »Greift den Hasen, greift den Hund!« - »Nur auf ein ruhiges Wort, meine Herren!« rief Katzenberger ausparierend. »Das Bilsenkraut erhitzt uns alle, und am Ende muesste ich hier gar als Arzt verfahren und dagegen rezeptieren und geben, es sei nun, dass ich dem Patienten, der zu mir kaeme, entweder das Gemsenhorn meines aeskulapischen Stabs als einen kuehlenden Blutigel auf die Nasenfluegel wuerfe, oder diese selber damit aufschlitzte, um ihm Luft zu machen, oder das Horn als einen fluechtigen Gehirnbohrer in seine Kopfnaht einsetzte. - - Aber den Hasen behalt' ich, Geliebte!« Nun stieg die Krieglohe gen Himmel. Der Apotheker ging auf ihn mit einer langen Papierschere los, sie, wie ein Hummer die seinigen, aufsperrend; - Katzenberger indes hob ihm bloss mit dem Skalpier-Stock leicht eine Vorstecklocke aus; der Provisor schnellte eine der feinsten chirurgischen Splitterscheren ab, die zum Glueck nur in den langen aermel weit hinterfuhr. - Katzenberger aber liess auf ihn durch den Druck einer Springfeder sein Gemsenhorn, woran noch die Vorstecklocke des Vorgesetzten hing, abfahren und schoss damit die ganze linke Brustwarze des Provisors zusammen, wiewohl die Welt, da er mit ihr nichts saeugte, dabei weniger verlor als er selber. - Das Subjekt hielt im Nachtrabe den Stoessel in die Luefte aufgehoben und drohte nach Vermoegen. -- Aber jetzt ersah der Pharmazeutikus den langen amerikanischen Giftpfeil nackt vorstechend und wollte hinter den Subjekts-Hintergrund zurueck. - »Um Gottes Willen, Leute«, rief der Doktor, »rettet euch - springt insgesamt zurueck - auf wen ich diesen Giftpfeil zuwerfe, der faellt auf der Stelle tot nieder, eh' er nur meinen Steiss erblickt!« Da der Mensch stets neue Waffen und Gefahren mehr scheut als die gefaehrlichsten bekannten: so ging die ganze pharmazeutische Fechtschule rueckwaerts; und der Doktor ohnehin, bis er auf diese Weise mit seinem Hasen und dem zielenden Wurfspiess und seinem Ruecken an den Fusstritt seines Wagens gelangte. Darauf fiel zwar die erhitzte Apotheke wieder von ferne aus - der Apotheker begleitete den Siegwagen wie einen roemischen mit Schimpfworten - der Provisor schleuderte praeparierte Glaeser voll Kuehltraenke dem Hasendiebe nach und zerrte vor Wut, um die Brustwarze und die Splitterschere gebracht zu sein, mit beiden Zeigefingern die beiden Mundwinkel bis an den Backenbart auseinander, um allgemeines Grausen auszubreiten - und das Subjekt hieb in der Weite mit der Moerserkeule heftig in das Stein-Pflaster und kegelte noch mit den Fuessen Steine nach; inzwischen Katzenberger und die Hasen fuhren ab, und er lachte munter zurueck. So aber, ihr Menschen, schnappen oefters Krieg-Trubeln passabel ab, und am Friedenfeste sagt der eine: ich bin noch der Alte und wie neugeboren - und der zweite: verflucht! wir leben ja ordentlich wieder auf - und der dritte: ich haette mehr wissen sollen, ich haette mich weniger gefuerchtet; denn mein Herz sitzt wohl auf dem rechten Fleck - und der vierte: aber die Hasen haben wir doch in diesem Kriege verloren. Indes hat darin ausser dem Doktor, der nicht durch einen Doppeladler, sondern einen Doppeladler selber gewann, noch eine Person viel erbeutet, welche dem Leser die naechste ist, naemlich ich hier. Zweite Auflagen haben den Vorzug, dass man darin Sachen sagen kann, welche durchaus in keiner ersten vorzubringen sind; so konnt' ich in der ersten dieses Werks gar nicht die schoene Nachricht mitteilen, dass der beruehmte Zergliederer Johann Friedrich Meckel in Halle - der Erbe und Mehrer des Reiches von vaeterlichem Ruhm - mir im Jahr 1815 seinen de duplicitate monstrosa commentarium nicht nur geschenkt, sondern auch zugeeignet, und zwar in einem schoenern Latein, als ich noch erlernen kann. Niemand aber hab' ich diese lateinische Triumphpforte zu verdanken als - laut der Zuneigung - den Grundsaetzen und Krieglisten des Dr. Katzenbergers, der jetzo den kenntnisvollen und scharfsinnigen Commentarius selber laengst in Haenden haben und sich ueber Buch und sich und mich erfreuen muss. Und hiemit erhalte Meckel nach dem geschriebnen Dank auch den gedruckten fuer sein Foliobaendchen ueber den organischen Dualis oder die monstroese Doppelheit, die an Koerpern ebenso selten als widrig ist, indes die haeufigere Doppelheit an Seelen weit angenehmer wirkt und sich auf die Zunge einschraenkt durch Doppelzuengigkeit, Doppelsinn u. s. w. 16. Summula Ankunft-Sitzung. Niemand fuhr wohl jemals froher mit Hasen als Katzenberger mit seinen. Es war ihm ein leichtes und ein Spass, mit seiner Missgeburt im Arm jedes Wort auszudauern, das Niess von erster Jugendliebe, dem Fruehgottesdienst gegen weibliche Goettinnen und von Theudobachs seligmachendem Glauben an diese ihm an die Ohren warf; denn er wusste, was er hatte. Suesslich durchtastete er den Hasen-Zwilling und weidete ihn geistig aus. Seinem Kutscher befahl er, jetzt am wenigsten umzuwerfen, weil er sonst die Hasen bezahlen muesste und nachher aus dem Dienst gejagt wuerde ohne Livrei. Nun schlug er der Gesellschaft, eigentlich dem Edelmanne, die Frage zur Abstimmung vor, ob man schon die naechste Nacht sehr spaet in Maulbronn anlangen wolle oder lieber in Fugnitz verbleiben, der Zaeckinger Grenzstadt, wenige Stunden von Maulbronn. Theoda bestand auf schnelle Ankunft; sie wollte wenigstens mit dem schlafenden Dichter in demselben gelobten Lande und unter Einer Wolke sein. Der Edelmann sagte, er habe den eigennuetzigen Wunsch, erst morgen anzukommen, weil ein Wagen enger vereinige als ein Baddorf. Die heimlichem Gruende seines Wunsches waren, am Tage vom Turm herab mit dem Bade-Staendchen angeblasen zu werden - ferner sich den Genuss des Inkognitos und das Hineinfuehlen in Theodas wachsende Herzspannung zu verlaengern - und endlich, um mit ihr abends durch das gewachsene Mondlicht spazieren zu waten. Der Doktor schlug sich mit Freuden zu ihm; Niess trug mit dichterischer Grossmut die Frachtkosten fuer ihn und kuerzte aus dichterischer Weichlichkeit alles Reise-Gezaenk durch Doppel-Gaben ab, um auch die kleinsten Himmelstuermer von seinem Freuden-Himmel fernzuhalten. »Ohnehin - sagte der Doktor - muess' er in Fugnitz eine neue Scheide fuer seinen gefaehrlichen Giftpfeil machen lassen; und er reise ja ueberhaupt nur nach dem Bad-Neste, um da einen unreifen Rezensenten, den er nicht eher nenne, bis er ihn injuriert habe, auf jene Weise zu versuessen, wie man nach Doktor Darwin unreife aepfel suess mache, naemlich durch Zerstampfen; wiewohl er sich beim Manne nur auf Pruegel einschraenke.« (Fortsetzung im zweiten Baendchen) Zweites Baendchen Zweite Abteilung 17. Summula Blosse Station. Ihr Wirtshaus war ein Posthaus, und zwar gluecklicherweise fuer den Doktor. Denn waehrend der Posthalter sich mit der Missgeburt abgab: fand jener Gelegenheit, einen dicken unfrankierten Briefwuerfel, an sich ueberschrieben, ungesehen einzustecken als Selb-Brieftraeger. Nicht etwa, dass ers stehlen wollte - was er am liebsten getan haette, waere nicht der unschuldige Posthalter dadurch doppelt schuldig geworden, einmal an Ruf, dann an Geld -, sondern er nahms, um es ehrlich wieder hinzulegen, wenn ers mit zarter Hand aufgemacht, um zu erfahren, was darin sei, und ob der Bettel das Porto verlohne, oder ob er aussen auf den Umschlag zu schreiben habe: retour, wird nicht angenommen. Vor der Nase des Brieftraegers konnt' er nicht, ohne zu bezahlen, erbrechen; ob er gleich das Aufmachen, in der Hoffnung, einen recht gelehrten und bloss der Sicherheit wegen unfrankierten Brief zu gewinnen, selten lassen konnte. Indes der Schreck, dass er vor einigen Wochen eine schwere grobe Briefhuelse und -schale aufgeknackt, woraus er fuer sein Geld nichts herauszuziehen bekommen als die gruene Nuss von einer Praenumerantenwerbung fuer einen Band poetischer Versuche samt einigen beigelegten, dieser Schreck fuhr ihm bei jedem neuen Briefquader in die Glieder. - Zum Unglueck aber war in dem fein geoeffneten Brieftestament dieses Mal eine herrliche Erbschaft von den wichtigsten, mit kleinster Schrift geschriebenen Bemerkungen ueber alle seine Werke, und zwar von Dr. Semmelmann, fuerstlichem Leibarzt in Maulbronn. Auf der Stelle versiegelte er entzueckt das Paket und legt' es auf den alten Platz zurueck, um eine Viertelstunde darauf vor dem Posthalter sich anzustellen, als saeh' er eben ein an sich adressiertes Briefschreiben, das er sofort ausloesen und bezahlen wolle. Aber der kurzstirnige Posthalter gabs durchaus nicht her, »er halt' es als Posthalter postfest«, sagte er, »bis auf die Station, und da koenn' es der Herr selber holen, wenn er keine postraeuberische Absichten habe, was ein Posthalter nicht riechen koenne«. Nie bereute Katzenberger seine Ehrlichkeit aufrichtiger als dieses Mal; aber in die dicke Kurzstirn war kein Licht und kein Blitz und kein Donnerkeil zu treiben; und Katzenberger hatte von seinem Wuenschen nichts weiter, als dass der Posthalter, ueber ein so unsinniges Ansinnen erbittert, ihm die Zeche verdoppelt anschrieb, und er selber zwischen Fortreisen nach Maulbronn und zwischen Umkehren, dem Semmelmannschen Pakete hintennach, ins Schwanken geriet. Im ganzen bewahrte Katzenberger sich durch einen gewissen Egoismus vor allem Nepotismus. Eigentlich ist jede Menschenliebe, sobald sie auf besonderes Begluecken, nicht auf ruhiges Liebhaben anderer ausgeht, vom Nepotismus wenig unterschieden, da alle Menschen ja, von Adam her, Verwandte sind. Daher auch Maenner in hohen Posten den Schein eines solchen Nepotismus gegen adamitische Verwandte so sehr fliehen. uebrigens laesset gerade diese Verwandtschaft von Jahr zu Jahr mehr ruhige kalte Behandlung der Menschen hoffen; denn mit jedem Jahrhundert, das uns weiter von Adam entfernt, werden die Menschen weitlaeuftigere Anverwandte voneinander und am Ende nur kahle Namenvettern, so dass man zuletzt nichts mehr zu lieben und zu versorgen braucht als nur sich. 18. Summula Maennikes Seegefecht. Um den Leser nicht durch zu viel Ernst und Staat-Geschichte zu ueberspannen, moege ein unbedeutendes Seegefecht, im Staedtchen Hoeflein, wo die Pferde Vesperbrot und Vesperwasser bekamen, hier eine kurze Unterbrechung gewaehren duerfen, ohne dadurch den Ton des Ganzen zu stoeren. Der Wasserspringer Maennike hatte naemlich den ganzen Hoefleiner Adel und Poebel auf die Bruecke des Orts zusammengeladen, damit beide saehen, ob er auf dem Wasser so viel vermochte und gewaenne als die Briten-Insel, diese Untiefe und Klippe des strandenden Europas. Der Springer, der sowohl bemitleidet als bewundert zu werden wuenschte, und der unten im Nassen recht in seinem Elemente sein wollte, hatte dem Staedtchen versprochen, im Wasser Tabak zu rauchen, mit einem Schiebekarren zu fahren, anderthalb Klafter hoch Freudenwasser wie Freudenfeuer zu speien, gleich einem Flussgotte von Stein, und dann im Strome noch groessere Kunststuecke fuer morgen der erstaunten Bruecke zu versprechen. Die Reisegesellschaft, die Pferde ausgenommen, begab sich gleichfalls auf die Bruecke und machte gern einer herfliegenden gebratenen Taube den Mund auf. Der Wasserspringer tat in der Tat, so weit Nachrichten reichen, das Seinige und den Rittersprung vom Gelaender ins Wasser zuerst und stahl sich in viele Herzen. Inzwischen stand auf der Bruecken-Bruestung ein laengst in Hoeflein angesessener Hallore aus Halle, der mehrmals murmelte: Die Pestilenz ueber den Hallpursch! Er wollte sich wahrscheinlich in seiner Sprache ausdruecken und sich so Luft verschaffen, da er durch den Nebenbuhler unten im Wasser so lange auf dem Gelaender gelitten. Katzenberger neben ihm zeigte mit dem Finger wechselnd auf Maennike und den Halloren, als woll' er sagen: Pavian, so spring nach! Endlich hielt der Hallore es auch nicht mehr aus - sondern warf seinen halben Habit hinter sich, die Leder-Kappe, - fuhr wie ein Stechfinke auf das Finken-Maennchen in seinem Wassergehege - und machte den Sprung auf Maennikes Schienbeine herunter, als dieser eben zurueckliegend sein Freudenwasser aufwaerts spie und, den offnen Himmel im Auge, anfangs gar nicht wusste, was er von der Sache halten sollte, vom Kerl auf seinen Beinen. Aber sein Nebenmann und Badegast zuendete eilig Licht in seinem Kopf an, indem er den letzten bei den Haaren nahm und so - die Faust sollte den Raufdegen oder Raufer spielen - geschickt genug das Lusttreffen einleitete. Denn da diese neue Seemacht die Knie als Anker auf Maennikes Bauchfell auswarf und zuvoerderst die Zitadelle der Festung, naemlich den Kommandanten, d. h. dessen Kopf, besetzt und genommen hatte: so musste sich fuer jedes Herz auf der Bruecke ein anmutiges Vesperturnier anfangen oder eine fluechtige republikanische Hochzeit, folglich deren Scheidung auf dem nassen Wege. In der Tat pruegelte jeder von beiden den andern genug - keiner konnte im lauten Wasser sein eignes Wort hoeren, geschweige Vernunft; nicht nur nach Lebensluft des Lebens, sogar nach Ehren-Wind der Fama mussten beide schnappen - die schoensten Taten und Stoesse entwischten der Geschichte. Gluecklicherweise stiess der Hallore und Fluss-Mineur unten auf den Schiebkarren, womit Maennike als auf einem Triumphkarren vor wenigen Minuten wie ein glaenzender Wassermann oder waessriges Meteor gefahren war und sich von der Bruecke hatte mit Lob beregnen lassen. - Der Hallore fasste den Vorspringer und stuelpte ihn so abgemessen auf den Karren, dass dessen Gesicht aufs Rad hinaussah und die beiden Beine mit den Zehen auf die Karren-Gabel fest geheftet lagen. So schob er den verdienten Artisten ans Ufer hinaus, wo er erwartete, was die Welt zu seiner Fischgerechtigkeit, Fischer zu fangen, sagen wuerde. Die Freude war allgemein, Herr Maennike wuenschte waehrend derselben auf dem terminierenden Teller Brueckenzoll im schoenern Sinne einzufodern; aber die Hoefleiner wollten wenig geben. Der Doktor nahm sich der Menge an und sagte: Mit Recht! Jeder habe wie Er bloss dem guten eingepfarrten ansaessigen Halloren, ders umsonst getan, zugesehen, weiter keinem; am wenigsten Herrn Maennike, dem spaetern Nebenregenbogen des Hallensers. »Ich selber«, beschloss er, »gebe am wenigsten, ich bin Fremder.« Da nun das Wenigste Nichts ist, so gab er nichts und ging davon; - und der Ketzer-Glaube, gratis zugesehen zu haben, frass auf der Bruecke auffallend um sich. 19. Summula Mondbelustigungen. Auf der kurzen Fahrt nach Fugnitz wurde sehr geschwiegen. Der Edelmann sah den nahen Lunas-Abend mitten im Sonnenlichte schimmern; und der Mondschein mattete sich, aus dieser Seelen-Ferne geschauet, zu einem zweiten zaertern ab. Theoda sah die niedergehende Sonne an, und ihr Vater den Hasen. Die stille Gesellschaft hatte den Schein einer verstimmten; gleichwohl bluehte hinter allen aeussern Knochen-Gittern ein voller haengender Garten. Woher kommts, dass der Mensch - sogar der selber, der in solchem Dunkel ueberwoelbter Herzens-Paradiese schwelgt und schweigt - gleichwohl so schwer Verstummen fuer Entzuecken haelt, als fehle nur dem Schmerz die Zunge, als tue bloss die Nonne das Geluebde des Schweigens, nicht auch die Braut, und als geb' es nicht ebenso gut stumme Engel wie stumme Teufel? Im Nachtquartiere traf sichs fuer den Edelmann sehr gluecklich, dass in die Fenster der nahe Gottesacker mit getuenchten und vergoldeten Gabmaelern glaenzte, von Obstbaeumen mit Zauberschatten und vom Mond mit Zauberlichtern geschmueckt. Es wurd' ihm bisher neben Theoda immer wohler und voller ums Herz; gerade ihr Scherz und ihr Ungestuem, womit ihre Gefuehle wie noch mit einer Puppen-Huelse ausflogen, ueberraschten den ueberfeinerten und Verwoehnten; und die Naehe eines entgegengesetzten Vaters hob mit Schlagschatten ihre Lichter; denn er musste denken: wem hat sie ihr Herz zu danken als allein ihrem Herzen? - Haette er die Erfahrung der Soldaten und Dichter nicht gehabt, zu siegen wie Caesar, wenn er kaeme und - gesehen wuerde oder gar gehoert - wie denn schon am Himmel der Liebestern sich nie so weit vom dichterischen Sonnengott verliert, dass er in Gegenschein oder Entgegensetzung mit ihm geriete -. waere dies nicht gewesen, Niess wuerde anders prangen in dieser Geschichte. Im Fugnitzer Wirthaus geriet er mit sich in folgendes Selbgespraech: »Ja, ich wag' es heute und sag' ihr alles, mein Herz und mein Glueck. - Blickt sie neben mir allein in den stillen Mond und auf die Graeber und in die Blueten: so wird sie das Wort meiner Liebe besser verstehen; o dann soll das reine Gemuet den Lohn empfangen und der geliebte Dichter sich ihm nennen. Wenn sie aber nein sagte? - Kann sie es denn? Geb' ich ihr nicht meinen Stand und alles und mein Herz? Und bist du denn so unwert, du armes Herz? Schlaegst du nicht fuer fremde Freuden und Leiden stark? Und noch niemand hab' ich ungluecklich machen wollen. Nicht stark genug ist mein unschuldiges Herz, aber ich hasse doch jede Schwaeche und liebe jede Kraft. O waeren nur meine Verhaeltnisse anders und haett' ich meine Seelenzwecke erreicht: ich wollte leicht trotzen und sterben. Woraus schoepft' ich denn meinen 'Ritter groesserer Zeit' als aus meiner Brust? - Meinetwegen! - Sagt sie doch nein und verkennt mich und liebt nur den Autor, nicht den Menschen: so bestraf' ich sie im Badeort und nenne mich - und dann verzeih' ich ihr doch wieder von Herzen.« Am Ende und zumal hier nach dem Lesen dieses Selbgespraechs werf' ich mir selber vor, dass ich vielleicht meinem fatalen Hange zum Scherztreiben zu weit nachgegeben und den guten Poeten in Streiflichter hineingefuehrt, in denen er eigentlich laecherlich aussieht und fast schwach. Kann er denn so viel dafuer, dass seine Phantasie staerker als sein Charakter ist und Hoeheres ihm abfodert und andern vormalt,- als dieser ausfuehren kann? Und soll denn ein Petrus, weil er einmal dreimal verleugnete, darum keine zwei Episteln Petri schreiben? - Freilich von Eitelkeit kann ich ihn nicht losschwoeren, aber diese bewahrt (wie Hautausschlaege vor der Pest) ihn vor Beulen des Hochmuts und Geschwulst des Stolzes. - Denn was sonst Theoda betrifft, die er so sehr lieben will, und zwar auf alle seine Kosten, so taete wohl jeder von uns dasselbe, wenn er nicht schon eine haette oder gar etwas Besseres. Wir kommen nun wieder auf die Spruenge seiner Freierfuesse zurueck. Er schlug, als das Glueck die Gabe verdoppelt, naemlich den Doktor ausgeschickt hatte, Theodan den Nachtgang ins rechte Nachtquartier der Menschen, in den Gottesacker vor. Sie nahm es ohne Umstaende und Ausfluechte an; so gern sie lieber ihre heutige Herz-Enge nur einsam ins Weite getragen haette; Furcht vor boesen Maennern vorher und vor boesen Zungen nachher war ihr ungewohnt. Als nun beide im Mond-Helldunkel und im Kirchhofe waren, und Theoda heute beklommener als je fortschritt, und sie vor ihm mit dem neuen Ernste (einem neuen Reize) dem alten Scherze den weichen Kranz aufsetzte, und als er den Mond als eine Leuchtkugel in ihre Seelen-Veste warf, um zu ersehen und zu erobern: so hoert' er deutlich, dass hinter ihm mit etwas anderm geworfen wurde. Er schaute sich um und sah gerade bei dem Gitter-Pfoertchen einige Totenkoepfe sitzen und gaffen, die er gar nicht beim Eintritte bemerkt zu haben sich entsinnen konnte. Inzwischen je oefter er sich umkehrte, desto mehr erhob sich die Schaedelstaette empor. Sehr gleichgueltige und verdriessliche Gespenster-Gedanken wie diese bringen um den halben Flug, und Niess senkte sich. Katzenberger - von dem kam alles - hatte sich naemlich laengst in unschuldiger Absicht auf den Gottesacker geschlichen, weniger um Gefuehle als um Knochen einzusammeln, das einzige, was der Menschenfresser, der Tod, ihm zuwarf unter den Tisch. Zufaellig war das Beinhaeuschen, worin er aus einer Knochen-aehrenlese ein vollstaendiges Gerippe auszuheben arbeitete, am Eingangs-Gitterpfoertchen gelegen und hatte mehr den Schein eines grossen Mausoleums als eines kleinen Gebeinhauses. Katzenberger hoerte das dichterische Eingehen und zwei bekannte Stimmen, und er sah durch das Gitter alles und erhorchte noch mehr. Die Natur und die Toten schwiegen, nur die Liebe sprach, obwohl keine Liebe zur andern. Fuer den wissenschaftlichen Katzenberger, der eben mitten unter der scharfen Einkleidung des Lebens wirtschaftete, war daher der Blick auf Niess, der, wie der Doktor sich in einem bekannten Briefe ausdrueckte, »seinen Kopf, wie ein reitender Jaeger den Flintenlauf, immer gen Himmel gerichtet anhaengen hatte«, kein sympathetischer Anblick, obwohl ein antipathetischer. Bei ihm wollte das wenige, das Niess ueber Tote und vermaehlte Herz-Paradiese auf dem Wege hatte fallen lassen, sich wenig empfehlen. Vor allem Warmen ueberlief gewoehnlich des Doktors innern Menschen eine Gaensehaut; kalte Stichworte hingegen rieben wie Schnee seine Brust und Glieder warm und rot. uebrigens verschlang sich seine Seele ziemlich mit der Niessischen, so wie der Werboffizier bei dem Rekruten schlaeft und immer einen Schenkel oder Arm auf ihn legt, um ihn zu behalten im Schlafe. Er nun hatte die Koepfe und Ellenbogen am Pfoertchen angehaeuft. - Endlich liess er gar ein rundes Kinderkoepfchen nach dem Dichter laufen als nach seinem Kegelkoenig. Aber hier nahm Niess aus uebermaessiger Phantasie Reissaus und schwang sich auf einen nahen Birnbaum an der niedern Gottesackermauer, um allda- weil das Knochenwerk als Flossrechen und gestachelter Herisson die Pforte versperrte - ins Freie zu sehen und zu springen. Umsonst rief die ueber seinen Schrecken erschrockne Theoda bange nach, was ihn jage, ihr Vater sammle nur Skelette. Nun trat der Doktor selber aus seinen Schiessscharten heraus, ein wohlerhaltenes Kindergerippe wie eine Bienenkappe auf den Kopf gestuelpt, und begab sich unter den Birnbaum und sagte hinauf: »Am Ende sind Sie es, die selber droben sitzen, und wollen den Gottesacker und die Landschaft besser uebersehen?« Aber Niess, laengst verstaendigt, war waehrend des Hinaufredens des Doktors schon um die Mauer herum und durch das Pfoertchen zurueckgerannt und erfasste jetzo, mit zwei aufgerafften Armknochen in Haenden, hinten den Doktor an den Achselknochen, worueber er die bleichen ragen liess, mit den Worten: »Ich bin der Tod, Spoetter!« Katzenberger drehte sich selber ruhig um; da lachte der Poet ungemein, mit den Worten: »Nun so haben wir beide unsern lustigen Zweck einer kleinen Schrecken-Zeit verfehlt; nur aber Sie zuerst!« - »Ich fuer meine Person fahre gern zusammen - versetzte der Doktor -, weil Schrecken staerkt, indes Furcht nur schwaecht. In Hallers Physiologie* und ueberall koennen Sie die Beispiele zusammenfinden, wie durch blossen starken Schrecken - weil er dem Zorne aehnlich wirkt - Laehmung, Durchfall, Fieber gehoben worden, ja wie Sterbende durch auffliegende Pulverhaeuser vom Aufflug nach dem Himmel gerettet worden und wieder auf die Beine gebracht; - und ganze matte Staaten waren oft nur zu starken durch Erschrecken. Furcht hingegen, Herr von Niess, ist, wie ihre Leiberbin und Verwandte, die Traurigkeit, nach demselben Haller und den naemlichen andern, wahres Laehmgift fuer Muskeln und Haut, Hemmkette des umlaufenden Bluts, macht Wunden, die man sich durch eigne Tapferkeit oder von fremder geholt, erst unheilbar und ueberhaupt leicht toll, blind und stumm. Es sollte mir daher leid tun, wenn ich Sie mit meinen Versuchen in Furcht anstatt in Schrecken und Zusammenschaudern mit Haarbergan gesetzt haette; und Sie werden mich belohnen, wenn Sie mir sagen, ob Sie gefuerchtet haben oder nur geschaudert.« - »Ich bin ein Dichter, und Sie ein Wissenschaft-Weiser; dies erklaert unsern Unterschied«, versetzte Niess. Theoda aber, die ihren eignen Mut bei Maennern verdoppelt voraussetzte, glaubte ihm gern. Aber ihr Vater hatte seine Gedanken, naemlich satirische. - uebrigens ging er selig mit doppelten Gliedern (wie ein Englisch-Kranker), mit mehren Koepfen und Rueckgraten behangen, die er aus der Troedelbude und Rumpelkammer des Todes geholt, nach Hause. 20. Summula Zweiten Tages Buch. In der Nacht schrieb Theoda an ihre Freundin: »Vor Verdruss mag ich dir vom dummen Heute gar nichts erzaehlen (das ohne Menschenverstand bleibt) bis morgen frueh, wenn wir in Maulbronn einfahren. Denke, wir nachtlagern noch drei Stunden davon. Himmel, wie goettlich koennt' ich morgen dort aufwachen und meinen Kopf aus dem Fenster stecken in die Aurora und in alles hinein! Aber dieses Feindschaft-Stueckchen hab' ich bloss dem Freundschaft-Stueckchen zu danken, dass Herr von Niess nach mir etwas fragt, ob ich ihm gleich meine Person und Seele so komisch geschildert habe, dass er selber lachen musste. Aber sieh', so kann eine Maedchenseele dem Maenner-Poltergeist auch nicht unter einem Kutschenhimmel nahe kommen, ohne wund gezwickt zu werden. Gib dem Teufel ein Haar, so bist du sein, gib einem Manne eines, so zerrt er dich daran so lange, bis er das Haar samt dem Kopfe hat. Der Bienenstich wird sonst mit Honig geheilt; aber diese Wespen geben dir erst die Honigblase und dann die Giftblase. Ich wollt', ich waer ein Mann, so duellierte ich mich so lange, bis keiner mehr uebrig waere, und legte einer Frau den Degen mit der Bitte zu Fuessen, mich zu erstechen. Aber wir Weiber sind alle schon ein paar Jahre vor der Geburt verwahrloset und verbraten, und eh' wir nur noch ein halbes Nadelkoepfchen von Koerper umhaben, sind wir schon voraus verliebt in die kuenftige Raeuberbande und liebaeugeln mit dem Taufpastor und Taufpaten. Wie viel weisst du so? - Es ist aber ueberhaupt nicht viel. Naemlich den ganzen Reisetag hindurch hatt' es Theudobachs angeblicher Freund (merke, ich unterstreiche es) darauf angelegt, mein Gehirnchen und Herzchen in allen acht Kaemmerchen ordentlich gluehend zu heizen durch Anekdoten von ihm, durch Ausmalerei unserer dreifachen Zusammenkunft und sogar durch das Versprechen, noch abends vor dem stillen Monde, der besser dazu passe als das laute Raederwerk, mich naeher mit seinem Freunde bekannt zu machen. Ich dachte dabei wahrlich, er wuerde mich nachts auf dem Gottesacker dem Dichter auf einmal vorstellen. Dazu kam mittags noch etwas Naerrisches. Er brachte mir meinen Schal, mit unlesbarer Kreideschrift bedruckt; da er sie aber gegen den Spiegel hielt, so war zu lesen: 'Dein Namenvetter, schoene Th-da, wird dir bald fuer deinen Brief zum zweiten Male danken'; worauf er mich hinab zu einer Birke fuehrte, von deren Rinde wirklich er diese Zeile von des Dichters Hand am Tuche abgefaerbt hatte. Am Ende musst' ich gar noch oben in seinem Zimmer auf den Fensterscheiben eine herrliche Sentenz vom Dichter finden, die ich dir auf der Rueckreise abschreiben will. Seltsam genug! Aber abends wars doch nichts; und mein Vater brach gar mit einem Spasse darein. Du Klare errietest nun wohl am fruehesten, was Herr von N. bisher gewollt - nicht mich, sondern (was auch leichter zu haben ist) sich. Er kokettiert. - Wahrlich die Maenner sollten niemals kokettieren, da unter 99 Weibern immer 100 Gaense sind, die ihnen zuflattern; indes weibliche Koketterie weniger schadet, da die Maenner als kaeltere und gleichsam kosmopolitische Spitzbuben selten damit gefangen werden, wenn sie nicht gar zu jung und unfluegge im Neste sitzen. - Wahrlich, ein Maedchen, das ein Herz hat, ist schon halb dumm und wie gekoepft. Der Zaertling steckt seinen Freund als Koeder an die Angel, um damit eine verdutzte Grundel zu fangen; er, der, wenn auch kein Narr, doch ein Naerrchen ist, und welcher schreit, wenn ein Wagen umfaellt. Gott gehab dich wohl! Vergib mein Austoben. Ich bin doch allen Leuten gut und habe selber mit dem Teufel Mitleid, so lang' er in der Hoelle sitzt, und nicht auf der Erde streift. Der weichste Engel bringe dich ueber deine Huegel hinueber! Th. - 21. Summula Hemmrad der Ankunft im Badeorte - Dr. Strykius. Als man am Morgen, nachdem der Doktor schon seine Flaschen-Stoepsel eingesteckt hatte (worunter zufaellig ein glaeserner), neu erfrischt von den letzten Siegen ueber alle Anstosssteine, eben einzusetzen und heiter auf den breiten, beschatteten, sich durchkreuzenden Kunststrassen dem Badorte zuzufahren gedachte: so stellte sich doch noch ein dicker Schlagbaum in den Weg, naemlich ein Galgen. Es hatte naemlich Katzenberger unten in der Wirtstube von einem Durchstrom froher Leute, die abends zum gluecklichen Wirte zurueckkommen und laenger da bleiben wollten, wenn sie alles gesehen, die Nachricht vernommen, dass diesen Vormittag in Potzneusiedl (auch in Ungarn gibt es eines) ein Postraeuber gehangen werde und dass er selber, wenn er nur einige Meilen seitwaerts und halb rueckwaerts umfahre, gerade zu rechter Zeit zum Henken kommen koenne, um abends noch zeitig genug in Maulbronn einzutreffen. Himmel, so aufgeheitert im Angesicht wie das ganze Morgenblau brachte Katzenberger zu Tochter und Niess seine heitere Nebenaussicht hinauf, den Abstecher nach Potzneusiedl zum Postdiebe zu machen. - Aber von welchen Wolken wurde sein helles Berghaupt umschleierte nicht bloss vom Nein des Reise-Buendners Niess, der durchaus noch am Morgen in Maulbronn einpassieren wollte, sondern noch mehr von dem heftig-bittenden Nein seiner Tochter, deren Herz durchaus sich zu keinem Einnehmen einer solchen Mixtur von Brunnenbelustigung und Abwuergung bequemen konnte! Am Ende fand der Doktor selber einen Umweg ueber eine Richtstaette zum Lustorte fuer eine Weiberseele nicht zum anmutigsten, und er stand zuletzt aus Liebe fuer die sonst selten flehende Tochter, wiewohl unter mehr als einem Schmerze, von einem lachenden Seiten-Wege ab, wo ihm ein Galgenvogel als eine gebratene Taube in den Mund geflogen waere, indem er am Diebe das Henken beobachten, vielleicht einige galvanische Versuche auf der Leiter nachher und zuletzt wohl einen Handel eines artigen Schaugerichts fuer seine Anatomiertafel haette machen koennen. Der Gehenkte waere dann eine Vorsteckrose an seinem Busen auf der ganzen Reise ins Maulbronner Rosental gewesen - - So aber hatt' er nichts, und der Potzneusiedler Dieb hing wie eine Tantalusfrucht unerreichbar vor seiner Seele, und er musste sichs auf der Landstrasse von Stunde zu Stunde bloss schwach vormalen: jetzo wirft das Gericht die Tische um - jetzo faehrt der Raeuber seinem Galgen zu - jetzo hangt er ruhig herab - und er pries die Potzneusiedler gluecklich, die um den Rabenstein stehen und alles geniessen konnten. Es war eigentlich nicht sehr zum Aushalten mit ihm an diesem Morgen, und er merkte an, nur um verdriessliche Dinge vorzubringen, es gebe schmerzhafte Erinnerungen, die man so wenig vergesse wie die erste Liebe; so koenn' er z. B., erzaehlt' er, bis diesen Morgen nicht ohne neues Schmerzgefuehl daran denken, dass er einmal in Holland, auf einer Treckschuyte fahrend, einem Hering den Kopf abgebissen, um den Rumpf aufzuspeisen, aber im Vergreifen den koestlichen Hering selber am Schwanze ins Wasser geschleudert und nichts behalten habe als den Kopf: »Nach diesem Hering sehn' ich mich ewig«, sagte er. - »Mir ganz denkbar«, sagte Niess, »denn es ist traurig, wenn man nichts behaelt als den - Kopf.« Als sie alle endlich in dem unmittelbaren Fuerstentuemchen Grosspolei (jetzo laengst mediatisiert) den letzten Berg hinabfuhren ins Bad Maulbronn, das ein Staedtchen aus Landhaeusern schien, und als man ihnen vom Turme gleichsam wie zum Essen blies: so musste den drei Ankoemmlingen, wovon jede Person sich bloss nach ihrer Ziel-Palme scharf umsah, naemlich: die erste, um angebetet zu werden, die zweite, um anzubeten die dritte, um auszupruegeln, ganz natuerlicherweise die praeludierende Bad-Ouvertuere der ersten Person, Niess, als eine Famatrompete erklingen, der zweiten, Theoda, als ein Verwandel- oder Messgloeckchen zum Niederfallen, und der dritten, Katzenberger, als eine Jagd- oder auch Spitzbubenpfeife zum Anfallen. Wenn sie freilich Flexen mehr als ein Vogelschwanzpfeifchen vorkam, weil sein Herz nur sein Vor-Magen war, und er erst alles von hinten anfing, so ist dieser Einleg-Riese, wie man Einleg-Messer hat, viel zu klein, um hier angeschlagen zu werden. Indes zeigt dieses widertoenige Quartett, wie verschieden dieselbe Musik in Verschiedene einwirke. Da sie aber dies mit allem in der Welt und mit dieser selber gemein hat: so mag fuer sie besonders der Wink gegeben werden, dass ihr weites aetherreich mit demselben Blau und mit derselben Melodie Einen Jammer und Einen Jubel trage und hebe. Der Doktor bezog zwei Kammern in der sogenannten grossen Badewirtschaft - bloss sein Herz war noch in Potzneusiedl unter dem Galgen -, und Niess mietete ihm gegenueber eines der niedlichsten gruenen Haeuserchen. Aber der rechte Musik-Text fehlt vor der Hand der begeisterten Theoda; auf der Badeliste, wornach sie zuerst fragte, erschien noch kein angelangter Theudobach. Doch hatte sie die Freude, in der Grosspoleischen Zeitung angekuendigt zu lesen: »Der durch mehre Werke bekannte Theudobach, habe man aus sicherer Hand, werde dieses Jahr das Maulbronner Bad gebrauchen.« Die Hand war sicher genug, denn es war seine eigne. Der Doktor fragte, ob der Brunnenarzt Strykius da sei; und ging, als man ihm ein feines, um das Brunnen-Gelaender flatterndes Maennchen zeigte, sogleich hinab. Dieser Strykius, ein gerader Abkoemmling vom beruehmten Juristen Strykius - dem er absichtlich die lateinische Namens-Schleppe nachtrug, um dem deutschen Strick zu entgehen -, war bekanntlich eben der Rezensent der Katzenbergerschen Werke gewesen, den ihr Verfasser auszustaeupen sich vorgesetzt. Auf Musensitzen - wie in Pira -, die zugleich rezensierende Musenvaetersitze sind, ists sehr leicht, da alle diese Kollegien untereinander kommunizieren, den Namen des apokalyptischen Tiers oder Untiers zu erfahren; bloss in Marktflecken und Kleinstaedten wissen die Schulkollegen von nichts, sondern erstaunen. Mehr als durch alle Strykischen Rezensionen in der allg. deutschen Bibliothek, in der oberdeutschen Literaturzeitung u.s.w. war der milde Katzenberger erbittert geworden durch lange grobe haemische und spaete Antworten auf seine gelehrten Antikritiken. Denn dem Doktor wars schon im Leben bloss um die Wissenschaft zu tun, geschweige in der Wissenschaft selber. Da er indes eine unglaubliche Kraft zu passen besass: so sagte er ein akademisches Semester hindurch bloss freundlich: »Ich koch's«, und troestete sich mit der Hoffnung, den Brunnenarzt persoenlich in der Badezeit kennen zu lernen. Diese sehnsuechtige Hoffnung sollte ihm heute erfuellt werden, so dass ihm statt des potzneusiedlischen Galgenstricks wenigstens der Maulbronner Strick oder Strykius zuteil wurde. Er traf unten an dem Brunnenhause - dem Industriecomptoir und Marktplatze eines Brunnenarztes - den verlangten. Der Brunnenarzt lief, da er mit der gewoehnlichen Neugier dieses kuerzesten Amtes schon Katzenbergers Namen erjagt hatte, ihm entgegen und konnte, wie er sagte, die Freude nicht ausdruecken, den Verfasser einer haematologia und einer epistola de monstris und de rabie canina persoenlich zu hoeren und zu benuetzen und ihm, wo moeglich, irgend einen Dienst zu leisten. »Der groesste«, versetzte der Doktor, »sei dessen Gegenwart, er habe laengst seine Bekanntschaft gewuenscht.« - Strykius fragte: »Wahrscheinlich hab' er seine schoene Tochter als ihr bester Brunnenmedikus hierher begleitet, wenn sie das Bad gebrauche.« »Nicht eines zu gebrauchen«, antwortete er, »sondern einem Badegaste eines zuzubereiten und zu gesegnen, sei er angelangt.« - »Also auch im Umgange der scherzhafte Mann, als den ich Sie laengst aus Ihren epistolis kenne? Doch Scherz beiseite«, sagte Strykius und wollte fortfahren. »Nein, dies hiesse Pruegel beiseite«, sagte der Doktor. »Ich bin wirklich gesonnen, einen kritischen Anonymus von wenig Gewicht, den ich hier finden soll, aus Gruenden, so lange wir beide, naemlich er und ich, es aushalten, was man sagt, zu pruegeln, zu dreschen, zu walken. Indes will ich als ein Mann, der sich beherrscht, nur stufenweise verfahren und frueher seine Ehre angreifen als seinen Koerper.« »Nun diesen Scherz-Ernst abgetan - sagte der Brunnenarzt, sich totlachen wollend -, so versprech' ich Ihnen hier wenigstens fuenf Freunde des Verfassers der Haematologie, Maenner vom Handwerk.« »Es soll mich freuen«, sagte der Doktor, »wenn einer darunter mich rezensiert hat, weils eben das Subjekt ist, dem ich, wie ich Ihnen schon anvertraut, so viel Hirn ausschlagen will, als ein Mensch ohne Lebensgefahr entbehren kann, welches, wie Sie wissen, bis auf zwei Unzen steigt, es muesste denn sein, dass ich aus Liebe mich auf blosses Einschlagen der Hirnschale einzoege. - Wenn schon jener Festung-Kommandant jeder davonlaufenden Schildwache fuenfundzwanzig Streiche aufzaehlen liess, die einen Geist gesehen: wie viel mehr kann ich einer kritischen geben, die keinen Geist in meinen Werken gesehen! Wie?« »Tun Sie, was Sie wollen, Humorist; nur sein Sie heute mit Ihrer bluehenden Tochter mein Gast im grossen Brunnensaale«, sagte Strykius; er fand seine Bitte gern gewaehrt und schied mit einem eiligen Handdruck, um einem verdruesslichen Grafen zu antworten, der eben gesagt: »Franchement, Mr. Médecin, ich habe bisher von dem detestabeln Gesoeff nur die Haelfte Ihrer vorgeschriebenen Glaeser verschluckt; ich verlange nun durchaus bloss diese Haelfte verordnet.« »Gut«, versetzte er, »von morgen an duerfen Sie keck mit der bisherigen Haelfte fortfahren.« Diese Antwort vernahm noch der Doktor mit unsaeglichem Ingrimm; er, der sich von keinem Generale und Ordens-Generale und Kardinale nur eine einzige von 1000 verordneten Merkurialpillen haette abdingen lassen. Strykius milde Hoeflichkeit verdross ihn mehr, als die groesste Grobheit getan haette, auf die er zufolge der anonymen in den Rezensionen so gewiss gezaehlet hatte; einen rauhen, widerhaarigen, staemmigen Mann hatte er zu finden gehofft, dem der Kopf kaum anders zu waschen ist als durch Abreissen oder Abhaaren desselben, wenigstens einen Mann, der wie ein Teich unter seinen weissen Wasser-Blueten scharfgezaehnte Hechte verbaerge -- aber er, ein so gebognes, wangenfettes, gehorsamstes, untertaenigstes Zier-Maennchen, das noch niemand ein hartes Wort gesagt als etwa Frau und Kindern, gegen niemand ein Elefant als gegen Elefanten-Kaefer und Elefant-Ameisen! ... Nichts erbittert mehr als anonyme Grobheit eines abgesuessten Schwaechlings! Allerdings gibt es ein oder das andere Wesen in der Welt, das Gott selber kaum staerken kann ohne den Tod - das sich als ewiger Bettelbrief gern auf- und zubrechen, als ewiges Friedeninstrument gern brechen laesst - das eine Ohrfeige empfaengt und zornig herausfaehrt, es erwarte nun, dass man sich bestimmter ausdruecke - das nicht sowohl zu einem armen Hunde und Teufel als zu einem niesenden fuerstlichen mit Silberhalsband sagt: Gott helf, oder contentement - dessen Zunge der ewig gelaeutete Kloeppel in einer Leichenglocke ist, welche ansagt: ein Mann ist gestorben, aber schon ungeboren - das erst halb, ja dreiviertels erschlagen sein will, bevor es dem Taeter geradezu heraussagt auf dem Totenbette im Kodizill, es sei dessen erklaerter Todfeind - das jeder so oft zu luegen zwingen kann, als er eben will, weil es sich gern widerspricht, sobald man ihm widerspricht - und dem nur der Feind gern begegnet und nur der Freund ungern. ------------------------------------------------------------------------ Indem ich ein solches Wesen mir selber durch den Pinsel und das Gemaelde naeher vor das Auge bringe: erwehr' ich mich doch nicht eines gewissen Mitleidens mit solchen tausendfach eingeknickten Seelen, die nun Gott einmal so duennhalmig in die Erde gesaeet hat; und welchen, obwohl am wenigsten durch schnelles Aufschrauben, doch auch nicht durch schweres Niederdruecken aufzuhelfen ist, sondern vielleicht durch allmaehliches Ermuntern und Aufwinden und durch Abwenden der Versuchung. Aber an das letzte war bei Katzenberger nicht zu denken. Des Brunnenarztes Sprech- und Tat-Marklosigkeit neben seiner harten, heissen Schreib-Strengfluessigkeit im Richten setzten in ihm nun den Vorsatz fest, den Badearzt auf eine ausgedehnte Folterleiter von aengsten und Ehren-Giften zu setzen und ihn erst auf der obersten Stufe zu empfangen mit dem Pruegel. Strykius war der erste Patient, den er durch Heilmittel nicht heilen wollte, so sehr war er ergrimmt; und er war entschlossen, ihn durch zuvorkommende Unhoeflichkeiten wo moeglich zu einer zu zwingen und als umrollender Weberbaum das hin und her fliegende Weberschiffchen zu bearbeiten. Es ist indes oft ebenso schwer, manche grob zu machen als andere hoeflich. Zu Hause setzte er in Strykius Namen einen oeffentlichen Widerruf von dessen Rezensionen auf, den er ihn zu unterschreiben und herauszugeben in der Pruegelstunde zwingen wollte. 22. Summula Niessiana. Herr von Niess lud auf abends gegen ein unbedeutendes Einlassgeld die Badegesellschaft zu seinem musikalischen Deklamatorium des besten Theudobachischen Stueckes, betitelt »Der Ritter einer groessern Zeit«, auf Zetteln ein, die er schon fertig gedruckt mitgebracht hatte, bis auf einige leere Vakanz-Rahmen oder Logen, welche er mit Inhalt von eigner Hand besetzen wollte. Funfzig solcher Zettel liess er austeilen und sagte mit inniger Liebe gegen jeden und sich: »Warum wollt' ich so vielen Menschen aus entgegengesetzten Winkeln Deutschlands, denen ein Buchstabenblaettchen von mir vielleicht eine ewige Reliquie ist und zwei geschriebene Worte vielleicht mehr als tausend gedruckte von mir, warum sollt' ich ihnen diese Freude nicht mit nach Hause geben?« Aber aus Liebe gegen Theoda, die dem Dichter als einem Sonnengott wie eine Memnonstatue zutoente mit heitern Nachtmusiken und Staendchen, setzte er sich nieder und schrieb, um ihr den Aufschub seiner Goetter-Erscheinung oder seines Aufgangs zu versuessen, eigenhaendig in Theudobachs Namen ein Briefchen an Herrn von Niess, worin er sich selber als einem Freund berichtete: »Er komme erst abends in Maulbronn an, doch aber, hoff' er, nicht zu spaet fuer den Besuch des Deklamatorium; und nicht zu frueh, wuensch' er, fuer unsre Dame.« Er steckte dies Blaettchen in einen mit der Bad-Post angelangten Briefumschlag und ging zu Theoda mit entzuecktem Gesicht. Dass er nicht log, war er sich bewusst, da er eben vorhatte, unter dem Deklamieren (um das Loben ins Gesicht zu hemmen) aufzustehen und zu sagen: ach nur ich bin selber dieser Theudobach. Ehe der Edelmann kam, hatte sie eben folgendes ins Tagebuch geschrieben: »Endlich bin ich da, Bona, aber niemand anders (ausser einige Schocke Badegaeste), sogar auf der Badeliste fehlt Er. Bloss in der Grosspoleischen Zeitung wird er gewiss angekuendigt. Ich wollte, ich haette nichts, worhinter ich mich kratzen koennte; aber die Ohren muessen mir lang auf der Fahrt gewachsen sein, weil ich so fest voraussetzte, der erste, auf den man vor der Wagentuere stiesse, sei bloss der Poet. Wohin ich nur vom Fenster herabblicke auf die schoenen Badegaenge: so seh' ich doch nichts als den leeren Stickrahmen, worauf ihn meine Phantasie zeichnet, nichts als den Paradeplatz seiner Gestalt und sein Throngerueste. Wahrlich so wird einem Maedchen doch so ein Mensch, den man liebt, es mag nun ein Braeutigam oder ein Dichter sein, zu jedem Gestirn und Gebirg, gleichsam zum Augengehenk, und hinter allen steckt der Mensch, dass es ordentlich langweilig wird. Man sollte weniger nach einem Schreiber fragen, da man ja an unserm Herrgott genug haette, der doch das ganze Schreiber-Volk selber geschaffen. Ich merke wohl, ich werde allmaehlich eher toller als klueger; am besten schreib' ich dir nichts mehr ueber mein Aufpassen, als bis der Messias erschienen ist; denn ausstreichen, was ich einmal an dich geschrieben, kann ich aus Ehrlichkeit unmoeglich; ich sage dir ja alles und nehme mir kein Blatt vors Maul, warum ein Blatt vors Blatt ...« Da erschien Niess und wollte seine eben erhaltene Nachricht uebergeben. Sie empfing ihn, in der vaterlosen Einsamkeit, mit keinem groessern Feuer, wie er doch gedacht, sondern mit einigem Maireif, der aus dem Tagebuche auf das Gesicht gefallen war. Sofort behielt er seine Selbbriefwechsel in der Tasche und beschenkte sie und ihren abwesenden Vater bloss mit der Einladung, mittags seine Gaeste und abends seine Zuhoerer zu sein. Auch wunderte er sich innerlich sehr, warum er nicht frueher darauf gefallen, ihr das Blaettchen erst an der Tafel zu geben und dadurch der Tafel zugleich; »ein Briefwechsel mit dem Dichter selber (dacht' er) muesste, sollt' ich denken, dem Deklamator desselben vorlaeufige Ehre und nachlaufende Zuhoerer eintragen«. Eben versprach Theoda seinem Tische sich und ihren Vater, als dieser eintrat und das Nein vorschuettelte und sagte: er habe sich dem Handwerkgesellen Strykius versprochen, um das Band der Freundschaft immer enger zusammenzuziehen bis zum Ersticken; das Maedchen koenne aber tun, was es wolle. Dies tat sie denn auch und blieb ihrem Wort und Niessen getreu. Sie sass naemlich, damit ich alles erklaere, an oeffentlichen Orten gern so weit als tunlich von ihrem Vater ab, als Tochter und als Maedchen; sie kannte seine Luthers-Tischreden. Der Edelmann wendete diese Wendung ganz anders: »O! sie hat schon recht, die Zarte«, dacht' er, »jetzt in Gegenwart eines Fremden, naemlich des Vaters, verbirgt sie ihre Waerme weniger; neben dem einsamen Geliebten scheuet die einsame Liebende jedes Wort zu sehr und wartet auf fremde kuehlende Nachbarschaft; o Gott, wie errat' ich dies so sehr und doch leider mich kein Hund!« Endlich, hoff' ich, ist Hoffnung da, dass mittags gegessen wird in Maulbronn, in der 23. Summel. 23. Summula Ein Brief. Herr von Niess fuehrte seine schoene Tischgenossin in die glaenzenden Esszirkel an eine Stelle, wohin das vaeterliche Ohr nicht langte. Der Esssaal war die gruene Erde, mit einem von Laubzweigen durchbrochenen Stueckchen Himmel dazu. Lustbeklommen ueberflog Theoda mit dem scheuen Auge die wallende Menge, in der weiblichen Hoffnung, ob doch nicht zufaellig daraus der Gehoffte auffliege. Ihre Seele quaelte, sehnte sich immer heftiger und immer unverstaendiger; ihr war, als muesse er ueberall gehen und sitzen. In diesen Frauen-Rausch hinein reichte nun der Edelmann den Brief, den Theudobach an ihn geschrieben. Mehr bedurfte ihre Seele nicht, um den Tisch-Trompeten leise nach zu schmettern, um das Erden-Leben fuer Sonnenstern-Leben zu halten und um ausser sich zu sein. Nun standen alle Rosenknospen als gluehende Rosen aufgebrochen da. Sie drueckte Niessens Hand im Feuer, und er freuete sich, dass er keinen andern Nebenbuhler hatte als sich selber. Die Neuigkeit lispelte sich bald von seiner zweiten Nachbarin die Tafel hinab. Er brachte deswegen, da er schon als Freund eines Gross-Autors Aufmerksamkeit gewann, mehre Sentenzen teils laut, teils gut gedreht hervor, weil leicht auszurechnen war, wie sie vollends umlaufen wuerden, wenn er mit dem Dichter in Eins zusammengeschmolzen. Die Tischlustbarkeit stieg zusehends. Das Brunnen-Essen ist, ungleich dem Brunnen-Trinken, die beste Brunnen-Belustigung und ohnehin froher als jedes andere; ausser der Freiheit wirkt noch darin, dass man da keinen andern Arbeittisch kennt als den Esstisch und keine Schmollwinkel als die Badewanne. 24. Summula Mittagtischreden. Aber unten am entgegengesetzten Tafel-Ausschnitt, wo Katzenberger neben seinem gastfreien Rezensenten sass, nahm man von Zeit zu Zeit auf den Damengesichtern von weitem verschiedene Querpfeifer-Muskel-Bewegungen und Mienen-Vielecke wahr. Der Doktor hatte naemlich bei der Suppe seinen Wirt gebeten, ihn mit den verschiedenen Krankheiten bekannt zu machen, welche gerade jetzt hier vertrunken und verbadet wuerden. Strykius wusste, als ein leise auftretender Mann, durchaus nicht, wie er auf deutsch (zumal da ausser dem eignen Namen wenig Latinitaet in ihm war) zugleich die Ohren seines Gastes bewirten, und die der Nachbarinnen beschirmen sollte. »Beim Essen«, sagte eine aeltliche Landjunkerin, »hoerte sich dergleichen sonst nicht gut.« - »Wenn Sie es des Ekels wegen meinen«, versetzte der Doktor, »so biet' ich mich an, Ihnen, noch ehe wir vom Tisch aufstehen, ins Gesicht zu beweisen, dass es, rein genommen, gar keine ekelhafte Gegenstaende gebe; ich will mit Ihnen Scherzes halber bloss einige der ekelhaften durchgehen und dann Ihre Empfindung fragen.« Nach einem allgemeinen, mit weiblichen Flachhaenden unternommenen Niederschlagen dieser Untersuchung stand er ab davon. »Gut«, sagt' er, »aber dies sei mir erlaubt zu sagen, dass unser Geist sehr gross ist und sehr geistig und unsterblich und immateriell. Denn waere dieser Umstand nicht, so wartete die Materie vor, und es waere nicht denklich; denn wo ist nur die geringste Notwendigkeit, dass bei Traurigkeit sich gerade die Traenendruese, bei Zorn die Gallendruese ergiessen? Wo ist das absolute Band zwischen geistigem Schaemen und den Adernklappen, die dazu das Blut auf den Wangen eindaemmen? Und so alle Absonderungen hindurch, die den unsterblichen Geist in seinen Taten hienieden teils spornen, teils zaeumen? In meiner Jugend, wo noch der Dichtergeist mich besass und nach seiner Pfeife tanzen liess, da erinner' ich mich noch wohl, dass ich einmal eine ideale Welt gebauet, wo die Natur den Koerper ganz entgegengesetzt mit der Seele verbunden haette. Es war nach der Auferstehung (so dichtete ich); ich stieg in groesster Freude aus dem Grabe, aber die Freude, statt dass sie hienieden die Haut gelinde oeffnet, drueckte sich droben bei mir und bei meinen Freunden durch Erbrechen aus. Da ich mich schaemte wegen meiner Bloesse, so wurde ich nicht rot, sondern sogenannt preussisch Gruen, wie ein Gruenspecht. - Beim Zorn sonderten saemtliche Auferstandne bloss album graecum ab. - Bei den zaertern Empfindungen der Liebe bekam man eine Gaensehaut und die Farbe von Gaense-Schwarz, was aber die Sachsen Gaense-Sauer nennen. - Jedes freundliche Wort war mit Gallergiessungen verknuepft, jedes scharfe Nachdenken mit Schlucken und Niesen, geringe Freude mit Gaehnen. - Bei einem ruehrenden Abschied floss statt der Traenen viel Speichel. - Betruebnis wirkte nicht wie bei uns auf verminderten Pulsschlag, sondern auf Wolf- und Ochsen-Hunger und Fieber-Durst, und ich sah viele Betruebte Leichentrunk und Leichenessen zugleich einschlucken. - Die Furcht schmeckte mit feinem Wangenrot. - Und feurige, aber zarte Zuneigung der Ehegatten verriet sich, wie jetzt unser Grausen, mit Haarbergan, mit kaltem Schweiss und Laehmung der Arme. - Ja, als ...« Aber hier lenkte der vorsorgende Brunnenarzt den ungetreuen Dichterstrom durch die Frage seitwaerts: »Artig, sehr artig, und wie Haller, wahrer Dichter und Arzt zugleich - Aber Sie haben sich gewiss vorhin in der Wirklichkeit schoener gefuehlt, da Sie aufmerksam unsern schoenen Damenzirkel durchliefen?« - »Allerdings«, versetzte er, »und ich tue es auch in jeder neuen Gesellschaft in der Hoffnung, endlich einmal ein Monstrum darunter zu finden. Denn jetzt bin ich der bluehende schwaermerische Juengling nicht mehr, der sonst vor jeder schoenen Gestalt oder Brust ausser sich ausrief: Rumpf einer Goettin! Brustkasten fuer einen Gott! Und das feine Hautwarzensystem und das Malpighische Schleimnetz und die empfindsamen Nervenstraenge darunter! O ihr Goetter! - Auch Sie wie alle Schwaermer haben sich gewiss sonst nicht schwaecher ausgesprochen; jetzo freilich wird der Ausdruck immer lahmer. Um aber auf die Missgeburten zurueckzukommen, nach denen ich mich hier nach dem ersten Komplimente vergeblich umgesehen, so sag' ich dies: Eine Missgeburt ist mir als Arzt eigentlich fuer die Wissenschaft das einzige Wesen von Geburt und Hoch- und Wohlgeboren; denn ich lerne mehr von ihm als vom wohlgeborensten Manne. Aus demselben Grunde ist mir ein Foetus in Spiritus lieber als ein langer Mann voll Spiritus; und Embryonenglaeser sind meine wahren Vergroesser-Glaeser des Menschen. - Ach wohl in jedem von uns«, fuhr er feuriger fort, »sind einige Ansaetze zu einem Monstrum, aber sie werden nicht reif; mit dem Rueckgrat-Ende, dem Steissbein, setzen wir z. B. zu einem Affenschwanz an, und auf dem neugebornen Kindskopfe erscheint nach Buffon eine hornartige Materie zu einem Gehoerne, die man leider sauber wegbuerstet; aber jeder will wahrlich nur seinesgleichen sehen, ohne nur im geringsten sich um die schon fuers Auge koestliche Mannigfaltigkeit zu bekuemmern, welche z. B. an dieser Badtafel genossen wuerde, wenn jeder von uns etwas Verdrehtes an sich haette, und wenn z. B. der eine statt der Nase einen Fuchsschwanz truege, der andere einen Zopf unter dem Kinn, der dritte Adlerfaenge, der vierte ordentliche, nicht etwa abgenutzte mythologische Eselohren. Ich fuer meine Person, darf ich wohl bekennen, ginge mit Jauchzen vor einer missgebornen Knappschaft und Mannschaft an der Spitze, als verzerrter Fluegelmann und monstroeses Muster, und wuerde Gott danken, wenn ich (naemlich koerperlich) nicht waere wie andere Leute, sondern wenn auf mir etwa Kamel und Dromedar, also drei Hoecker zugleich verkettet waeren zur Gebirgkette, oder wenn die Natur mir hinten eine angeborne Frau aufgesetzt haette samt zwoelf Fingern vorne, oder wenn ich sonst mit vielen Curiosis fuer mich und andere begabt waere, insofern mir naemlich bei diesem lebendigen Naturalienkabinett auf mir mein gewoehnlicher medizinischer Verstand gelassen wuerde, der sich wie eine Biene auf alle Blumen-Monstrosen setzen muesste und koennte. Was hat aber jetzt mein Geist davon, dass mein Leib wohlgestaltet ist und die gemeinsten Reize fuer Volkaugen umherspreitet? - Nichts hat er; er sieht sich nach bessern um. Aber ich entsinne mich noch recht gut meiner Jugend, wo ich mehr idealisierte und weniger auf Erden als im Himmel wandelte, da weidete ich mich an getraeumten, noch hoehern Missgeburten, als das teuere schwache Hasenpaar ist, das ich gestern gekauft; da war es mir ein leichtes, ganze ineinander hineingewachsene Sessionen geboren und zu Kauf zu denken, die ich dann nach dem Ableben leicht in einem Spiritus-Glase bewahrte und bewegte nach Lust - oder einen Knaben mit einem angebornen vollstaendigen fleischernen Kroenunghabit - oder einen tafelfaehigen Edelmann mit zweiunddreissig Steissen besetzt - und doch sind das nicht ganz arkadische Traeume. Sonst wurden ja wirklich Menschen mit lebendigen Pluderhosen und Fontangen geboren zum Abschrecken vor genaehten; warum koennte nicht unsern Zeiten der Fang zufallen, dass ihnen das Glueck einen Incroyable mit pulsierenden Hutkrempen und Schnabelstiefeln und fleischernen Krawatten-Zacken bescherte? frag' ich.« Der Brunnenarzt schwitzte, waehrend er pries, mehre Schweisse von verschiedener Temperatur darueber, dass er einen Fluegel seiner Patienten, zumal den weiblichen, eine Landjunkerin, eine Konsistorial-Raetin, eine halb bleich-, halb gelbsuechtige Zaertlingin, und am Ende sich selber in die Hoer- oder Stech-Weite eines solchen geistigen Raufdegens gebracht als Wirt. Gern haette er verschiedene kaltsinnige Mienen dabei geschnitten, wenn er versichert gewesen waere, dass ihn der Doktor nicht als Rezensenten kenne und darum schaerfer angreife. Doch tat er das Seinige und sprang von den Missgeburten auf die Katzenbergerischen Geburten, um vorzueglich dessen Haematologie zu huldigen, worin, sagt' er, Paragraphen waeren, ohne welche er manche glueckliche Bemerkungen gar nicht haette machen koennen. »Schoen«, versetzte der Doktor, »so denkt wohl nur ein aeusserst parteiischer und guter Mann wie Sie - denn ausser Ihnen gibts nur noch einen Leser, der gern alles redlich tut, was ihm Buecher vorschreiben, naemlich den Buchbinder, der jedes Wort an den Buchbinder befolgt -; aber Sie sollten meinen Hund von Rezensenten kennen und dagegen halten. Himmel, wie bellt der Zerberus, zwar nicht mit drei Koepfen, aber aus sieben Hundhuetten und an sieben Ketten gegen mich! - - Ich wollt', ich haette ihn da; ich wollte jetzt alles tun, da ich eben getrunken, was ich ihm laengst geschworen, naemlich meine Blut-Machlehre (die haematologia) an ihm selber erproben. - Oder gibt es etwas Suendlichers, als wenn ein Narr - bloss weil er sieben Zeitungen dazu frei hat, wie zu sieben Tuermen - die sieben Weisen spielt und sieben Todsuenden begeht, um als einziger Zeuge vermittelst einer boesen literarischen Heptarchie seinen Ausspruch zu besiebnen? Ich kann von der boesen Sieben gar nicht los; aber ich werde, sollt' ich denken, in jedem Falle den Mann auspruegeln, erwisch' ich ihn. Hier fass' ich zum Glueck den redlichen Stryk an der Hand, der denkt wie ich, wenn nicht zehnmal besser. Diesem Magen uebergeb' ich mich - denn ich meine Magus, nicht Stomachus -, und er entscheide; fuer mich ist er der grosse Thor (ich spreche zwar nach einem Glas Wein, aber ich weiss recht gut, dass Thor unser erster altdeutscher heilender Gott gewesen) - der sage hier .... was wollt' ich denn sagen? Nun mir gilts sehr gleich, und die Sache ist ohnehin klar und fest genug. Kurz - -« »Ich errate unsern guten Autor«, sagte Strykius, »denn vielleicht kann ich, als alter Leser seiner witzreichen Werke, ihn wenigstens zum Teil wuerdigen. Man kennt diesen tiefen Mann, er verzeihe mir sein Lob ins Gesicht, nur wenig, wenn man nicht seine gelehrte und seine witzige Seite zugleich bewundert und unterscheidet, die er beide so eng verschmelzt; aber er hat nun einmal, um spasshaft-gemein zu sprechen, Haar im Mund.« - »Aber ich habe sie eben zwischen den Zaehnen (versetzte er, einen Truthahn-Hals an der Gabel aufhebend); ich wuenschte, mancher haette so viel Haarwuchs auf dem Kopfe als der Truthahn hier am Halse, und solche herrliche Haarzwiebeln waeren auf eine bessere Haut und Glatze gesaeet, als ich eben kaeuen muss.« »Ich tadle aber doch die Sauce dabei - fiel ein aeltlicher, mehr bloed- und fuenfsinniger als scharfsinniger Posthalter ein -, sie will mir fast wie abgeschmackt schmecken; aber jeder hat freilich seinen Geschmack.« - »Abgeschmackt, Herr Posthalter«, sagte der Doktor und hielt lange inne, »nennen die Physiologen alles, was weniger Salz enthaelt als ihr eigner Speichel; daher sind Sie wegen des Ungesalzenen wahrscheinlich ein Mann von Salz, ich meine den Speichel.« - Eine schwergeputzte Landjunkerin, die ihren Kahlschaedel mit einem Prunk- und Titular-Haar gekroent, merkte (aber nicht leise genug, weil sie es franzoesisch sagte) gegen ihre Tochter an: »Fi! Welch ein Mensch! Wer kann dabei essen?« - Der Posthalter, der ihn schlecht verstand und gut aufnahm, wollte es hoeflich erwidern und fragte: »Wie gefallen Sie sich hier, Herrrr ... ich weiss Ihren werten Charakter nicht?« - »Ich mir selber?« versetzte der Doktor. »Sehr!« Eben bekam er und die Landjunkerin kleine, etwas klumpige Pasteten auf den Teller. Er schob seinen weit in den Tisch hinein, bemerkend: gerade in solchen Pasteten wuerden gewoehnlich die Frauen-Peruecken ausgebacken, wie hier mehre an der Tafel saessen; indes find' er darum noch kein Haar aus Ekel darin, ja er ziehe in Ruecksicht des letzten Pasteten den Peruecken vor. Die Edeldame brach mit Abscheu auf, um es zu keinen staerkern Ausbruechen kommen zu lassen. Endlich taten es auch die uebrigen. Wohlgemutet drueckte Katzenberger dem Rezensenten die Hand und prophezeiete sich die Freuden, die ihn erwarteten, koenn' er oefter so mit ihm zusammenhausen, und beschenkte ihn mit der Herz-Ergiessung: »Ich habe am Ende (und nur mit Gewalt verschieb' ichs) sagen wollen zu Ihnen: Du!« 25. Summula Musikalisches Deklamatorium. Die Leser finden um 7 Uhr alle Maulbronner von Bildung in Niessens Deklamiersaal. - Das musikalische Vorspiel hat schon ausgespielt - Niess geht mit dem »Ritter einer groessern Zeit« in der Hand, ihn drittels deklamierend, drittels lesend, drittels tragierend, langsam zwischen der weiblichen und maennlichen Kompagniengasse auf und ab und haelt bald vor diesem Maedchen still, bald vor jenem. Auch Katzenberger ging auf und ab, aber einsam im Vorsaal, teils um den reinen Musik-Wein ohne poetischen Bleizucker einzuschluerfen, teils weil es ueberhaupt seine Sitte war, im Vorzimmer eines Konzertsaales unter unaufhoerlicher Erwartung des Billeteurs, dass er seine Einlasskarte nehme, so lange im musikalischen Genusse gratis versunken hin und her zu spazieren, bis alles vorbei war. - Der Vorleser steht schon bei den groessten lyrischen Katarakten seiner dichterischen Alpenwirtschaft, und die Musik faellt (auf kleine Finger-Winke) bald vor, bald nach, bald unter den Wasserfaellen ein, und alles harmoniert. - Der Charakter des Ritters einer groessern Zeit war endlich so weit vorgerueckt, dass viele Zuhoererinnen seufzten, um nur zu atmen, und dass Theoda gar ohne Scheu vor den scharf geschliffenen Frauen-Blicken darueber in jene Traualtar- oder Brauttraenen (aehnlich den maennlichen Bewunderungtraenen) zerschmolz, welche freudig nur ueber Groesse, nicht ueber Unglueck fliessen. Der geschilderte bluehende Ritter des Gemaeldes, schamhaft wie eine Jungfrau, liebend wie eine Mutter, schlagend und schweigend wie ein Mann, und ohne Worte vor der Tat, und von wenigen nach der Tat, stand im Gemaelde eben vor einem alten Fuersten, um von ihm zu scheiden. Es war ein prunkloses Gemaelde, das ein jeder leicht haette uebertreffen wollen. Der aeltliche Fuerst war weder der Landesherr noch Waffenbruder des Juenglings; er hatte sich bloss an ihn gewoehnt, aber jetzo musst' er ihn ziehen lassen, und dieser musste ziehen. Beide sprachen nun in der letzten Stunde bloss wie Maenner, naemlich nicht ueber die letzte Stunde, sondern wie sonst, weil nur Maenner der Notwendigkeit schweigend gehorchen; und so gingen beide, so sehr auch in jedem der innere Mensch schwere Traenen in den Augen hatte, wortkarg, ernst, mit ihren Wunden und mit einem Gott befohlen auseinander. So weit war die Vorlesung einer groessern Zeit schon vorgerueckt, als noch die Tuere auf ging und wie ein fremder Geist ein Mann eintrat, der, wie auferstanden aus dem Gottesacker der Ritterzeiten, ganz dem Ritter an Blick und Hoehe glich und die Hoer-Gesellschaft fast ebenso sehr erschreckte als erfreuete ... 26. Summula Neuer Gastrollenspieler. Jetzt in den Monaten, wo ich die 26. Summel fuer die Welt bereite und wuerze, ist es freilich sogar der Welt bekannt, wer ankam; aber am beschriebenen Abende war noch Maulbronn selber darueber dumm. Der eintretende Mann schrieb sich Herr von Theudobach, Hauptmann in preussischen Diensten. Nach altdeutschem Lebens-Stil war er noch ein Juengling, das heisst 30 Jahr alt - und nach seinem bluehenden Gesicht und Leben war ers noch mehr. Seine dunkeln Augen gluehten wie einer wolkigen Aurora nach, weil er sie bisher noch auf keine andere Figuren geworfen als auf mathematische in Euler und Bernoulli, und weil er bisher nichts Schoeneres zu erobern gesucht, als was Koehorn, Rimpler und Vauban gegen ihn befestigt hatten. Unter diesem mathematischen Schnee schlief und wuchs sein Fruehling-Herz ihm selber unbemerkt. Vielleicht gibt es keinen pikantem Gegenschein der Gestalt und des Geschaefts, als der eines Juenglings ist, welcher mit seinen Rosenwangen und Augenblitzen und versteckten Donnermonaten der brausenden Brust sich hinsetzt und eine Feder nimmt und dann keine andere Aufloesung sucht und sieht als eine - algebraische. Gott! sagen dann die Weiber mit besonderem Feuer, er hat ja noch das ganze Herz, und jede will seinem gern so viel geben, als sie uebrig hat von ihrem. Dieser Hauptmann hatte nun auf seiner Reise durch das Fuerstentum Grosspolei zufaellig in der Zeitung gelesen: der durch seine Schriften bekannte Theudobach werde das Maulbronner Bad besuchen. »Das ich doch nicht wuesste!« sagte der Hauptmann, weil er von sich gesprochen glaubte, indem er mehre kriegmathematische Werkchen geschrieben. Von Niessens Namenvetterschaft und Dichtkunst wusst' er kein Wort. Unter allen Wissenschaften bauet keine ihre Priester so sehr gegen andere Wissenschaften ein als die sich selber genuegsame Messkunst, indes die meisten andern die Messrute selber als eine bluehende Aarons-Rute entlehnen, die ihnen bei Priesterwahlen ratend helfen soll. Ich kann mir Mathematiker gedenken, die gar nicht gehoeret haben, dass ich in der Weit bin, und die also nie diese Zeile zu Gesicht bekommen. »Es sind folglich«, schloss der Hauptmann, »nur zwei Faelle denkbar: entweder irgend ein literarischer Ehrenraeuber gibt sich fuer mich aus, und dann will ich ihm oeffentlich die Messrute geben - oder es treibt wirklich noch ein Wasserast und Nebensproessling meines Stammbaums, was mir aber unglaublich - in jedem Falle sind fuenf Meilen Umweg so viel als keiner fuer einen solchen Pruefung-Zweck.« Sein Erstaunen, aber auch sein Zuernen - denn das Zornfeuer der Ehre hatte bisher ganz allein in ihm neben dem wissenschaftlichen Feuer und Lichte gebrannt - erstieg einen hohen Grad, da er in Maulbronn von seinem entzueckten Wirte hoerte: ein Herr von Niess habe schon heute nach einem Brief, den er von Herrn von Theudobach erhalten, dessen Ankunft angesagt; und alles werde sich im Deklamatorium ueber seinen Eintritt entzuecken, zumal da eben etwas von ihm vorgelesen werde. Der Wirt trug sogar Vorsorge, ihm unter dem Deckmantel eines Wegweisers seinen Sohn mitzugeben, welcher der Wirttochter, weil sie belesen und mit darin war, sogleich das ganze Signalement des neuen Zuhoerers durch drei Worte ins Ohr zustecken sollte. Als der Hauptmann eintrat, blickten ihn die uebrigen weiblichen Augen an, ausgenommen nur ein Paar: Theoda sah unter dem Vorlesen keine Gesichter als - ihre innern und bloss zu den poetischen Hoehen hinauf. Noch ehe die Wirttochter die Nachricht von Theudobachs Ankunft wie einen elektrischen Funken hatte durch die Weiber-Ohrenkette laufen lassen: hatten sich schon alle Augen an den Hauptmann festgeschraubt. Denn immerhin halte Christus auf einem Berge seine Predigt oder auf dem Richterstuhle sein juengstes Gericht: es ist unmoeglich, dass die Frauen, die davon erbaut oder geruehrt werden, nicht mehre Minuten den Heiland vergessen und sich alle an den ersten Kirchengaenger und Verdammten heften, der eben die Gesellschaft verstaerkt; sie muessen sich umdrehen und schauen und einander etwas sagen und wieder nachschauen. Ich will setzen, mein zweiter Satz waere wahr, dass fuer das Weiberherz ein Federbusch auf dem Mannskopfe mehr wiege als ein ganzer Bund gelehrter Federn hinter dem Ohre, weil mein erster richtig waere, dass interna non curat Praetor, oder woertlich uebersetzt, dass eine Frau vor allen Dingen gern wissen will, wie ein Mann von aussen aussieht: so haett' ich ziemlich erklaert, warum der junge Mann mit seinem Federbusch-Hut in der Hand, mit seinem Juenglingblicke und seiner Mannkraft und selber mit einigen Krieg- und Blatternarben, ja sogar mit dem duestern Feuer, womit er dem Vorleser nachsah und nachhoerte, den ganzen weiblichen Hoer- und Sitz-Kreis wie in Einem Hamen gefangen und schnalzend aus dem Wasser emporhob. Jetzo schlug vollends die Nachricht der Wirttochter von einem beringten Ohre zum andern: der da sei's, der Dichter. Theoda hoerte es, sah auch hin - und sie und ihr Leben wurden wie von einem ausgebreiteten Abendrote ueberzogen. Wie ein stiller Riese, wie eine stille Alpe stand er da; und ihr Herz war seine Alpenrose. - Irgend einmal findet auch der geringste Mensch seinen Gottmensch, und in irgend einer Zeit findet er ein wenig Ewigkeit; Theoda fands. Der Vorleser, den die fremde Bewunderung seines Lesestuecks hinriss in eigne, und der unter allen Empfindungen diese am innigsten mit dem Hoer-Kreis teilte, hatte jetzo, wo die eigentliche Hoehe und Bergstrasse seiner Schoepfung erst recht anging, gar nicht Zeit, die Ankunft, geschweige die Gestalt und die Einwirkung des Kriegers wahrzunehmen. Er stand eben an der zweiten Hauptstelle seines Gesangs (der Anfang war der erste), am Schwanengesange, am Ende-Triller; denn wie im Leben die Geburt und der Tod, im Gesellschaftzimmer der Eintritt und der Austritt die beiden Fluegel sind, womit man steigt oder faellt, so im Gedichte - Niess konnte also nicht unaufhaltsam genug stuermen und laufen und deklamieren und sich begleiten lassen von Musik, um, wie ein Gewitter, gerade den staerksten und entzuendendsten Schlag beim Abzuge zu tun. Indes hoeren mitten in diesem Gerassel von poetischen Streit- und Siegwagen Vorleser eigner Sachen gleichwohl manches leise Wort, das darueber ausfliegt. Niess vernahm mitten im Dichter-Sturm sehr gut Theodas Wort: »Ja er ists und hat sich selber kopiert im Ritter.« - »Und tut doch immer«, sagte die Nachbarin, »als ginge ihm das ganze Gedicht nichts an.« Es war Niessen auf keine Weise moeglich, bei solchen Ausspruechen, dass er da sei und sich im alten Ritter selber getroffen habe, und bei dem allgemeinen Klatschen und Anblicken und Anfragen der Bewunderung, sich etwa in den Kopf zu setzen, er sei gar nicht gemeint, nur der neue Soldat. Sondern eine waermere Minute und hoehere Stelle, um sich zu enthuellen und zu entwoelken, - dies sah er wohl ein - koennte kein Sternseher fuer ihn errechnen, als der Kulmination- und Scheitelpunkt war, den er eben vor sich hatte, um die Wolke des Inkognito seinem Phoebus auszuziehen. Zum Glueck war er frueher darauf geruestet und hatte daher - da er laengst wusste, dass die Menschen die ersten Worte eines grossen Mannes, sogar die kahlsten, laenger behalten und umtragen als die besten nach einem Umgange von Jahren - schon auf der Kunststrasse, zehn Meilen vom Lesesaal, folgende improvisierende Anrede ausgearbeitet: »Ehrwuerdige Versammlung, faend' ich nur die ersten Worte! Auf eine solche Sympathie einer so gebildeten Gesellschaft mit mir durft' ich ohne Eigenliebe nicht rechnen. Aber eine Herzergiessung verdient die andere, und ich gebe mich willig dem Ungestuem der Augenblicke Preis. Moege, ihr Herrlichen, euch jeder Schleier des Lebens so abgehoben werden als jetzt, und nie decke sich euch ein Leichenschleier statt eines Brautschleiers auf. - Ich war naemlich mein eigner Vorlaeufer; denn ich bin wirklich der Theudobach, dessen Ankunft ich auf heute in Briefen ansagte.« »Der sind Sie nicht, mein Herr, - sagte der Hauptmann - ich heisse von Theudobach - Sie aber, wie ich hoere, Herr von Niess. - Was Sie fuer Ihre Werke ausgeben, sind ganz andere und die meinigen.« Niess blickte ihm ganz erstarrt ins Gesicht. - Besonnener springt der Mensch ploetzlich zu hoch als zu tief - Theudobach stand fast gebietend mit seinem Macht-Gesicht, Krieger-Auge, hohen Wuchs neben dem zu kurzen Dichter, von welchem nun jedes Weiber-Auge abfiel; aber er ermannte sich und sagte: »Ich kenne Sie nicht, aber Deutschland mich.« - - »Herr von Niess«, versetzte Theudobach, »dasselbe ist gerade mein Fall.« Unversehens trat Theoda, welche laengst vor Begeisterung unbewusst aufgestanden war, aus der verbluefften Schwester-Gemeine heraus vor Theudobach und sagte zu ihm im hohen Zuernen gegen den vieldeutigen Niess: »Sie sind der Mann, den wir alle achten, oder aller Glaube luegt.« Der Hauptmann sah das kuehne Feuer-Maedchen verwundert an und wollte erwidern; aber Niess rief zornig dazwischen: »An mich haben Sie geschrieben, nicht an diesen Herrn, meld' ich jetzt, und ich an Sie.« - »O Gott, ich?« sagte Theoda. »Mein Name Theudobach, Herr von Niess, ist kein angenommener, ich habe nur Einen; und es gibt nur meinen noch in der Welt; Sie fuehren eingestanden zwei, wovon ich nur den meinigen reklamiere und Ihnen den Ihrigen billig lasse. In der allgemeinen deutschen Bibliothek koennen Sie meinen Namen Theudobach neben meinem rezensierten Werke finden. Jede andere Erklaerung koennen wir uns an andern Orten geben«, setzte er mit einigen Blicken hinzu, die sehr gut als Funken auf das Zuendpulver einer Pistole fallen konnten. »Sehr gern!« versetzte Niess, um nur zuerst auf der Adelprobe zu bestehen; aber auf das Vorhergehende konnte er kein Wort zurueckgeben vor ueberfuelle von Antworten. Wer zu viel zu sagen hat, sagt meistens zu wenig, Niess noch weniger. Noch habe ich in der allgemeinen Welt-Geschichte von Essig und Zopf - die ohnehin mein Fach nicht ist, weil ich vielmehr selber eines in ihr fuellen und fodern will - kein rechtes Beispiel (unter so vielen abgesetzten Guenstlingen und Koenigen) aufgetrieben, das einigermassen dazu taugen koennte, Niessens Falle und Verfalle die gehoerige Beleuchtung zu geben, wenn jemand sehen wollte, wie einem Manne zumute gewesen, den man auf einmal vom Musenberge auf die Quartanerbank, vom Trone eines Sonnen-Gottes auf den Altar seiner Opfertiere, die er vermehren soll, oder von Allem zu Nichts herunterwirft - - Gehenkte, auf den Zergliederungtischen erwachend unter dem Messer anstatt im Himmel, sind nichts dagegen. »O, ich bin stolz!« sagte Niess und ging davon. 27. Summula Nachtrag. Keine Seele bekuemmerte sich um den davongelaufnen, von seinem Siegwagen herabgepurzelten Deklamator. Doch lachte man ihm allgemein nach. Ein Mann von Belesenheit - wenigstens im Junistueck der Minerva von 1804, wo die Notiz steht - sagte sehr laut: Niess hab' es mit seinem Namengeben gemacht wie die Einwohner von Nootka, welche Gott den Namen Quautz geben; der Mann hatte verbindlich fuer Theudobach reden wollen; aber in der Eile war ihm auf der Zunge das Lob in Essig umgeschlagen. »Faehrt man so fort«, sagte ein Korrespondent einer ungelehrten Gesellschaft, »so weiss am Ende keiner von uns, was er geschrieben, und der halbe Meusel sitzt im Sand.« - Der Hauptmann nahm - mit einer kurzen Entschuldigung, dass er sich seines Geschlechtnamens so oeffentlich angenommen, und mit einer besondern Verbeugung an Theoda - schnell seinen Rueckzug; - und die Menschen sahen seinem Kopfe nach. Ungefaehr tausendunddreihundert Siegkraenze - folglich gerade so viel als Theagenes von Thasus in den griechischen Spielen erbeutet - trug er auf seinem Kopfe, seinen Schultern und seinem Ruecken davon; - aber warum? 28. Summula Darum. Man hielt ihn fuer den grossen Theater-Dichter, dessen Stuecke die meisten gehoert. Ich will eine kurze Abschweifung und Summel daran wenden, um zum Vorteil der Buehnen-Dichter zu zeigen, warum sie leichter groessere Eitelkeit-Narren werden als ein anderer Autor. Wie faellt erstlich der letzte mit seinen verstreueten Leser-Klausnern - ein wenig verehrt von blossen gebildeten Menschen - beklatscht in den hundert Meilen fernen Studier-Zimmerchen und zweimal hintereinander gelesen, nicht vierzigmal angehoert, wie faellt ein solcher Ruhm-Irus und Johann ohne Land schon ab gegen einen Buehnen-Dichter, der nicht nur diese Lorbeer-Nachlese auch auf dem Kopfe hat, sondern ihr noch die Ernte beifuegt, dass der Fuerst und der Schornsteinfeger und jedes Geschlecht und Alter seine Gedanken in den Kopf und seinen Namen in den Mund bekommen - dass oft die erbaermlichsten Marktflecken, sobald gluecklicherweise ein noch elenderes Maroden-Theater von Groschengaleristen einrueckt, sich vor den knarrenden Triumphkarren vorspannen, worauf jene den Dichter nachfuehren, so dass, wenn gar der Dichter die Truppe selber dirigiert, er an jedem Orte, wo beide ankommen, den englischen Wahlkandidaten gleicht, die auf vielen Wagen (Lord Eardley auf funfzig) die Wahlmaenner fuer den Sitz im Hause der Gemeinen an den Wahlort bringen lassen. - Noch hundert Vorteile koennt' ich vermittelst der Auslassfigur (figura praetentionis) anfuehren, die ich lieber weglasse, solche z. B., dass einen Theaterautor (und oft steht er dabei und hoert alles) eine ganze Korporation von Haenden gleichsam auf den Haenden traegt (daheim hat ihn nur ein Mann in seiner Linken und blaettert mit der Rechten verdriesslich) - dass er auswendig gelernt wird nicht nur von Spielern, sondern am Ende von deren Wiederkehr-Hoerern - dass er in allen stehenden, obgleich langweiligen Theaterartikeln der Tag- und Monatblaetter stets im selben Blatt von neuem gelobt wird, weil die Buehnen-Schelle immer als Taufglocke seines Namens und das Einblaeser-Loch als sein delphisches Loch wiederkommt. - Woraus noch manches folgt, z. B. dass ein gemeiner Autor, wie z. B. Juenger, ja Kotzebue, laenger in seinen gehoerten Stuecken lebt als in seinen gelesenen Romanen. Daraus erklaert sich die Erscheinung, dass das kalte Deutschland sich fuer Schiller (und mit Recht, denn es suendigte von jeher nur durch Unterlassen, nie durch Unternehmen) so sehr und so schoen anstrengt, und fuer Herder so wenig. Denn misst der Wert den Dank: so haette wohl Herder als der fruehere, hoehere, vielseitigere Genius, als der orientalisch-griechische, als der Bekaempfer der Schillerschen Reflexion-Poesie durch seine Volklieder, als der Geist, der in alle Wissenschaften formend eingriff, und der nur den Fehler hatte, dass er nicht mit allen Fluegeln flog, sondern nur so wie jene Propheten-Gestalten, wovon vier ihn bedeckten und nur zwei erhoben, dieser Tote haette ein Denkmal nicht neben, sondern ueber Schiller verdient; waeren, wie gedacht, die Komoedianten nicht gewesen oder das Publikum nicht, das fuer die Vielseitigkeit wenig anschliessende Seiten mitbringt. uebrigens wie man lieber von Personen als von Sachen hoert, so steht auch der gewoehnlichste Theater-Dichter als ein Nachttisch-Spiegel, der dem Parterre Personen und dieses selber darstellt, schon darum dem Sachen-Dichter als einem blossen Juwel voran, der nur Feuerfarben wirft und unverwuestlich nichts darstellt als sich und das Licht. uebrigens ist dies fuer uns andere Undramatiker eben kein Unglueck; denn wir haben uns eben darum zum schoenen Lose einer leichtern liebenswuerdigen Bescheidenheit Glueck zu wuenschen, zumal wenn wir berechnen, was aus uns, da jetzo schon ein paar Zeitungen und einige Teetische uns (ich selber kenne mich oft kaum mehr) sichtbar aufblasen, vollends durch das Luftschiff der Buehne fuer trommelsuechtige Narren geworden waeren, so wie Schweinblasen, die schon auf Bergen schwellen, auf Hoehen der Luftbaelle gar zerplatzen. 29. Summula Herr von Niess. Er kam nicht zum Abendessen. 30. Summula Tischgebet und Suppe. Der Tumult der Erkenn- und Verkennszene mischte die Essgaeste schon auf dem Gange zur Tafel zu bunten Reihen der Freude zusammen. Der Sternenhimmel, Blasmusik und Baeume voll Lampen und hauptsaechlich der abends angekommene und mitsoupierende grosse Mann bezauberte und vereinigte alles. Viele Maedchen, die Niessens Stuecke aus Leihbibliotheken und auf Buehnen hatten kennen lernen, gingen unter dem Schirme wechselnder Schatten ganz nahe und anblickend neben seiner schoenen Gestalt vorbei. Als er in seiner Uniform - dem weiblichen Jagd-Tuch oder Rebhuehnergarn oder Frauen-Tyrass - und mit der hohen Feder (die auf dem Kopfe erhabner aussieht als hinter dem Ohre) so dahinschritt und die Menge ueberragte wie der urspruengliche Theudobach (nach Florus) seine Tropaee, und er als das Zwillinggestirn der Weiber, als Dichter und Krieger zugleich, sich durch seinen Himmel bewegte und mit Auge und Stimme so entschieden gegen maennliche Wesen und doch mit beiden so scheu und bescheiden gegen weibliche einhertrat: so riss ein allgemeines Verlieben ein; - und hinter ihm sah, da er mit dem fuenfschneidigen Melpomenens-Dolch und mit dem Kriegerschwert alles schlug, der Weg wie eine weibliche Walstatt aus: der einen war der Kopf, der andern das Auge, der dritten das Herz verwundet. Er aber merkte gar nichts von den saemtlichen Verwundeten, die er hinter sich nachfuehrte. Bisher mehr astronomisch zu den Himmelsternen hinauf als zu den weiblichen Augensternen herab zu sehen gewohnt, zeigte er nicht den geringsten Mut vor einem ganzen Augensternhimmel; und vor einigen, welche den Busen mit nichts bedeckt hatten als mit ein paar Locken und Blumen, wollt' er gar das Hasenpanier ergreifen. Jedoch schickte er seinen Blick heimlich nach dem Maedchen herum, das, ihm so unbekannt, dreist ihm vor einer Menge beigestanden hatte. Theoda war aber laengst durch das Gedraenge zu ihrem Vater hingeeilt, wie unter dessen schirmende Fittiche gegen ihr Herz und das Volk. Sie war berauscht und beschaemt zugleich, dass sie so oeffentlich, mehr eine Leserin als ein Maedchen, sich in den Zweikampf von Maennern als Sekundantin gemischt. Erst durch langes Bitten rang sie dem Vater die Erlaubnis ab, ihn dem Dichter vorzustellen, wiewohl ers ein Selber-Spektakelstueck nannte. Neben ihm stand sie, als sie ihren Lebens-Abgott, den bald Lichter, bald Schatten reizend bedeckten, herkommen sah und sie ihm aus der Ferne unbeschaemter in das edle Antlitz schauen konnte. Sie stellte mit kindlicher Lust ihren Vater dem beruehmten Genius vor. »Meine Tochter - nahm Katzenberger leicht den Faden auf - hat mich mit Ihrem Kuenstlerruhm bekannt gemacht; ich bin zwar auch ein Artista, insofern das Wort Arzt eine verhunzte Verkuerzung davon ist; aber, wie gesagt, nur Menschen- und Vieh-Physikus. Daher denk' ich bei einer Hauskrone und Lorbeerkrone mehr an eine Zahnkrone oder bei einem System sehr ans Pfortadersystem, auch Hautsystem, und ein Blasen- und ein Schwanenhals sind bei mir nicht weit genug getrennt. Mir sehen Sie dergleichen wohl nach! Dagegen weis' ich Sie auf meine Tochter an.« Der Hauptmann machte, d. h. zeigte die groessten Augen seines Lebens; er fand in diesem Badeorte zu viel Wirrwarrs-Knoten. Doch aus Dankbarkeit gegen das Maedchen, das heute einen so kuehnen Anteil an seinem Schicksale genommen, sagt' er nur: »Das schoene Fraeulein, dem ich viel Dank schuldig bin, hat bloss Ihren Namen zu nennen vergessen.« »So seid ihr Volk - wandte sich der Vater an die Tochter -; wenn ihr nur eure Taufnamen habt, unter Briefen und ueberall; nach des Vaters Namen fragt ihr keinen Deut. Ich und sie heissen Katzenberger, Herr von Theudobach!« Der Hauptmann, der nach mathematischer Methode aus allen bisherigen Hindeutungen auf einen Briefwechsel mit ihm gar nichts heraussummiert hatte als den Heischesatz, dass man hier erst hinter manches kommen muesste, setzte wie jeder Sternseher fest: »Zeit bringt Rat; ein jeder Stern, besonders ein Bartstern, muss erst einige Zeit ruecken, bevor man die Elemente seiner Bahn aufschreibt; folglich ruecke der heutige Abendstern nur weiter, so weiss ich manches und rechne weiter.« Man setzte sich zu Tisch und Theoda sich neben den Hauptmann; Erdferne von ihm waere ihr diesen Abend Wintertod gewesen. Sie hatte noch auf vaeterliche Nachbarschaft gerechnet; aber der Doktor, der sich von beiden Leuten nichts versprach als einen Abend voll dichterischer Sachen, einen Teich voll schwimmender Blueten ohne Karpfen und Karauschen und Hechte, hatte sich laengst weggebettet unten hinab; und vom Doktor hatte sich wieder weit abgebettet der Brunnenarzt Strykius in einer geistigen Ehescheidung von Tische. Theoda schwieg lange neben dem geliebten Manne, aber wie voll Wonne und Reichtum! Und alles um sie her ueberfuellte ihre Brust! ueber die Tafel woelbten sich Kastanienbaeume - in die Zweige hing sich goldner Glanz, und die Lichter schluepften bis an den Gipfel hinauf, ueber welchen die festen Sterne glaenzten - unten im Tale ging ein grosser Strom, den die Nacht noch breiter machte, und redete ernst herauf ins lustige Fest - in Morgen standen helle Gebirge, auf denen Sternbilder wie Goetter ruhten - und die Ton-Feen der Musik flogen spielend um das Ganze hinunter, hinauf und ins Herz. Theoda, durch jeden eignen Laut einen vom Dichter zu verscheuchen fuerchtend und fuer ihre sonst scherzende Gespraechigkeit zu ernst bewegt, stimmte wenig mit der redelustigen Gesellschaft zusammen, welche desto lauter und herzhafter sprach, je mehr die Musik tobte; denn Tisch-Musik bringt die Menschen zur Sprache, wie Voegel zum Gesang, teils als Feuer- und Schwungrad der Gefuehle, teils als ein Ableiter fremder Spuer-Ohren. Bloss der Hauptmann konnte sein Ich nicht recht mobil machen; er hatte so viele Fragen auf dem Herzen, dass ihm alle Antworten schwer abgingen. Theoda, welche schon nach Niessens Schilderung mehr Angrenzung an Niessische Leichtigkeit erwartet hatte und vollends von einem Dichter, konnte sich die in sich versenkte Einsilbigkeit nur aus einem stillen Tadel ihrer oeffentlichen Anerkennung erklaeren; und sie geriet gar nicht recht in den scherzenden Ton hinein, den Maedchen oft leicht gegen ihre Schreibgoetter, auch aus einer mit Seufzern und Wonnen ueberhaeuften Brust, anzustimmen wissen. Der Brunnenarzt Strykius, der sich ihm mit einem festgenagelten Anlaecheln gegenuebergesetzt, befiel und befuehlte ihn mit mehren Anspielungen und Anspuelungen seiner Werke; aber der Hauptmann gab - bei seiner Unwissenheit ueber den Dichter und darueber, dass man ihn dafuer hielt - unglaubliche Quer-Antworten, ohne zu verstehen und ohne zu berichtigen. So gewiss hoeren die meisten Gesellschafter nur Einen, sich selber; - so sehr bringt jeder statt der Ohren bloss die Zunge mit, um recht alles zu schmecken, was ueber dieselbe geht, Worte oder Bissen. Hat sich ein Mann verhoert, folglich nachher versprochen und endlich darauf sich aufs Unrechte und Rechte besonnen: so blickt er verwundert herum und will wissen, wie man seinen zufaelligen Unsinn aufgenommen; er sieht aber, dass gar nichts davon vermerkt worden, und er behaelt dann zornig und eitel den wahren Sinn bei sich, ohne die fremden Koepfe wieder herzustellen in das Integrum des eigenen. Daher verstehen sich wenig andere Menschen als solche, die sich schimpfen, weil sie von einerlei Anschauungen ausgehen. - - Hier fuehrt mich die lange vorstehende Bemerkung beinahe in die Versuchung, nach vielen Jahren wieder ein Extrablaettchen zu machen. Denn eben die gedachte Bemerkung hab' ich erst vor einigen Tagen im neuesten Bande des Kometen gelesen; ja ob sie nicht gar (wie fast zu befuerchten) noch in einem dritten Buche von mir sich heimlich aufhaelt, das weiss der Himmel, ich aber am wenigsten. Denn woher sollt' ich nach ein paar Jahrzehenden wissen oder erfahren, was in meinen so zahl- und gedankenreichen Werken steht, da ich sie - ausgenommen unter dem Schreiben - fast gar nicht oder nur zu oberflaechlich lese, sobald nicht zweite oder dritte Auflagen gefodert werden, in welchem letzten Falle ich mich sogar ruehmen darf, dass ich den Hesperus dreimal (zweimal im achtzehnten Jahrhundert und einmal im neunzehnten) so aufmerksam durchgelesen als irgend ein Mitleser aus einer Leihbibliothek, welcher exzerpiert. - Eben seh' ich noch zum Glueck, da ich, wie gesagt, mich unter dem Schreiben immer lese, dass ich den Satz oben fragweise angefangen, unten aber wegen seiner unbaendigen Laenge mit einem Fragzeichen zu schliessen vergessen. - - Denn - um zurueckzukommen - kann ich wohl bei der Menge wichtiger Buecher, welche die Vergangenheit und das Ausland aus allen Faechern liefern und wovon ich noch dazu die besten, vor vielen Jahren gelesenen wieder durchgehen muss, weil ich sie jetzo besser verstehe, der neuen Supplementbibliotheken in jeder Messe gar nicht zu gedenken - kann ich da wohl Lust und Zeit gewinnen, einen mir so alltaeglichen und bis zur Langweile bekannten und auswendig gelernten Autor wie mich in die Hand zu nehmen? - Was in unserem Jahrhundert Gelehrte zu lesen haben, welche Berge und Bergketten von Buechern, leidet keine Vergleichung mit irgend einem andern, ausgenommen mit dem naechsten zwanzigsten, wo sich die Sachen noch schlimmer zeigen, naemlich 200 neue Buechermessen mehr. Wahrlich, da brauch' ich keine Sorbonne, welche mir wie einmal dem Peter Ramus das Verbot auflegt, die eignen Werke zu lesen. Aber warum faehrt, bellt, schnaubt und schnauzt denn irgend ein kritischer Schosshund mich an, wenn ich statt des eignen Lesens nichts wiederhole als zuweilen eigne Gedanken? - Sinds aber vollends Gleichnisse: so moecht' ich nur erst den fremden Mann kennen, der bei meiner ueberschwaengerung damit solche aus neunundfunfzig Baenden behielte; vollends nun aber der eigne Vater, welchem Gebornes und Ungebornes durcheinanderschiesst und der oft (der gute Mann!) zehn ungedruckte Geburten auf dem Papiere ungetauft liegen laesst und dafuer eine alte, schon gedruckte unwissend wieder in die Kirche traegt und ueber das Becken haelt. - ------------------------------------------------------------------------ Da Strykius, wie gesagt, durch alle Halbantworten Theudobachs nicht aus seinem Missverstaendnis, dieser sei der Dichter, herauskam, so liess er sich auch durch nichts halten, er musste der ganzen auf dem Gesichte des Hauptmanns konvergierenden Gesellschaft zeigen, dass er selber Verdienst schaetze und besitze. - »Das Wetter (dacht' er bei sich) soll den Dichter erschlagen, wenn er nicht merkt, dass ich mir etwas aus ihm mache.« - Er knuepfte daher von neuem so an: »Ich darf wohl unberufen im Namen der ganzen Gesellschaft unsere Freude ueber die Gegenwart eines so beruehmten Mannes ausdruecken. - Sie haben zwar bessere Gegenden gezeichnet; aber auch unsere verdient von Ihnen aufgenommen zu werden.- Der Hauptmann, der, zum Genie-Corps gehoerig, sich dabei nichts denken konnte als eine militaerische Zeichnung zum Nachteil der Feinde, nicht eine poetische zum Vorteil der Freunde, gab aufgemuntert, weil er endlich doch ein vernuenftiges, d. h. ein Handwerks-Wort zu hoeren und zu reden bekam, zur Antwort: »Wenn hier eine Festung ist, so tu' ichs; jede ist uebrigens ueberwindlich, und mich wunderte besonders, in demselben Buche Anleitung zur unueberwindlichsten Verteidigung und zur sieghaftesten Belagerung anzutreffen, wovon ja eines eo ipso falsch sein muss.« Hier laechelte Strykius verschmitzt, um dem Krieger zu zeigen, dass er die Allegorie ganz gut kapiere; ihm war naemlich, wie allen Prosa-Seelen, nichts gelaeufiger als die vermoosete aehnlichkeit zwischen Liebe und Krieg. Der Hauptmann fuhr etwas verwundert fort: »Mich duenkt, durch Approchen, durch die dritte Parallele, wobei man ueber die Brustwehr fechten kann - durch falsche Angriffe - (Hier nickte Strykius unaufhoerlich zu und wollte immer laechelnder und schalkhafter aussehen) - und am Ende durch den Generalsturm wird jede Jungfrau von Festung erobert.« »Ich weiss nicht - setzte der Hauptmann, ganz erbittert ueber den anlachenden Narren, hinzu -, ob Sie wissen, dass ich zum Genie-Corps gehoere.« »O wer wuesste es nicht von uns«, erwiderte er schelmisch, »und eben das Genie traegt den Koecher voll Liebepfeile.« Da wurde wie von einem Schlagfluss der Arzt aus seinem Anlaecheln weggerafft durch des zuernendroten Hauptmanns Wort: »Herr, Sie sind ein Arzt, und darum verstehen Sie nichts von der Sache.« Ohne weiteres wandte er sich zu Theoda und fragte mit sanfter Stimme: »Sie, Vortreffliche, scheinen mich zu kennen, aber doch weiss ich nicht wodurch.« - »Durch Ihre Werke«, sagte sie furchtsam.... »Sie haetten die einen gesehen und die andern gelesen....?« sagte er und wollte ueber den Unterschied zwischen seinen um die Festung gebauten Werken und seinen darin geschriebnen noch ein Wort fallen lassen, als sie ihre Augen gegen ihn aufhob und auftat wie ein Paar Ehrenpforten... Aber beide wurden unterbrochen. 31. Summula Aufdeckung und Sternbedeckung. Theoda bekam ein versiegeltes Paket mit der Bitte auf dem Umschlag, es sogleich zu oeffnen. Sie tats. Anfangs kam bloss ein Band der allgemeinen deutschen Bibliothek heraus - dann in diesem, zwischen dem Titelblatte und dem gestochenen Gesicht eines beruehmten Gelehrten, ein Briefchen von Niess und dann das Briefchen von Theoda an Theudobach. - Niess schrieb: »Ich ehre Ihr Feuer. Ich verdamme meines. Ich bin selber der Dichter, fuer dessen Freund bloss ich mich leider unterwegs ausgegeben, und dessen Feind ich eigentlich dadurch geworden. Ich vergebe Ihnen gern Ihren oeffentlichen Widerspruch gegen den meinigen; aber als Gegengeschenk bitt' ich Sie, mir auch meine vielleicht indiskrete, doch abgedrungene Eroeffnung zu verzeihen, dass Sie an mich geschrieben. Hier ist Ihr Brief, hier ist die Abschrift meiner Antwort darauf. Hier ist sogar noch mein, wenn nicht getroffnes, doch zu erratendes Gesicht vor der allgemeinen deutschen Bibliothek und dazu eine Rezension Seite 213 darin, worin freilich nichts Wahres ist als die Namen-Jagd, dass ich naemlich meinem Geschlechtnamen Niess den Vornamen Theudobach vorgesetzt. - Kurz ich bin der Dichter der unbedeutenden Trauerspiele, die mir jetzo selber eines bereiten. Ich verwuensche jede Minute, wo ich Ihnen etwas so Gleichgueltiges verbarg, als mein Name ist. Das Bessere habe ich vielleicht zu wenig verfehlt. - Hier ist nun Ihr Brief - meine Handschrift - mein Gestaendnis - sogar mein Zerr-Bild. Am Himmel entfernt sich die Venus nicht ueber 47 Grade vom Bilde des Dichtergottes; wollen Sie Sich weiter entfernen?« Schweigend gab Theoda dem Hauptmann Niessens Brief, Rezension und Kupferstich mit der Unterschrift: Theudobach von Niess. Ihr Herz quoll, ihr Auge quoll. »Was hatt' ich ihm getan«, rief es in ihr, »dass er mein Herz so nahe aushorchte - dass er mich zu einem oeffentlichen Irrtum verlockte und dass ich beschaemt dem Volks-Laecheln preisgegeben bin; was hatt' ich ihm getan?« Sie dauerte der edle Mann neben ihr, als ob sie und der Poet zusammen ihm Lorbeer und Genie abgepluendert haetten - und sie wollte, als haette sein Herz davon Risse bekommen, alle gern mit ihrem ausfuellen. Wie anders klang und schnitt jetzt die Musik in die Seele! Wie anders sahen die Riesenwache von Baeumen und die tollkuehnen Nachtschmetterlinge an den Lichtern aus! So ist das Leben und Schicksal immer nur ein aeusseres Herz, ein widerscheinender Geist, und wie die Freude die Wolken zu hohen, nur leichtern Bergen aufhebt, so verkehrt der Kummer die Berge bloss zu tiefern festern Wolken. Theoda sah recht starr in die kleine Morgenroete des heraufziehenden Mondes, um durch starkes Aufmerken und Offenhalten das Zusammenrinnen einer Traene zu verhindern; als aber der Mond heraufkam, musste sie die Augen abtrocknen. 32. Summula Erkennszene. Der Hauptmann las sehr lange im Briefe und in der Rezension, um Licht genug zu bekommen. Lange durchsah er Niessens Bildnis vor der allgemeinen deutschen Bibliothek, dessen aehnlichkeit ihm nicht recht einleuchten wollte; weil diese ueberhaupt Koepfe vorne vor dem Titelblatte nicht viel kenntlicher darstellte als im Werke selber. Doch wird damit nichts gegen den gebliebenen Wert eines Werkes gesagt, das von jedem guten Kopfe Deutschlands ohne Ausnahme wenigstens eine volle Seite, noch dazu mit Namens-Unterschrift aufweist, naemlich die mit seinem Kopfe vorne vor dem Titelblatte. Der Hauptmann, der so ploetzlich aus der Sonnenfinsternis in den hellen Mittag herabfiel, wandte sich gar nicht an Theoda, sondern zuerst an die Tischgesellschaft - erklaerte laut, nicht er sei der grosse Dichter, sondern Herr von Niess - er habe zwar etwas geschrieben, ueber die alte hollaendische Fortifikation - aber er ersuche also jeden, die Bewundrung, die er ihm zugedacht, zurueckzunehmen und der Behoerde zu schenken. - Darauf riss er ein Blaettchen aus der Schreibtafel und schrieb an Herrn von Niess: er nehme gern sein unschuldiges Missverstaendnis zurueck, stehe aber zu jeder andern Genugtuung bereit. Als dies alles bekannt wurde - und dem Brunnenarzt zuerst -, so brachte dieser jeden Abgrund versilbernde Mondschein sogleich zwei laute Toasts aus: »Einen Toast auf den Mathematiker von Theudobach! - Einen Toast auf den Dichter Theudobach von Niess!« rief er. - So tanzte der frohe Mann nicht nur nach jeder Floete, sondern wie H-n nach jeder Floetenuhr, die eben ausschlaegt, und auf die vorige schnelle Anrede des Hauptmanns an ihn, welche, aus der Tafelsprache in die Schlachtsprache uebersetzt, doch nur sagen wollte: krepiere! - - versetzte er freudig: auf Ihr langes Leben! - - Jetzt endlich kehrte sich Theudobach an die Jungfrau, welche auf ihre Kosten ihn mit dem Sonnenlehn eines grossen Dichters belehnet hatte, und wand, indem er schmerzlich und vergeblich ueber Gutmachen nachsann, die bittende Frage herauf: wie alle diese Missverstaendnisse moeglich gewesen? »Ich bitte Sie«, sagte sie mit mueder Stimme, »meinen Vater zu fragen, der alles weiss.« Er schwieg. Trauerndes Nachdenken auf dem starken Maennergesicht ruehrte die Jungfrau immer staerker; ihre Seele litt zu viel und konnte wieder nicht alle Zeichen verbergen, welche die fremde Teilnahme vermehrten. Hastig stand sie endlich auf - sagte ihrem Vater etwas ins Ohr - dieser nickte, und sie verschwand. 33. Summula Abendtisch-Reden ueber Schauspiele. Auch Katzenberger hatte unten einige Werthers Leiden ausgelitten, und zwar schon bei der Krebssuppe, weil da noch die ganze Tischgesellschaft, als eine niedere Geistlichkeit, zum Kirchdienste fuer den Dichter-Gott angestellt sass, welcher der Hauptmann zu sein schien; wozu noch der Kummer stiess, dass er seinen Strykius nicht vor sich hatte. Ein solcher Wirttisch war fuer Katzenberger ein Katzentisch. Er erklaerte deshalb gern ohne Neid der naechsten Tisch-Ecke, dass er als Arzt ueber Buehnen-Skribenten seine eigne Meinung habe, und folglich eine diaetetische. Ein Lustspiel an und fuer sich, fuhr er fort, verwerfe niemand weniger als er; denn es errege haeufig Lachen, und wie oft durch solches Lachen Lungengeschwuere, englische Krankheit nach Tissot, Ekel (wenn auch nicht gerade der am Stuecke selber), ja durch blosse Spass-Vorreden Rheumatismen gehoben worden, wiss' er ganz gut. - Ja, da Tissot eine Frau anfuehre, die nicht eher als nach dem Lachen Stuehle gehabt, so halt' er allerdings ernsthaft einen Sitz im Komoedienhause fuer so gut als ein treibendes Mittel, so dass jeder aus seiner Leidengeschichte, wie man sonst bei einer andern getan, ein Lustspiel machen koennte.* - Daher, wie der Quacksalber gern einen Hanswurst, so sehe der Arzt gern einen Lustspieldichter bei sich, damit beider Arzneien nach Verhaeltnis ihres Werts von gleichmaessigen Spaessen unterstuetzt und eingefloesst wuerden. »Das Trauerspiel aber, Herr Doktor?« fiel ein junger Mensch ein, der zu beantworten glaubte, wenn er befragte. Gleichwohl glaub' er - fuhr er ohne Antwort fort - Verstopfung und dergleichen ebenso leicht durch einige Sennes- und Rezeptblaetter zu heben als durch ein vielblaettriges Lustspiel, und ein Apotheker sei hier wenig verschieden von einem Hanswurst. - Er koenne sich denken, dass man ihm hier das Trauerspiel einwerfe; aber entweder errege dieses gar nichts (dann gaehnte man eben so gut und noch wohlfeiler in seinem warmen Bette) oder es errege wahre Traurigkeit, wenn auch nur halbstuendige; nun aber sollten doch Dichter, daechte man, wie Kotzebue und deren Kunstrichter so viel durch Aufschnappen aus der Arzneikunde zufaellig wissen, dass Traurigkeit Leber-Verstopfung, folglich Gelbsucht - woher sonst der gelbe Neid der Trauerspieler gegeneinander? - zuruecklasse, ferner entsalzten Urin, ein scharfes Traenen (der groesste Beweis der Blut-Anstemmung in den Lungen) und sogar Darmkraempfe. - - Auf letzte habe man sogar bei Wesen, die in gar kein Schauspiel gehen oder sonst Seelenleiden gehabt (denn es gebe keine andere, da nur die Seele, nicht der blosse Koerper empfinde und leide), naemlich bei traurigen Hirschen**, geschlossen aus den kleinen Knoetchen in ihrem Unrate als den besten Zeichen von Kraempfen. »Erhaerteten freilich - fuhr er feurig fort - Buehnen-Traenen, gleich Hirschtraenen, zu Bezoar: so schrieb' ich wohl selber dergleichen Spass und bewegte das Herz. Aber jetzt, beim Henker! muss der wahre Arzt mitten unter den weichsten, himmlischsten Gefuehlen der Damenherzen so scharf das Weltliche dazwischen kommandieren als ein Offizier unter der Messe seinen Leuten das Gewehr-Strecken und Heben. Vielleicht aber gaeb' es einen Mittelweg, und es waere wenigstens ein offizineller Anfang, wenn man das Trauerspiel, so gut es ginge, dem Lustspiel naeher braechte, durch eingestreute Possen, Fratzen und dergleichen, die man denn allmaehlich so lange anhaeufen koennte, bis sie endlich das ganze Trauerspiel einnaehmen und besetzten.« Eine solche Anastomose und Kirchenvereinigung des Weh- und Lustspiels, setzte er hinzu, eine solche Reinigung der Tragoedie durch die Komoedie waere zuletzt so weit zu treiben - ja in einigen neuesten Tragoedien sei so etwas -, dass man durch ganze Stuecke hindurch recht herzlich lachte. Er fragte, ob denn komische Darstellung so schwer sei, da man in Frankreich im siebzehnten Jahrhundert die ernstesten biblischen Geschichten*** in burlesken Versen begehrte und bekam; wie er denn ueberhaupt wuensche, dass ernste Dinge, z. B. Manifeste, Todesurteile etc., oefter im gefaelligen Gewand, naemlich burlesk vorgetragen wuerden. Er berief sich noch auf die sonst im Trauerspiel so ernsten Franzosen, denen Noverre die tragischen Horatier Corneilles als einen pantomimischen Tanz gegeben; folglich in Spruengen, welches schoen an den griechischen Namen der Tragoedie, naemlich Bockspiel, erinnere; sogar er selber getraue sich, seinen staerksten Schmerz ueber einen Verlust, z. B. seines Freundes Strykius, durch blosses Tanzen auszudruecken, in einem Schaeferballett oder in einem Hopstanz oder im Fandango. »Also haett' ich«, beschloss er, »die entkraeftende Empfindsamkeit, die man uns auf den Traenenwegen der Meibomischen Druesen, der Traenenkarunkel u. s. w. hereinschiessen laesst, leicht durch Possen gedaemmt.« Hier konnte ein windduerres Landfraeulein aus dem Vordorf und der Vorstadt der Hauptstadt, das sich laengst auf Ruehrung gelegt, sich nicht laenger halten: »Dies kann er Narren weismachen«, sagte sie leise vor seinen Katzenohren zu ihrer Mutter. »Naerrinnen allerdings nicht«, sagte er noch leiser zu obigem Posthalter im ersten Bande. Das hagere Fraeulein fuhr leise gegen die Mutter fort: »Freilich rohe Kerls ruehrt nichts; eine Seele aber, die zarte gespannte Nerven hat, fuehlt allein, was weiche Nerven heissen, und fragt nach nichts bei der Ruehrung. Ach wie weit sind noch alte Personen hinter den juengsten oft zurueck!« Auch der Doktor versetzte wieder leise: »Mangel an Fett, Herr Posthalter, koennen Sie im ersten Bande von Walthers koestlicher Physiologie gefunden haben - der sich vom Berliner Zergliederer Walter so unterscheidet wie beider Wissenschaften, also wie Geist von Koerper - Fett-Mangel macht zu empfindsam; denn die Nerven liegen halb nackt da und stossen sich an alles. Ein Fetter hingegen fuehrt sie, wie Eier, unter diesem ueberguss gut bewahrt bei sich; Speck schuetzt gegen geistige Hitze und gegen aeusserliche Kaelte.« Giftig redete den dicken Doktor selber das Fraeulein an und sagte; »Ich kenne doch manche beleibte Personen von Empfindung.« - »Von diesem Schlage«, versetzte er, »duerfte ich selber sein, meine reizende Grauaugige! Im Vorbeigehen bei Ihren himmelgrauen Augen will ich doch anmerken, dass es gar keine blauen und keine schwarzen Augen unter den Menschen gibt (gruene und gelbe jedoch), sondern was sie so nennen, sind nur graue und braune, weil die Iris nie blau und schwarz aussieht. - Aber zurueck! Ob ich nun gleich als ein Mann von Talg hier am Tafel-Ende den Fettschweif vorstelle, den sich das kirgisische Schaf nachfaehrt auf einem Waegelchen: so hab' ich doch auch zwei Augen und ein Schnupftuch; wie oft hab' ich nicht unter dem heftigsten Lachen Traenen vergossen! Desgleichen bei Kaelte von aussen im Schlitten. ueberhaupt wie koennte man als gefrorne Winterbutter erscheinen, waere man nicht aeusserst weich? Nur das Weiche kann gefrieren, Gnaedige, nicht das Harte.« Zum Glueck fuer einen Waffenstillstand unterbrach eben den Doktor der oben toastende Strykius mit seinen Neuigkeiten. Schwer ging jenem die unbegreifliche Verwandlung der beiden Edelmaenner in ihr Widerspiel ein. Als er aber endlich das Wahre begriff und erhoerte, und dass Niess bisher wie die alten Manuskripte ohne Titelblatt gewesen und endlich sich eines vorgebunden, sein Namens-Pergament, und dass er bloss nach Autor-Sitte sich den Namen Theudobach geborgt und eingeaetzt: so konnte sich der Doktor einiger Bemerkungen und Verwunderungen nicht enthalten, sondern gestand: »Ein anderer als Er haette dies ebenso gut erraten koennen - die Namen-Rasur und Tonsur durch Rezensenten gebe leicht Namen-Alibi und Namen-Nachdrucke der Autoren.« Ja er fand hierin aehnlichkeit zwischen grossen Autoren und grossen Spitzbuben, dass beide bei ihrem Geschaefte fremde Namen annehmen, und fuehrte aus des badischen Hofrats Roth Jauner-Liste von 1800 mehre zweite Autor-Namen an, wie sonst franzoesische Prinzen zweimal getauft wurden, z. B. den grossen Allgeier - den duerren Herrgott - den kleinen Pappenheimer - den reichen Bettler oder Spatzendarm - den grossen Sauschneider - den Hennenfanger - den welschen Mattheis - kurz lauter Namen, worueber die Gauner-Bande die wahren so vergisst wie das Publikum bei Autoren. 34. Summula Brunnen-Beaengstigungen. Nach dem Entwickelungabende erschien Theoda nie an der oeffentlichen Tafel mehr; weder vaeterlicher Spott noch Zank bezwangen sie. Hinter ihrer jungfraeulichen Scherzhaftigkeit und Entschlossenheit, das Rechte sogar auf Kosten der Form und Gewohnheit zu ergreifen, lag ein empfindliches, lange nachfuehlendes Herz verborgen; leider hielt dieses jetzt die Dornen der uebereilung in seinen Wunden fester. Wie sollte sie Unbescholtene das kleine Gewehrfeuer der weiblichen Blicke ertragen? Und doch liess sie sich von diesen mit Quecksilber gefuellten organisierten Nachtschlangen noch lieber anleuchten, als von den zwei Brautfackeln der Augen des Hauptmanns anglaenzen, der damit in ihren offen gelassnen Herzenkammern alles hatte sehen koennen, was er gewollt. Nur Niess stiess ihr ohne besondere Verlegenheit von ihrer Seite auf; gegen ihn und dessen Passagier-Charaktermaske glaubte sie, wiewohl sie eigentlich ihm das oeffentliche Unrecht angetan, ordentlich das meiste Recht zu haben. Man mag nun dies daraus herleiten, dass die weibliche Seele leichter vergibt, wenn sie Unrecht gelitten, als wenn sie es getan - oder dass sie Irrtuemer lieber verdoppelt als zuruecknimmt und sich lieber am Gegenstand derselben raecht als an sich selber bestraft - oder dass ihr sich ihr Inneres so abspiegelt wie im Spiegel sich ihr aeusseres, naemlich jedes Glied verkehrt und das linkische Herz auf der rechten Seite - oder man mag es daraus erklaeren wollen, was fast das Vorige waere, nur in andern Wendungen, dass Frauenseelen dem milden oele gleichen, welches, entbrannt, gar nicht zu loeschen ist (denn Wasser verdoppelte) ausser durch die kuehle Erde - und dass sie sich wie der Vesuv durch Auswuerfe nur desto mehr erheben - oder dass ihre Fehler den Menschen gleichen, welche nach Young durch den Krieg (d. h. durch das Erlegen) sich erst recht bevoelkern - - kurz wie man Theodas Betragen auch ableite: ich bin der Meinung, dass ich mehr Recht habe, wenn ich behaupte, dass sie Herrn von Niess weniger liebt als den Hauptmann. Ich berufe mich hier auf nichts als auf die Summeln, die noch kommen. Ihre Brunnenbelustigungen bestanden jetzo - ausser einigen hinter Schnupftuch und Bett- und Fenstervorhang versteckten Traenen - darin, dass sie zuweilen mit ihrem Vater ausging, der etwas an sich hatte, um damit Juenglinge leicht wegzuscheuchen, oder dass sie einsam die Berge der Blumen-Ebene bestieg, wenn eben Ball, Schauspiel oder Essen war - oder dass sie in das Tagebuch an ihre Freundin fluechtete, wie an eine nah heruebergeflogne Brust. Dieses erzaehle sich denn selber. 35. Summula Theodas Brief an Bona. »Bona! Ich war dir nie ernst genug, jetzt, daecht' ich, waer' ichs. Doch kann ich mich irren, und ich bin vielleicht nur wund. Herzen und Glocken bekommen so leicht Spruenge bei starkem Bewegen. Waer' ich nur mit meinem an deinem schneeweissen Halse; es sollte bald heil sein. Graeme dich nicht voraus, ich habe nichts verloren, nicht einmal ein Stueckchen Liebe, bloss ein paar Dummheiten. Nur der Mond, der mir beim Aufgang die Augen waesserte, steigt jetzt immer hoeher und zieht mit Gewalt blutwarme Tropfen aus der Brust herauf; so zieh' er denn fort. Ach Bona, ich weine! Denn ich habe dumm gefehlt; und du sollst heute alles wissen. Nur wird es mir sauer, dir das lange historische Zeug auszubreiten, da ich dessen so satt und genug habe. Wir brauchen einen ganzen Herbst dazu, eh' wir beide fertig sind mit der Sache. Herr von Niess ist ein Spitzbube: er ist eben der Dichter Theudobach eigenhaendig, zu dem er mich geleiten wollen. So also ist eine heutige Manns- und Schreibperson! Wenn nun, sage mir, die bessern Schauspiel-Dichter nicht redlicher sind als ihre Schauspieler oder irgend ein feinster Dieb: auf was hat sich eine gute Seele zu verlassen? Auf Gott und eine Freundin, wahrlich auf sonst nichts. Waer' ich nur ueber deine Sorge und Buerde hinweg und waere dein Kind an deiner Brust: so fragte ich keinen Deut nach Begebenheiten, sondern saesse bei dir und erzaehlte sie. Kurz das geschmeidige gewundene Schlangenwesen der Maenner, das sich bis sogar in den Sonnentempel der Kunst einschlaengelt, legte sich auch an mich und meinen Vater und kroch ein, unter dem Namen von Theudobachs Freund. Er konnte mithin jedes Wort hoeren, was ich von ihm dachte: es war so gut, als war er mit meiner Seele in mein Gehirn eingesperrt. Um uns alle recht in seinem blauen Dunste herumzufuehren, sprengt' er aus, der Poet komme erst abends, wenn er seinen Ritter vorlaese. Vermutlich war sein Plan, wenn wir so alle mitten im Jubilieren ueber seinen Ritter und im Vormusizieren des Staendchens saessen, vom Sessel aufzustehen und zu sagen: ich bin der Mann selber. Zum Unglueck fuer ihn und fuer mich versalzte ihm ein Namenvetter das ganze Te deum. Es tritt naemlich gerade, als uns Frauen die Herzen steilrecht himmelan brennen, ein edler junger Mann herein, den alle Maedchen fuer den Maler und fuer das Urbild des Ritters zugleich ansehen muessen, nicht etwa ich allein. In einem Traum kuesst' ich einmal einer hohen himmlischen und doch sanften Gestalt des noch ungesehenen Dichters die Hand; gerade so sah der Fremde aus. Da sein Name wirklich Theudobach war und er auch allerlei geschrieben, wiewohl nur ueber Mathematik: so war er neugierig und zornig hieher gereiset, um zu sehen, wer ihm hier seine Rolle nachspiele. Kurz in der Minute, da Niess sich als den Theudobach demaskierte, steht der zweite bessere da, der ihn in die alte Niessische Chauve-souris-Maske zuruecksteckt. Und wahrlich, wer nur beide nebeneinander stehen sah, den Hauptmann Theudobach in einer Gestalt, seines riesenmaessigen Urahns nicht unwuerdig, und das feine Schachfiguerchen Niess, an ihm hinauf sturmlaufend, der musste es machen wie ich und an alle deine vernuenftige Ratschlaege nicht denken. Ich ging naemlich oeffentlich zum Hauptmann und erklaerte ihn fuer den Dichter. Mir glueht hier schmerzlich das Gesicht, und ich denke an meines Vaters Wort: 'Durch Eiligkeit entstehe oft Feuer, und durch Langsamkeit werd' es staerker; weil die Leute die Sachen gerade umkehrten.' Indes war jeder meiner Meinung - auch noch unter dem Abendessen - gleichwohl lauf' ich jetzt als das Maulbronner Suenden-Boeckchen herum und werde von den andern Suenden-Zicklein meines Geschlechts heimlich angemeckert. Denn Niess schickte mir unter dem Essen meinen Brief an ihn und seinen Kupferstich; kurz der Star wurde mir mit der Starnadel gestochen und ein bisschen das Herzchen dabei. O, wie war ich hinter meiner Augenbinde, als haette ich sie mir vom Amor geborgt, so ruhig-froh! Wenn ich dir erst kuenftig einmal male, wie himmlisch der Sternen-Abend war, so lange mir ihn nicht mein Schmerz umzog - wie rein-heiter ich an der Seite des guten Menschen sass, den ich noch fuer den poetischen Traumgott meiner Jugendtraeume ansah, und wie froh ich mein Auge auf alles um mich warf, auf die erleuchteten Baeume, auf jeden Gast am Tisch, wie auf die Sterne ueber mir - wie immer das freudige Herz ueberkochen wollte - und wie ich gern die armen Nachtschmetterlinge verscheucht haette, die sich an den Lichtern zerstoerten - und wie ich in die aufdaemmernden Wolken in Osten mit feuchten Augen sah und dachte: wie gar zu selig wird dich vollends dein beglueckender Mond machen, wenn er dich so findet .... Er fand mich nicht mehr so - er fand mich voll Scham und Gram, ich sah ihn an - dein stillendes Auge waere mir heilsamer gewesen - ich grub meines ordentlich ein in seinen Glanz und dachte dann nach: wie anders, anders es gewesen waere, waere alles so geblieben, welch eine unvergessliche Paradieses-Nacht, die noch in keinem Traume gewohnt, ich haette durchleben und ewig im Herzen halten duerfen! - Es sollte nicht sein, das zu grosse Glueck. Indes, glaub' ich, durchquellt keine Traene so heissschmelzend den ganzen Menschen als die, die er fallen lassen muss, wenn er, ebenso heiter wie andere, in einem weiten, duftenden, wehenden Arkadien angelangt und stehend, ploetzlich von irgend einem einsamen Unglueck umgriffen wird und nun mitten unter dem allgemeinen Gesange: 'Freut euch des Lebens', den er mitsingt, leise sagt: freuet euch des Lebens, meines ist anders. Ach wozu dies alles? Aber eine wichtige Regel macht' ich mir; und ich wollte, besonders die Maenner hielten sie heilig: schone, o schone jede Seele bei einem Lustfeste, weil es ihr viel zu wehe tut, mitten in der allgemeinen Freuden-Ernte ganz allein gar nichts zu haben, und doch noch bei dem Zentner-Ach in der Brust mit einem leichten Laechel-Gesicht dazustehen; daher sollten besonders die Liebhaber und die Eltern uns arme Maedchen mit Qualen verschonen auf Baellen, Hochzeitfesten, Maienfesten, Weinlesen. Ach wir leiden nie mehr als in Gesellschaft; die Maenner vielleicht in der Einsamkeit! Ich weiss es nicht. Jetzo sah ich nicht mehr ab, warum ich Umstaende mit der Tafel machen sollte; ungluecklich konnt' ich ja in der Einsamkeit so gut sein als in der Gesellschaft. Ich ging davon; und sagt' es dem Vater. Das Aller-Duemmste (dacht' ich) denken doch die Bade-Gaestinnen ohnehin von mir; also ist nichts zu verderben an den Dummheiten. Ich konnte aber unmoeglich schon nach Haus und unter die Dach-Enge; ich musste ins Weiteste; ich wollte die Sterne bei mir behalten. Da senkte mein ganzes Herz sich ploetzlich auf die unsichtbare Brust meiner toten Mutter. Ich dachte an die Zauberhoehle, durch deren wunderbare Lichter sie einst die auf ihren Armen aufhuepfende Tochter durchgetragen; und ich erfragte unten im Dorfe den Hoehlen-Eingang. Der Mond schien an die Pforte; die Kinder hatten davor gespielt und Ketten von Dotterblumen und ein kleines Gaertchen von eingesteckten Weiden zurueckgelassen. Ich oeffnete die Tuere, um vor die weite, wie ein Leichnam in die Hoehle begrabne Finsternis zu treten; aber als der Mond seinen Schimmer lang hineinwarf und ich meinen Schatten drinnen in der Hoehle liegen sah: so schauderte michs; ich sah die Schattengestalt meiner Mutter in ihrem Grabe schlafen; da eilt' ich davon und dachte mir dich und dein Wohl, um mein Herz zu waermen. O lebe wohl! Spaetere N. S. Sein Herz ist sein Gesicht; ich rede vom Hauptmann. Aus Zartheit wich er mir bisher aus; aber er schickte mir durch meinen Vater ein Blaettchen, worin er alle Schuld des oeffentlichen Missverstaendnisses auf sich nimmt und durch seine Zurueckziehung, um es nicht zu bestaetigen, dafuer zu buessen gesteht. Du wirst es lesen. Es gehe dem braven Juengling wohl! Aber unendlich sehne ich mich aus diesem Gottesacker voll bluehender Nesseln und begrabner Schoenheiten hinweg an deine treue Brust hinan; dennoch muss ich ausharren, weil mein Vater nicht eher reisen will, als bis er, wie er fast so ernsthaft versichert, dass man bange wird, seinen Rezensenten abgestraft. Erfahr' ich indes deine Niederkunft: so bin ich ohne weiteres - ohne Vater und ohne Wagen - zu Fusse bei dir, bei meiner alten schoenern Zeit. Sonderbar ists, dass hier so manche noch ausser uns weilen, die alle nicht baden und nicht trinken, naemlich Niess und sogar der Hauptmann.« 36. Summula Herzens-Interim. Nun liefen vier Menschen wie vier Akte immer naeher in dem Brennpunkt eines fuenften zusammen. Aber Niess gehoerte nicht unter die Strahlen. Nachdem er lange und vergeblich bei Theoda auf den Thron des Autors sich als Mensch hinzusetzen versucht; - nachdem er den vielschneidigen Schmerz empfunden, dass ein blosses Maedchen und ein begeistertes fuer ihn dazu und eine Reisegefaehrtin obendrein den Dichtergeist nur als zufaellige Flamme wie das S. Elms-Feuer an seinen Masten gefunden oder nur wie Blumen auf rohem Stamm: so war er seiner Sache gewiss und Theodas ledig und der Brunnenbelustigungen froh, naemlich des allgemeinen Lobes. Die Trompete der Fama blaeset am leichtesten die Maedchen aus dem maennlichen Herzen. Er war jetzt imstande, sich selber zu leben und seine Unsterblichkeit einzukassieren - ganz Maulbronn schwamm ihm zu - er konnte (er tats auch) seinen Stock aus Vergessenheit liegen lassen, damit ihn am Bade-Morgen die schoeneren Haende herumtrugen und die Herzen dabei glossierten. - Er konnte mit wahrem dichterischen Tiefsinn ueberall lustwandeln und keinen Menschen bemerken, da es ihm genug war, wenn er bemerkt wurde in seinen Schoepfungen mitten am hellen Tage. Er konnte sich hundertmal oeffentlich vergessen, um ebenso oft an sich zu erinnern. - Ohnehin konnte (und musste) er den Maulbronner Schauspielern als fluegelmaennischer Vor-Souffleur vorsitzen und sich in der umherstehenden Lern-Truppe wie in einem Spiegelzimmer vervielfachen. - - Dies alles hellte das Herz; denn es gab Lust und Tumult, worin man eben Lieben so leicht versaeumt als die Christen an Kirchweih-Tagen (Kirmess) die Fruehpredigt. Am meisten aber wurd' er von seiner Passion durch den Absatz hell, den seine Haare bei den Damen fanden. Da er voraussah, dass seine Verehrerinnen nach einer Reliquie von ihm so laufen wuerden als das Volk nach dem Lappen eines Gehenkten, wiewohl jene fuer das Bezaubern, und dieses gegen dasselbe: so hatt' er absichtlich seine Haar-Schur dem Bade aufgehoben und daher seinem Bedienten verstattet, sie anzukuendigen und mit seiner Pegasus-Maehne einen kleinen Schnitthandel anzulegen. In der Tat schlug die Spekulation mit dem Flor von seinen Haarzwiebeln so gut ein als der hollaendische mit Blumenzwiebeln; ja eine Graefin wollte den ganzen Artikel allein an sich bringen zu einer adeligen und genialen Peruecke, so versessen war alles auf die Geburten seines fruchtbaren Kopfes, es mochten Gefuehle oder Locken sein. Dieser Handelflor seines Bedienten, wovon ihm selber gerade das Geistigste zuwehte, das Lob, liess ihn, wie gedacht, Theodas Verlust maennlicher verschmerzen, als er sonst gehofft; indes ob er ihr gleich seine Kroenungen, d. h. seine Tonsuren, nicht am sorgfaeltigsten zu verhehlen strebte, so warf er als heiliger Vater der Musen doch mitten unter seinem Kardinalgefolge aus angeborner Gutmuetigkeit statt der Bannstrahlen sanfte Sonnenblicke von Zeit zu Zeit auf die verlassene Geliebte, um, wie er hoffte, sie dadurch unter ihrer Last, wo moeglich, aufrecht zu erhalten. Hingegen den Hauptmann sah er kaum an - erstlich vor Ingrimm - zweitens weil er ihn nicht sah oder selten. Der gute Messkuenstler - dem sich jetzt das Leben mit einem neuen Flor bezogen hatte, und welchem der Brunnen-Laerm sich zur Trauermusik einer Soldatenleiche gedaempft - war nirgend zu sehen als ueber den unzaehligen Druckfehlern seines mathematischen Kaestners, welche er endlich einmal, da er sie bisher immer nur improvisierend und im Kopfe umgebessert, von Band zu Band mit der Feder ausmusterte. So wenig er nun Ursache haette, dazubleiben, so wenig hatt' er Kraft, fortzureisen. Bracht' er sich selber auf die Folter und auf die peinliche Frage, was ihn denn plage und nage, so fragte er nichts heraus als dies, es gehe ihm gar zu nahe, dass er ein unschuldiges Frauenzimmerchen durch seinen missverstandnen Namen-Wettkampf mit Niess zu einer Etourderie hingelockt und sie mit Gewalt in die Busszellen der Einsamkeit gejagt. »Die Wunden ihres Ehrgefuehls«, sagt' er sich, »muessen sie ja noch heisser schmerzen als einen Mann die des seinigen; und ich waere ja ein Hund, wenn ich nicht alles taete, was ich koennte, und nicht so weit wegbliebe von ihr als nur menschenmoeglich.« Dennoch fuhr er oft mitten aus den kaeltesten Rechnungen - die ihn eben weniger zerstreuten, weil sie ihn weniger anstrengten als einen andern - zaehneknirschend und schmerzen-gluehend auf vom Buche (er hatte unbewusst fortgerechnet und fortgefuehlt) und sagte: »O mein Gott! was ist denn? Dies hole der Teufel, o Gott!« Ein redlicher Krieg- und Messkuenstler von Juengling, der in seinem Leben nichts Weibliches weiter innig geliebt als seine Mutter und welchem bisher das leichte Blut so ungedaemmt durch das still-offne Herz geflogen, weiss gar nicht, wie er sich einmal einen ganz andern Gang und Schlag erklaeren und erleichtern soll; er seufzt und weiss nicht worueber und wofuer. Er moechte sterben und leben, toeten und kuessen, weinen und lachen; aber er kann doch nicht seine suess-gluehende Hoelle ausloeschen mit allen Traenen der ersten Sehnsucht. Wie wohlgemut und froh haelt dagegen ein Mann wie Niess, der schon oefter den heissen Liebe-Gleicher passiert ist, den bittersten Herzen-Harm aus! Ordentlich mit Lust schmilzt er in Traenen und schnalzt wie ein lustiger Fisch. Das Gefuehl, das bei einem mathematischen Theudobach eine drueckende Perle in der Auster ist, traegt er als eine schmueckende aussen an sich. Kurz er gehoert zu den Leuten, wovon ich einmal folgendes getraeumt. Ich hatte aber vorher gelesen, wie man in oesterreich die Kompagnien zum Beten so kommandiert: »Stellt euch zum Gebet! - Hergestellt euch zum Gebet! - Kniet nieder zum Gebet! - Auf vom Gebet!« - Da der Fluegelmann alle andaechtigen Handgriffe deutlich vormacht und frueher als die Kompagnie sein Herz zu Gott erhebt, dankend oder flehend: so kann kein Kerl aus der ganzen so fuer die Andacht zugestutzten Kompagnie im Beten stolpern ohne eigne Schuld, und falls einer eine Minute laenger als der Fluegelmann Gott verehrte, so wird er mit Recht vom Offizier zu allen Teufeln verflucht. In meinem Traume aber war von einem naehern Anbeten die Rede und waren mehr Kommandowoerter in Gang. Ich war zugleich der Offizier und der Fluegelmann - die groesste Schoenheit Baireuths sass auf dem Kanapee - und ich sagte zu meiner Rotte: »Hergestellt euch zum Anbeten! - Kniet nieder zum Anbeten! - Sehnet euch! - Hand gekuesst! - Seufzer ausgestossen! - Traenen vergossen! - Fallt in Verzweiflung! - Ermannt euch! - Aufgelacht! - Aufgestanden!« - Und so hab' ich und die Rotte das Roman-Exerzitium siebenmal in so kurzer Zeit durchgemacht, dass wir fertig waren, eh' ich erwachte. 37. Summula Neue Mitarbeiter an allem - Bonas Brief an Theoda. Noch immer blieb der Doktor Strykius ungepruegelt - und Theoda voll Sehnsucht nach Bona, und der Hauptmann unentschlossen zur Reise: als der Landesherr des Badeorts ankam und mit ihm die Aussicht auf neue scènes à tiroir, auf neue Spektakelstuecke und Szenenmaler fuer diese kleine Buehne; besonders die Aussicht auf die Erleuchtung der Hoehle. »Wird die Hoehle erleuchtet«, dachte der Doktor, »so find' ich vielleicht einen entlegenen finstern Winkel darin, worin ich den Hoehlen-Aufseher (Strykius) vor der Hand mit einem Imbiss der zugedachten Henkermahlzeit bewirte; oder mit einem Vorsabbat seines Hexensabbats - dergleichen waere eben wahre Kriegbefestigung im juridischen Sinne - ja ein blosser im Finstern recht geworfner Stein waere wenigstens eine Ouvertuere fuer seinen nicht offnen Kopf. In jedem Falle kann ich bei der Erleuchtung die Knochen der Hoehlenbaeren, die darin liegen sollen, besser suchen und holen; der Kerl bleibt mir ja immer.« Wirklich wurde die Erleuchtung der Hoehle, gleichsam die einer unterirdischen Peterskuppel, auf den naechsten Sonntag angekuendigt. Fuer Theoda nahte das muetterliche Totenfest: »Weiter wollt' ich ja hier nichts mehr«, sagte sie. Vormittags am sehnlich erwarteten Sonntag langte aus Pira zu Fusse der schweiss-bleiche Zoller und Umgelder Mehlhorn mit einem Gevatter-Brief an den Doktor an. Glaubwuerdige Zeugnisse hat man zwar nicht in Haenden, womit unumstoesslich zu beweisen waere, dass Katzenberger auf seinem Gesichte ueber diese Freudenbotschaft besondern Jubel, ausserordentliche Erntetaenze oder Freudenfeuer, mit Freudentraenen vermischt, habe sehen lassen; aber so viel weiss man zu seiner Ehre desto gewisser, dass er sich im hoechsten Grade anstrengte (er beruft sich auf jeden, der ihn gesehen), starke Freude zu aeussern, nur dass es ihm so leicht nicht wurde, auf die Schwefelpaste seines Gesichts die leichten Roetelzeichnungen eines matten Freudenrots hinzuwerfen; besonders wenn man bedenkt, dass er auf seinem Janus-Gesicht zwei einander deckende Gefuehle zu beherbergen hatte, Lust und Unlust. Kurz er bracht' es bald dahin, dass er, da er anfangs so verbluefft umhersah wie ein Hamster, den ein schwueler Hornung vorzeitig aus dem Winterschlaf reisst, dann lebendig aufblickte und aufsprang. Gegen den gutmuetigen Mehlhorn war aber auch Haerte so leicht nicht anwendbar; er stand da mit dem weissen Vollgesicht, so lauter Nachgeben, lauter Hochachten und Hoffen und Vaterfrohlocken! Wenigstens der Teufel haette ihn geschont. Da ohnehin an kein Abschrecken vom Gevatterbitten mehr zu denken war: so ueberschuettete ihn der Doktor mit allem, was er Bestes, naemlich Geistiges hatte, mit Herzens-Liebe, Hochachtung, innern Freudenregungen und dergleichen verschwenderisch, gleichsam mit einem Patengeschenk edlerer Art, um nur an schlechte massive Gaben gar nicht zu denken. Sein Herz fuehlte sich weit seliger dabei, wenn er eine geliebte Hand recht herzlich druecken und schuetteln durfte, als sie fuellen musste. Da ihm bei jeder Geburt Missgeburten in den Kopf kamen - solche haett' er mit Jubel aus der Taufe gehoben und beschenkt mit seinem Namen Amandus -, so warf er bei der Moeglichkeit wenigstens einiger wissenschaftlichen Missbildung nur wie verloren die Frage hin: »Der Junge ist wohl hoechst regelmaessig gebaut?« - »Herr Doktor«, versetzte der Zoller, »wahrlich wir alle koennen Gott nicht genug dafuer danken; er ist aber, wie die Wehmutter sagt, wie aus dem Ei geschaelt fuer sein Alter.« »Aus dem Leuwenhoekischen Ei fuer sein Alter von neun Monaten«, versetzte er etwas verdriesslich, »was? - Versteigen Sie sich doch um Gottes Willen nicht mit einem Anachronismus in die Physiologie!« - »Gott, nein«, fuhr Mehlhorn fort, »und die Woechnerin ist gottlob so frisch wie ich selber.«- »Ja, das ist sie, Gott sei Dank!« rief Theoda, nach der Lesung des Briefchens von Bona, in das wir alle auch hineingehen wollen, und stuerzte vor Freude dem Zoller an den Hals, der muehsam einen dicken Schal unter der Umhalsung aus der Tasche herausarbeitete, um ihn zu uebergeben. »Noch heute«, sagte sie, »geh' ich zu Fusse mit Ihnen und laufe die ganze Nacht durch, denn sie verlangt mich, und nichts soll mich abhalten.« Bona hatte sie allerdings zum Schutzengel weniger ihrer Person als des Haushaltens angerufen, aber eigentlich nur, um selber Theodas Engel zu sein, deren unglueckliche Lage, wo nicht gar unglueckliche Liebe, sie nach ihren letzten Tageblaettern zu kennen glaubte und zu mildern vorhatte. Allein Mehlhorn konnte sein Ja und seine Freude ueber die schnelle Abreise nicht stark genug ausdruecken, sondern bloss zu schwach; denn da der Mann einen Tag und eine Nacht lang mit seinem Gevatter-Evangelium auf den Beinen gewesen: so sehnte er sich herzlich, in der naechsten statt auf den Beinen nur halb so lange auf dem Ruecken zu sein im Bette. Der Vater sagte, er stemme sich nicht dagegen, gegen Theodas Abreise; ueberall lass' er ihr Freiheit. Er sah zwar leicht voraus, dass sie der Umgelder als galanter Herr unterwegs kostfrei halten wuerde; aber solchen elenden Geld-Ruecksichten haett' er um keinen Preis die Freiheit und die Freilassung einer volljaehrigen Tochter geopfert. Dazu kam, dass er sich oeffentlich seines Gevatters schaemte; der Zoller war naemlich in der gelehrten Welt weder als grosser Arzt noch sonst als grosser Mann bekannt. Was er wirklich verstand - das Zollwesen -, hatte Katzenberger ihm laengst abgehoert; aber der Doktor gehoerte eben unter die Menschen, welche so lange lieben, als sie lernen - was die armen Opfer so wenig begreifen, welche nie vergessen koennen, dass sie einmal von dem uebermaechtigen geachtet worden. - Katzenbergers Herz war in dieser Ruecksicht vielleicht das Herz manches Genies; wenigstens so etwas von moralischem Leerdarm. Bekanntlich wird dieser immer in Leichen leer gefunden - nicht weil er weniger voll wird, sondern weil er schneller verdaut und fortschafft; - und so gibts Leer-Herzen, welche nichts haben, bloss weil sie nichts behalten, sondern alles zersetzt weitertreiben. Aber schnell nach der Einwilligung des Doktors erkannte die vorher freudenberauschte Theoda die naehern Umstaende der Zeit. Hier fiel ihr Licht auf ihren unbesonnenen Antrag, den Gevatter totzugehen. Sie nahm ihn erschrocken zurueck und schlug ihm sofort den schoenern und hellern Gang vor, den in die abends erleuchtete Hoehle. Aber um sich fuer ihr Entsagen zu belohnen, las sie den folgenden Brief der Kindbetterin wieder und ruhiger: »Herz! Ich darf dir nicht viel antworten auf alle deine gelehrten Briefe. Ich bin diese Nacht niedergekommen, und zwar mit einem herrlichen, grossen Jungen, der wie das Leben selber aussieht; und ich aergere mich nur, dass ich ihn nicht gleich an die Brust legen darf, meinen schreienden Amandus; auch ich bin nicht sonderlich schwach, ob mir gleich der Physikus Briefschreiben und Aufstehen bei Seligkeit verboten. Du hast, du Leichte, dein dickes Halstuch, das du durchaus in der Abendkaelte nicht entraten kannst, bei mir liegen lassen, du Leichtsinnige, und mein einfaeltiger Mehlhorn konnte es in allen Kommoden nicht herausfinden, bis ich endlich selber aufstand und es erst nach einer Stunde ausstoeberte, weil der Mensch den Schal fuer einen Mantel oder so etwas angesehen und ihn unter die andern Sachen hineingewuehlt hatte. Zur Strafe muss er dir in der Rocktasche das bauschende Ding hintragen. Aber wie ich lese, bist du ja um und um mit lauter Fallgruben von Mannsleuten umgeben. O, komme doch recht bald nach Pira und pflege mich, und wir wollen darueber recht ordentlich reden, denn ich kann die Feder nicht fuehren, wie etwa du. Deinen Niess koennt' ich keine Stunde leiden; der Hauptmann waere mehr mein Mann. So einen musst du einmal haben, einen Vernuenftigen und Gesetzten, keinen Phantasten, denn ich wundere mich oft, wie du bei deinem Verstande und Witze, wo wir Weiber alle dumm vor dir stehen, doch so naerrisch und unueberlegt handeln und dir oft gar nicht sogleich helfen kannst, aber doch andern die herrlichsten Ratschlaege erteilst. Haette ich deine Feder und waere so vif wie du, ich wollte mich in der Welt ganz anders stehen. Jedoch bin ich herzlich zufrieden mit meinem Mehlhorn, da ers mit mir auch ist in unserer ganzen Ehe, weil er einsieht, dass ich die Haussachen und Weltsachen so gut verstehe wie er sein Zollwesen. Nur bitte ich dich instaendig, mein Herz, lasse ja niemal zu, dass ihm dein Herr Vater etwan aus Hoeflichkeit viel mit Wein zuspricht; Mehlhorns schwacher Kopf vertraegt auch den allerschlechtesten Kraetzer nicht, den ihm etwa dein Herr Vater vorsetzen moechte; sondern er spricht darauf ordentlich kurios-stolz und sogar, so sehr er mich auch lieb hat, gegen mein Hausregiment, was dir gewiss nicht lieb ueber deine alte Freundin zu hoeren waere. - Und dich wilde Fliege selber beschwoer' ich hier ordentlich, giesse im Bade vor so vielen Leuten nicht dein altes Teeloeffelchen voll Arrak in deinen Tee; denn du haeltst immer den Loeffel zu lange ueber der Tasse und giessest fort, wenn es schon ueberlaeuft, und dann ueberlaeuft es bei dir auch, wenn du diese Wirtschaft trinkst. Tu' es ja nur bei mir, nur nicht dort. - Nun so komme nur recht schleunig zu deiner Bona. Schreibe mirs wenigstens, im Falle du nicht kannst. Deine Tanzschuhe hast du auch stehen lassen, und er hat sie mit eingesteckte - So weit der Brief. Was nun den zu Gevatter gebetenen Katzenberger anlangt, so besass er zu viel Ehrgefuehl und Geld, als dass er sich nicht haette verpflichtet fuehlen sollen, seinen Gevatter an der oeffentlichen Wirttafel mit schlechtem Tisch-Kraetzer zu erfreuen und ihn eine glaenzende Tafel voll Blasmusik abgrasen zu lassen, wo ausser Grafen und Herren der Voelkerhirt selber sass; so wurde denn ein erster Tisch- oder Fechter-Gang verabredet und angetreten, wohin, denk' ich, alles, was in der kuenftigen Nachwelt Anspruch auf hoehere Bildung macht, uns ohne weiteres, wenn auch in bedeutender Ferne (naemlich von Zeit) ohnehin nachfolgen wird. (Der Schluss folgt im dritten Baendchen) Drittes Baendchen Dritte Abteilung 38. Summula Wie Katzenberger seinen Gevatter und andere traktiert. Auch Theoda begab sich wieder an die oeffentliche Tafel, naemlich zum letzten Male und an dem Arme des Zollers, der, ganz stolz auf die Ehre einer so vornehmen Nachbarschaft und auf den Schein, weniger der Gast des Vaters als der Wirt der Tochter zu sein, sie an ihren Sessel geleitete. Es ist zweifelhaft, ob ihr Entschluss der oeffentlichen Erscheinung bloss von ihrer Gevatter-Freude herkam oder von ihrer Achtung gegen Mehlhorn, der ohne ihre Nachbarschaft nur eine sehr kalte an der vaeterlichen finden konnte; - oder vom Gedanken der Abreise und vom Aufwachen ihres alten Stolzes - oder (wer koennt' es wissen) vom Wunsche, an der Tafel einen Fuersten zum ersten Male zu erblicken, oder gar den Hauptmann Theudobach zum letzten Male, oder von der Aussicht in die abends aufleuchtende Eden-Grotte; - oder aus unbekannten Ursachen; sehr zweifelhaft, sag' ich, ist es, aus welcher von so vielen Ursachen ihre Umaenderung entsprang, und mein Beweis ist der, dass es wahrscheinlich ist, alle diese Gruende zusammen - samt allen unbekannten - haben mitgewirkt. Theoda sollte diesmal immer froher werden; noch vor dem Essen sah sie ihren Vater ueber 100 Vaterunser lang vom Fuersten gehalten und gehoert. Der Fuerst hoerte, wie andere Fuersten, Gelehrte aller Art fast noch lieber und noch laenger, als er sie las; vollends einen, der wie Katzenberger nicht sein Landeskind, seine Landesplage oder sonst von ihm abhaengig war; er befragte ihn besonders ueber die Heilkraefte des Brunnens. Der Doktor setzte sie sehr hoch hinauf und sagte, er habe ein kleines chemisches Traktaetchen in der Tasche, worin er dargetan, der Maulbronner Brunnen vereinige als Schwefel-Wasser alle Kraefte des Aachner, des Zaysenhauser im Wuerttembergischen und des Wildbads zu Abach, wie schon das haessliche Stinken nach faulen Eiern verspreche. Hier wollt' er das Traktaetchen aus der Tasche ziehen, brachte aber dafuer einen langen Baerenkinnbacken mit Zaehnen halb heraus, den er in der Baerenhoehle schon ohne Huelfe der Illumination aufgefunden und zu sich gesteckt. »Ei, wie boese!« sagt' er, »hab' ich die Untersuchung doch zu Hause gelassen. Aber ich habe immer die Taschen voll anatomischer Praeparate!« - Der Fuerst, leicht den verpoenten Knochendiebstahl und willkuerlichen Knochenfrass wahrnehmend, ging laechelnd darueber mit der Bitte hinweg, ihm den Traktat zu senden; und tat die Frage, ob es ihm im Bade gefalle. - »Ungemein«, versetzte er, »ob ich es gleich nicht selber gebrauche; aber fuer einen Arzt ist schon der Anblick so vieler Presshaften mit ihrer unterhaltenden Mannigfaltigkeit von Beschwerden, die alle ihre eigne Diagnose verlangen und alle verschieden zu heben sind, eine Art Brunnenbelustigung, gleichsam eine volle Flora von Welkenden. Der ordentliche Brunnenarzt freut sich hier wie ein Lumpensammler, wenn recht viel zerrissen ist; es gibt dann unter dem Lumpenhacker viel verklaertes feines Postpapier in die andere Welt zu liefern, und der Badort ist ein schoener Vorhof zum Kirchhofe.« Den Fuersten wunderte und erfreute am Arzte sehr die Satire auf den eignen Stand, und er laechelte; allein er bedachte nicht, dass eigentlich jeder am meisten ueber seinen als den ihm bekanntesten, der Hofmann ueber den Hof, der Autor ueber das Schriftstellerwesen, ja der Fuerst ueber Seinesgleichen Spott ausgiesst, nur ihn aber andern nicht gern erlaubt. - »Raten Sie mir doch, Herr Professor«, fragte der Fuerst, »welche Motion ist die beste?- - »Gehen, Durchlaucht, als die rechte Mitte zwischen Reiten und zwischen Fahren«, antwortete Katzenberger. »Aber ich gehe taeglich, und es hilft mir wenig«, versetzte der dickleibige Regent. »Wahrscheinlich darum«, sagte der Doktor, »weil Hoechstderoselben vielleicht nur mit den Fuessen gehen; was zum Teil seine Nachteile hat - (der Fuerst sah ihn fragend an) denn auch mit den Haenden muss zu selber Zeit gegangen und sich bewegt werden, da wir Saeugtiere in Ruecksicht des Koerpers ja Vierfuesser sind, wie Moscati sehr gut, nur mit uebertreibungen, bewiesen.« - Er setzte nun die Sache mehr ins Licht und zeigte: »Das Venenblut steige ohnehin schwer die Fuesse herauf, haeufe sich aber noch mehr in ihnen an, wenn man sie allein in Bewegung und Reizung setzt; und dann sei fuer den ganzen uebrigen Venenblutumlauf nur schlecht gesorgt.* Daher muessen durchaus die Oberfuesse oder Arme als Mitarbeiter - wenigstens von hohen Personen, die mit ihnen nicht am Saegebocke oder hinter dem Garnweberstuhl oder auf der Drechselbank hantieren wollen - gleich stark mit den Unterfuessen auf und ab geschleudert werden, zumal da schon nach Haller in seiner Physiologie das einfache Aufheben eines Armes den Puls um viele Schlaege verstaerke.« - Und hier machte der Doktor dem Fuersten den offizinellen Gang mit gehenden Perpendikelarmen so geschickt vor, dass er, wie ein trabendes Pferd, Ober- und Unterbeine in entgegengesetzter Richtung vorwaerts und hinterwaerts schlug; - und die ganze Badgesellschaft sah von fernen den unbegreiflichen und unehrerbietigen Schwenkungen des Doktors vor dem Fuersten zu. »In der Tat«, sagte der Fuerst laechelnd, »dies muss man versuchen, wenn auch nicht in grosser Gesellschaft.« - »Dann«, fuhr der Doktor fort, »kann man noch mehr tun. Da eigentlich das Saeuern oder Entkohlen des Bluts das Ziel alles Lustwandelns ist: so halt' ich auf Spaziergaengen meinen Mund ausserordentlich weit aufgesperrt, um so die Luft stromweise in meine Lungen einzuschuetten zum Oxydieren. Ja, ich darf Ihrer Durchlaucht vorschlagen, dass Sie in Zeiten, wo das Wetter nicht zum Gehen ist, dafuer recht gut das Reden waehlen koennen, weil dieses das Blut herrlich saeuert durch das schnellere Einatmen der Lebensluft und das Ausatmen der Stickluft. Daher erkranken wir Professoren haeufig in den Ferien durch Aussetzen der Vorlesungen, mit welchen wir uns zu saeuern und zu entkohlen pflegen. Auch der treffliche, in unsern Zeiten zu wenig erwaehnte Unzer, Ihro Durchlaucht, bemerkt im achtzigsten Stuecke seines Arztes ganz wahr, dass den Verrueckten das unaufhoerliche Sprechen und Singen die Motion ersetze.« - Da nahm endlich der Fuerst von dem beruehmten Gelehrten - der seinen Bueckling mehr nur mit dem innern Menschen machen konnte, obwohl nur vor einem van Swieten, Sydenham, Haller, Swift - mit groesserer Hoeflichkeit Abschied, als Katzenberger verhaeltnismaessig erwiderte, ja mit zu grosser fast. Warum aber? vielleicht weil ueberhaupt Fuersten gern dem fremden Gelehrten am hoeflichsten begegnen - weil ihre Hoeflichkeit sie noch nichts kostet - weil sie ihn erst angeln wollen - weil ein von innen aus Freigemachter bei ihnen unter die Freiherrn und Freifrauen tritt, d. h. unter ihresgleichen - weil die Sache ohne Folgen (gute ausgenommen) ist - weil die Fuersten gern alles tun, aber nur Einmal, auch das Beste - weil die ganze Sache kurz abgetan, und lang abgesprochen wird - weil sie einmal in Erstaunen ihrer Herablassung setzen wollen, welches bei Untertanen sie zu viel kosten wuerde - weil sie vom Manne spaeter an der Tafel etwas sagen wollen und ihn also vorher etwas sagen lassen muessen - und weil sie eben dasselbe ohne alle Gruende taeten, um so mehr da sie den besagten Mann schon halb vergessen, wenn er noch dasteht, und sich nach Jahren nicht gut mehr erinnern, wer der Mensch gewesen - und endlich, weil es doch beim Himmel auch Fuersten gibt, welche, wie Friedrich II., die schoenste Ausnahme machen und einen Gelehrten noch hoeher wuerdigen als ein Gelehrter. Indes auch einheimische Schriftsteller koennten die Sache benuetzen und sich vor solchen von ihren Fuersten, die auf ihnen wie Sultane auf verschnittenen niedergebueckten Zwergen sich in den Sattel schwingen wollen, geradezu als Tanzbaeren aufrichten und auf die Hinterfuesse treten. Um so unbegreiflicher bleibt es darum, dass bisher die aerzte und die Rechtsgelehrten gegen die hoehern Staende nicht zehnmal groeber ausfallen, als sie tun, und nicht so grob, als die Virtuosen der Zeichen-, der Ton-, der Schau- und der Tanzkunst laengst getan; denn ohne jene, die ja erst Lang-Leben und Wohlleben verschaffen, sind alle Springer und Geiger unbrauchbar, indem alle Philosophen darueber einig sind, dass man, um wohl zu leben, zuvoerderst leben muesse. Doch sprech' ich jenen nicht alle Grobheit ab, sondern nur den groessten Grad. Etwas anders sind Dichter, Weltweise und Moralisten, ja Prediger (in unsern Tagen); diese koennen nie hoeflich genug sein, weil sie nie unentbehrlich genug sind. Endlich setzte sich der Doktor mit dem Glanze, den er als ein Lichtmagnet an sich gezogen vom Fuersten-Sterne, kalt zu seinem Mehlhorn und seiner Tochter. Der Umgelder haette beinahe den Hunger verloren vor Anbetung des Fuersten und vor Bewunderung Katzenbergers, der so leicht mit jenem diskutiert hatte. Unter dem Essen lenkte der Doktor die Rede aufs Essen und merkte an, er wundre sich ueber nichts mehr, als dass man, bei der Seltenheit von Kadavern und vollends von lebendigen Zergliederungen, so wenig den fuer die Wissenschaft benutze, in dem man selber stecke, besonders im Sommer, wo tote faulen. »Waer' es Ihnen zuwider, Herr Mehlhorn, wenn ich jetzo z. B. den Genuss der Speisen zugleich mit einem Genusse von anatomischen Wahrheiten oder Seelenspeisen begleitete?« - »Mit tausend Wohlgefallen, teuerster Herr Doktor«, sagt' er, »sobald ich nur kapabel bin, Ihrer gelehrten Zunge zu folgen.« - »Sie brauchen bloss zu meinem Sprechen zu kaeuen; naemlich bloss von der Kaeufunktion will ich Ihnen einen kleinen wissenschaftlichen Abriss geben, den Sie auf der Stelle gegen Ihre eigne, als gegen lebendiges Urbild, halten sollen. - Nun gut! - Sie kaeuen jetzt; wissen Sie aber, dass die Hebelgattung, nach welcher die Kaeumuskeln Ihre beiden Kiefern bewegen (eigentlich nur den untern), durchaus die schlechteste ist, naemlich die sogenannte dritte, d. h. die Last oder der Bolus ist in der groessten Entfernung vom Ruhepunkte des Hebels; daher koennen Sie mit Ihren Hundzaehnen keine Nuss aufreissen, obwohl mit den Weisheitzaehnen. Aber weiter! Indem Sie nun den Farsch da auf Ihrem Teller erblicken: so bekommt (bemerken Sie sich jetzt) die Parotis (hier ungefaehr liegend) so wie auch die Speicheldruese des Unterkiefers Erektionen, und endlich giesst sie durch den stenonischen Gang dem Farsche den noetigen Speichel zu, dessen Schaum Sie, wie jeder andere, bloss den ausdehnenden Luftarten verdanken. Ich bitte Sie, lieber Zoller, fortzukaeuen, denn nun fliesset noch aus dem ductus nasalis und aus den Traenendruesen alles nach, woraus Sie Hoffnung schoepfen, so viel zu verdauen, als Sie hier verzehren. Nach diesem Seedienst kommt der Landdienst.« - Hier lachte der Zoller ueber die Massen, teils um hoeflich zu erscheinen, teils das Missbehagen zu verhehlen, womit er unter diesem Privatissimum von Lehr-Kursus alles verschlang; - gleichwohl musst' er fortfahren, zu geniessen. - »Ich meine unter dem Landdienst dies: jetzt greift Ihr Trompetermuskel ein und treibt den Farsch unter die Zaehne - Ihre Zunge und Ihre Backen stehen ihm bei und wenden und schaufeln hin und her - ausbeugen kann der Farsch unmoeglich - auswandern ebenso wenig, weil Sie ihn mit zwei haeutigen Klappen (Wangen im gemeinen Leben) und noch mit dem Ringmuskel oder Sphinkter des Mundes (dies ist nur Ihr erster Sphinkter, nicht Ihr letzter, damit korrespondierender, was sich hier nicht weiter zeigen laesst) auf das schaerfste inhaftieren und einklammern - kurz der Farsch wird trefflich zu einem sogenannten Bissen, wie ich sehe, zugehobelt und eingefeuchtet. - Nun haben Sie nichts weiter zu tun (und ich bitte Sie um diese Gefaelligkeit), als den fertigen Bolus in die Rachenhoehle, in den Schlundkopf abzufahren. Hier aber hoert die Allmacht Ihres Geistes, mein Umgelder, gleichsam an einem Grenzkordon auf, und es kommt nun nicht mehr auf jenes ebenso unerklaerliche als erhabne Vermoegen der Freiheit (unser Unterschied von den Tieren) an, ob Sie den Farsch-Bissen hinunterschlucken wollen oder nicht (den Sie noch vor wenigen Sekunden auf den Teller speien konnten), sondern Sie muessen, an die Sperrkette oder Trense Ihres Schlundes geheftet, ihn nun hinabschlingen. Jetzt kommt es auf meine guetige Zuhoererschaft an, ob wir den Bissen des Herrn Zollers begleiten wollen auf seinen ersten Wegen, bis wir weiterkommen.« - Mehlhorn, dem der Farsch so schmeckte wie Teufelsdreck, versetzte: »Wie gern er seines Parts dergleichen vernehme, brauch' er wohl nicht zu beschwoeren; aber auf ihn allein komm' es freilich nicht an.« - »Ich darf denn fortfahren?« sagte der Doktor. »Vortrefflicher Herr«, versetzte eine aeltliche Dame, »Ihr Diskurs ist gewiss ueber alles gelehrt, aber unter dem Essen macht er wie desperat.« - »Und dies ist«, erwiderte er, »auch leicht zu erklaeren; denn ich gestehe, dass ich selber unter allen Empfindungen keine kenne, die staerker, aber auch grundloser ist und die weniger Vernunft annimmt, als der Ekel tut. Nur zwei Beispiele statt tausend! Ich hielt mir im vorigen Herbste ein Paar lebendige Schnepfen, die ich mit unsaeglicher Muehe zahm gemacht, teils um sie zu beobachten, teils um sie auszustopfen und zu skelettieren. Da ich nun meinen Gaesten gern Ausgesuchtes vorsetze: so bot ich einigen Leckermaeulern darunter Schnepfendreck, wie gewoehnlich mit Butter auf Semmelscheiben geroestet, an, und zwar so wie ihn taeglich meine beiden Schnepfen unmittelbar lieferten. Aber ich darf Sie als ehrlicher Mann versichern, meine Gnaedige, auch kein einziger bezeigte statt einiger Lust etwas anderes als ordentlichen Abscheu vor dem vorgesetzten Dreck; und weshalb eigentlich? - Bloss deshalb - nun komm' ich auf unsern Punkt -, weil das Schnepfengedaerm nicht mit auf die Semmelscheiben gestrichen war und die Gourmands nur blossen Netto- und keinen Bruttodreck vor sich erblickten. Ich bitte aber hier jeden vernuenftigen Mann zu urteilen, ob ich meine Sumpfvoegel - da sie ganz die Kost erhielten (Regenwuermer, Schnecken und Kraeuter), aus der Schnepfen von jeher den Liebhabern wieder eine Kost auf den ersten Wegen zugefuehrt - ob ich, sag' ich, solche etwan abschlachten sollte (wie jener seine Henne, die ihm taeglich goldne Eier legte), um gleichsam die Legdaerme aufzutischen. - Es kommt mir vor, als ob solche Liebhaber die nussbraunen Locken der schoenen Damen am Tische nicht anders nach ihrem Geschmacke finden koennten, als noch in Papilloten eingemacht. - Man denke doch an den Dalai Lama, der seine Verehrer, die groessten Fuersten und Glaubige, auch taeglich mit seinen eignen Schnepfen-Reliquien beschenkt; aber keinem darunter ist es noch eingefallen, diesen asiatischen Papst wie eine Schnepfe zu schiessen oder zu wuergen, um ihn in Bausch und Bogen zu haben, sondern man ist zufrieden mit dem, was er geben kann. Dies ist das eine Beispiel vom Unsinne des Ekels. Aber das staerkere kommt. Wein, Bier, Likoer, Bruehe, kurz nichts ist uns so rein, so einheimisch und so zugeartet und bleibt so gern tagelang (was nichts Fremdes kann) in unserm Munde als etwas, wovon der Besitzer, wenn es heraus waere, keine halbe Teetasse trinken koennte - Speichel. Ist aber dies kein wahrer Unsinn, so waer's auch keiner, sondern vernuenftig, wenn ich meinen trefflichen Herrn Kollegen Strykius verabscheute aus Ekel, bloss weil er, obwohl mir in Wissenschaft und Streben so verwandt und durch Freundschaft gewissermassen ein Teil meines Innern, ausser mir staende neben meinem Stuhle.« Daneben war wirklich der Brunnenarzt Strykius im Mute des Wein-Nachtisches getreten. ueber des Doktors Mut und Glueck bei dem Fuersten und besonders ueber das Armwerfen des einen und ueber das Anlaecheln des andern konnt' er kaum zu sich kommen; denn er selber lag, kaum von einem Fuerstenfinger beruehrt, wie manche Raupen gebogen und steif da oder fiel wie eine Hangspinne am Faden nieder auf den Boden; und er wuerde als Geburthelfer eines Kronprinzen unter den fuerstlichen Wehen hoechstens gesagt haben: wollen Ihre Durchlaucht nicht die hohe Gnade haben, einzutreten in die Geburt und das Licht der Welt erblicken? Auch wollte er seinem Landesherrn von weitem seine innigen Verstaendnisse mit einem so gelehrten Manne vorzeigen. Aber Katzenberger liess ihn seinen Schein und sein Annaehern ziemlich bezahlen; denn er kam auf einem schwachen, nicht sehr maskierten Umweg auf seinen Rezensenten zurueck. - (Der Umweg war bloss die Einschraenkung des vorigen Satzes ueber den Abscheu, naemlich die Bemerkung, dass ihn allerdings sein Kunstrichter, obwohl Handwerkgenoss, anekle.) - Er sprach davon, was wir leider so oft in diesem Werkchen gelesen, von der Suende, Eine Stimme fuer mehre, fuer drei Instanzen zu verkaufen, Einen geschwornen Meineidigen fuer eine Jury, Einen Judas fuer elf Apostel. Er brachte dann wieder - was wir alle leider so oft von ihm gehoert, so dass ich die Leser fast noch mehr bedaure als mich - die alten kalten Einkleidungen seines kuenftigen Auspruegelns zu Markte und aeusserte (denn ich fuehre nicht alles an), ihn quaele sehr die Wahl, wie ers zu halten habe, da er von der einen Seite recht gut dem Kunstrichter bloss die Haare ausziehen koenne, weil nach Aretaeus schon blosses Abscheren Wahnsinn heile (wie an den Tituskoepfen der Revolution noch zu sehen), aber da er auch von der andern Seite noch staerker zu Werke gehen und den Kerl, wie Bierflaschen, durch Schrot reinigen koenne, welcher Schrot, freilich anders als bei der Flasche, bloss durch einen Schuss in ihn zu bringen waere, wiewohl man bei Blei des Feindes Gesundheit stets riskiere, weil dasselbe stets vergifte, es fliesse nun langsam und suess in Wein aufgeloest in den Magen, oder es fahre im ganzen roh durch Magen und Leib. »Bon!« versetzte Strykius und verstand Spass. - »Wer Leben wiedergibt, kann es auch zuruecknehmen, und Sie koennen ermorden, weil Sie oft genug geheilet haben. Doch Scherz beiseite! - Ich habe, guter Katzenberger, Ihre koestlichen Werke erst nach den Rezensionen gelesen - -« - »Ganz natuerlich!« unterbrach der Doktor ... »Und ich habe etwas darin gefunden, was ich noch von niemand gehoert, dass Sie naemlich einem beruehmten Englaender aufs Haar gleichen«, fuhr Strykius fort. »Wem aufs Haar?« fragt' er. »Dem wackern Doktor und Romancier Smollet in London. Weniger in Wissenschaft - denn hier weiss ich nicht genau, ob Smollet besondere Vorzuege besessen - als im Humor; wie, Herr Doktor?« - »Pruegelszenen«, versetzte er, »hat er allerdings einladend dargestellt, und insofern duerft' ich etwas von ihm haben, wiewohl nicht in theoretischer Darstellung, sondern etwan in praktischer; denn ich frage Sie als Unbefangenen ernstlich, ob es eine groessere Halunkerei gibt, als mit sieben Stimmen aus drei Zerberus-Kehl-Koepfen - -« »Wir kennen dies, Freund. Vielleicht haben wir beide etwas getrunken! wenigstens ich«, sagte Stryk; »Sie bleiben Smolletus secundus. Aber zum Zeichen, wie mich auch das Kleinste an Ihnen interessiert, sag' ich Ihnen ganz leise ins Ohr: Ihre linke Beinkleiderschnalle ist eine staehlerne, und die rechte ist bronzen. Sie verzeihen doch, mein Trefflicher, einem Kollegen, der sich gleichfalls nicht von gelehrten Zerstreuungen fuer frei erklaert, diese freimuetige Bemerkung, die ich wahrhaftig bloss wegen einiger Augen und Blicke der erbaermlichsten Gemeinheit gemacht.« - »Schon vor Jahren«, versetzte der Doktor, »seitdem ich von jedem Paare eine Schnalle verloren, hab' ich meine Knie ganz absichtlich so eingeschnallt, weil ich mir immer sagte: da jeder nur Eine Schnalle auf einmal bemerken kann und dann eine gleiche voraussetzt: was muesste dies fuer ein Narr sein, der auf beide Schnallen Jagd machte und so ihren Unterschied sich recht einkeilte? Hatt' ich aber wohl unrecht, mein Freund?« - Katzenberger war mit einem unueberwindlichen Hass gegen das Aufwallen knechtischer Herzlichkeit, gegen jenes ekle ueberfliessen der Liebedienerei da geplagt, wo er gerade Gallergiessungen vorgereizt und erwartet hatte; und hier war er leichter von fremder Suesslichkeit zu erbittern als von Bitterkeiten selber. Da er nun das Seinige getan, naemlich gesagt, so richtete er die Frage: »Kommt der Leibmedikus Semmelmann doch dem Fuersten nach?« mit einer seltsamen Miene an Strykius, welche fast tun sollte, als wolle sie Erbitterung und Hinterlist verbergen. Strykius starrte ploetzlich in eine ganz neue, aber huebsche Perspektive hinein - glaubte zu wittern, dass der Doktor den Leibmedikus Semmelmann fuer den pruegelbaren Rezensenten halte - und versetzte: »Kuenftige Woche!« 39. Summula Doktors Hoehlen-Besuch. Eine Stunde vor Sonnenuntergang war de Hoehle mit Lampen erleuchtet. Der Brunnenarzt, zugleich Hoehlen-Inspektor, hatte einen fluechtigen, aber guten Einfall, als er im engen langen Eingange stand. Katzenbergers kalte Handhabung seiner, zumal vor den Augen seines Fuersten, hatt' ihn wahrhaft verdrossen; denn gern liess er sich Herabwuerdigung gefallen, aber sein Ehrgefuehl litt empfindlich, sobald man sie ihm nicht unter vier Augen antat. Daher geriet er auf den Gedanken: jetzt, wenn der Doktor durch die wie ein Sperrkreuz laufende Tuere in den engen duestern Gang eintrete und einige Minuten lang vom Taglichte so blind in diese untere Welt komme als ein neugebornen Hund in die obere, ihm auf seine beissigen Antikritiken eine leise anonyme Antwort zu geben. Diese, hoffte er nun, wuerde erschoepfend sein, wenn sie seinen Geiz und seine Geburthelferkunst zugleich angriffe. Aus diesem Grunde legte er sein spanisches Rohr wie eine Lanze gegen die einzige im Gange haengende Lampe ein und stiess - sobald der blinde Katzenberger unter sie kam und links umhergriff - die ganze Lampe behend auf dessen Achsel und aermel herab; - darauf, als er ihm Licht und oel genug in eine dazu erst nachzuschiessende Wunde voraus eingegossen, trug er die noetige Wunde nach, indem er sein Rohr, waehrend der Drehkrankheit des Doktors, so geschickt wie einen Stundenhammer auf dessen geburthelferische Fingerknoechel fallen liess, als woll' er den Arm von unten raedern. Noch eh' Katzenberger ausgetanzt und ausgerungen hatte und denken und sehen konnte: stand der Brunnenarzt nach einigen schnellen, weiten, leisen, in Nebengaenge eingebognen Schritten schon mitten auf dem schimmernden Marktplatz der Hoehle in Bereitschaft da, dem unruhigen Freunde mit Gruss und Liebe entgegenzusehen und ihn anders als vorher zu empfangen, indem er ihm inbruenstig die herabwelkende Hand bloss drueckte. Katzenberger sah ihn scharf an, laechelte unversehends und schauete umher, bald auf die Lampen, bald auf seine wunden Fingerknoechel, und sagte: »Herrlich, ueberraschend! Und alles so Ihrer Haende Werk?« - »Das wohl nicht«, versetzte Strykius, »aber Plan und Ideen gab ich ziemlich her.« - »Serenissimus - fuhr Katzenberger fort und zog seinen Hoehlen-Baerenkinnbacken aus der Tasche - haben neulich, als ich diesen Baerenknochen zufaellig statt meines Traktaetchens ueber das Bad aus der Tasche brachte, den kleinen Raub, so viel ich gemerkt, nicht ungnaedig aufgenommen. Ganz gewiss, Herr Hoehleninspektor, lassen Sie mich auch wohl den zweiten Kinnbacken - hier hab' ich nur den linken - aus der Hoehle mitnehmen, obgleich hier dieser Knochenraub sonst andern verboten sein soll; was entscheiden Sie?« - »Sie werden nur lange im Finstern suchen muessen, bis Sie den rechten dazu finden, Herr Professor«, sagte Strykius. - »Und so lange will ich auch suchen«, antwortete Katzenberger, »bis ich meinen zweiten Kinnbacken habe. Denn es ist mir ordentlich (fuhr er fort und schwenkte den Baerenknochen sehr in die Hoehe), als wenn ich ihn als einen Eselkinnbacken gegen meinen kritischen Philister fuehren koennte, gegen den Rezensenten, den Sie kennen. - Der Baer ist am Kopf am schwaechsten, so auch mein Rezensent, und koennt' ich solchen homoeopathisch, aehnliches durch aehnliches, kurieren, wenn ich diese Kinnbacken statt menschlicher als Sprachwerkzeuge bewegte, als tote Streitflegel gegen einen lebendigen Streitflegel; wie, mein Bester?« - »Dort seh' ich ja wohl Ihr Fraeulein Tochter herkommen«, versetzte Stryk. 40. Summula Theodas Hoehlen-Besuch. Spaet kam Theoda mit Mehlhorn, in dessen ehrlichem, warmen Herzen sie sich ordentlich wie zu Hause befand; denn eine schoene Seele kann eine schwache, die bloss zum Widertoenen geboren ist, so lange geniessen, ja mit sich verwechseln, bis sie ein solches Echo auch den Tierstimmen untertaenig findet. Theoda trat mit dem Gedanken an die muetterliche Schlafhoehle in den kuehlen duestern Gang und sah anfangs nur Nacht unten und Licht-Sternchen oben - endlich tat sich ihr das Schattenreich auf, mit einer schimmernden Sternendecke und mit Huegeln, Felsen, Grotten und Hoehlen in der Hoehle. Alles schien eine Unterwelt zu bedeuten; der Volkstrom, den sie so lange draussen im Taglichte in die Tuer einfluten sah, schien hier, wie ein Menschengeschlecht in Graebern, ganz vertropft zu sein; und bald erschien auf den Huegeln da ein Schatte, bald kam aus den langen Gaengen dort einer her. Ihr Herz, das heute so manchen Abschied nahm und dem das Geklueft immer mehr zum Schlafsaale der Toten wurde, schlug zuletzt so ernst und beklommen, dass das gutmuetige, heitere Gespraech Mehlhorns sie in ihren Erinnerungen und Phantasieen stoerte; sie wollte allein denken und recht traurig; die ganze Woelbung war nur die groessere Eisgrube des Todes; ein Grubenbau der Vergangenheit, so wie ein Gebeinhaus der Hoehlenbaeren, deren unverrueckt gelassene Gerippe alle mit den Koepfen an der Wandung lagen, wie zum Ausgange. Sie brachte, obwohl muehsam, ihren Begleiter dahin, dass er ihr den Genuss der Einsamkeit zuliess und selber den seinigen mit den groessern Maennerschritten auf dem durchbrochenen Boden suchte. Jetzt ungestoert ging sie unter den andern Lichtschatten herum - sie kam vor eine kleine Bergschloss-Ruine - dann vor ein Schiefer-Haeuschen, bloss aus Schiefern voll Schiefer-Abdruecke gemacht - dann toente auf den entfernten unterirdischen Alpen zuweilen ein Alphorn die Hoehlungen hindurch - sie kam an einen Bach, in welchem die unterirdischen Lampen zum zweiten Male unterirdisch widerglaenzten - dann an einen kleinen See, worin eine abgespiegelte Gestalt gegen den umgekehrten Himmel hinunterhing; es war die Bildsaeule der Fuerstin-Mutter, die ihr Sohn dicht neben ihrem Grabe aufgestellt. Theoda eilte zu dem blassen Marmor, wie zu einer stillen Geistergestalt, und setzte sich auf das Grab daneben. Sie durfte jetzt alles vergessen und nur an ihre Mutter denken und sogar weinen; wer konnt' es im Dunkel bemerken? Theudobach kam aus Felsengaengen gegen sie daher, dessen schoene Gestalt ihr durch den Zauber des Helldunkels noch hoeher aufwuchs. Sie erschrak nicht, sondern sah liebreich zu seiner entbloessten Stirn empor, auf der das Licht einer unbefleckten Jugend bluehte; »er habe sie heute«, fing er an, »lange gesucht, weil er diesen Abend noch ueber Pira nach Hause abreise; denn er koenne nicht gehen, bevor er noch einmal sein Betragen entschuldigt und ihre Verzeihung mitgenommen«. »Recht gut!« sagte sie. »Morgen haetten Sie mich ohnehin umsonst gesucht; ich geh' ebenfalls ab; und was das uebrige anbetrifft: ich vergebe Ihnen herzlich; Sie vergeben mir; und wir wissen beide nicht recht was: so ist alles vorbei.« Dieses brachte sie in einem Tone vor, der sehr leicht und scherzend sein sollte, eben weil ihre Augen noch in der Wehmut der vorigen Ruehrung schwammen. Auf einmal toente von einem blasenden Musikchore auf einem fernen Felsen das Lied herueber: Wie sie so sanft ruhn! Heftig fuhr sie vom Grabe auf und sagte, unbekuemmert, dass ihre Traenen nicht mehr zu halten waren, mit angestrengtem Laecheln: »Eine Abschied-Gefaelligkeit koennten Sie mir wohl erweisen - einen Freund meines Vaters in Ihrem Wagen mitzunehmen bis Pira.« - »Mit Freuden!« sagt' er. »So hol' ich ihn her«, versetzte sie und wollte davoneilen; er hielt sie an der Hand fest, blickte sie an, wollte etwas sagen, liess aber die Hand fahren und rief: »Ach Gott, ich kann Sie nur nicht weinen sehen.« Sie eilte in einen Felsen-Talweg hinein, er folgte ihr unwillkuerlich nach - da fand er sie mit dem Kopfe an eine Felsenzacke gelehnt; sie winkte ihn weg und sagte leise: »O lasst mich weinen, es fehlt mir nichts, es ist nur die dumme Musik.« - »Ich hoere keine (sagte der Krieger ausser sich und riss sie vom Felsen an sein Herz) - O du himmlisches, gutes Wesen, bleib' an meiner Brust - ich meine es redlich, muss ich von dir lassen, so muss ich zugrunde gehen.« Sie schauerte in seinen Armen, das weinende Angesicht hing wie aufgeloeset seitwaerts herab, die Toene drangen zu heftig ins gespaltene Herz, und seine Worte noch heftiger. »Theoda, so sagst du nichts zu mir?« - »Ach«, antwortete sie, »was hab' ich denn zu sagen?« und bedeckte das erroetende Gesicht mit seiner Brust. - Da war der ewige Bund des Lebens zwischen zwei festen und reinen Herzen geschlossen. Aber sie fasste sich in ihrer Trunkenheit zuerst und nahm seine Hand, um wieder in die weite Mitte des schimmernden Himmelgewoelbes vor die Zuschauer zu gehen. - Als jetzt dem Musikchore ein zweites, in tiefe Ferne gelegt, antwortete als ein Echo: - so hielten beide Glueckliche das leisere Toenen noch fuer das alte laute, weil die Saiten ihres Herzens darein mitklangen. Und als Theoda heraustrat vor den Glanz des brennenden Gewoelbes, wie anders erschien es ihr nun! Eine Unterwelt lag vor ihr, aber eine elysische; unter der weiten Beleuchtung flimmerten selber die Wasserfaelle in den Grotten und die Wasserspruenge in den Seen - ueberall auf den Huegeln, in den Gaengen wandelten selige Schatten, und auf den fernen Widerklaengen schienen die fernen Gestalten zu schweben - alle Menschen schienen einander wiederzufinden, und die Toene sprachen das aus, was sie entzueckte - das Leben hatte ein weisses Brautkleid angezogen - wie in einem vom Mondschein glimmenden Abendtau und in Lindenduft und Sonnen-Nachroete schienen der seligen Theoda die weissgekleideten Maedchen zu gehen, und sie liebte sie alle von Herzen - und sie hielt alle Zuschauer fuer so gut und warm, dass sie oeffentlich wie vor einem Altare haette dem Geliebten die Hand geben koennen. - In dieser Minute liess der Fuerst eine heimliche, nach dem Abendhimmel gerichtete Eichenpforte des Hoehlen-Bergs aufreissen und liess die Abendsonne wie einen goldnen Blitz durch die ganze Unterwelt schlagen und mit einer Feuersaeule durch sie lodern. »Ach Gott, ist denn dies wahr, sehen Sie es auch?« sagte Theoda zu ihm, welche glaubte, sie erblicke nur ihr innres Entzuecken in das aeussere Glaenzen ausgebrochen und ihr Gesichte vorspielend, da gleichsam die goldne Achse des Sonnenwagens in der Nachtwelt ruhte und mit dem Glanz-Morgen, den er ewig mitbringt, die Lichter ausloeschte und die Hoehen und die Wasser uebergoldete - da der ferne Mond-Tempel wie ein Sonnen-Tempel gluehte - da die bleiche Bildsaeule am See sich in lebendigem Rosenlichte badete und auseinanderbluehte - da das angezuendete Fruehrot des Lebens an der einsamen Abend-Welt ploetzlich einen bevoelkerten Lustgarten voll wandelnder Menschen aufdeckte. - Und doch, Theoda, ist dein Irrtum keiner! Was sind denn Berge und Lichter und Fluren ohne ein liebendes Herz und ein geliebtes? Nur wir beseelen und entseelen den Leib der Welt. Ist ein Garten eine engere Landschaft, so ist die Liebe nur ein verkleinertes All; in jeder Freudentraene wohnt die grosse Sonne rund und licht und in Farben eingefasst. Lange noch immer wars Theodan, als wenn die Strahlen hineinweheten und zitterten. Die Sonne senkte sich hoeher an der seltsamen Klippendecke hinweg, bis alles mit einem kurzen Nachschimmern entschwand. Waehrend der Finsternis, ehe drinnen die Lichter wieder, wie draussen die Sterne, aufgingen, begleitete Theudobach die Geliebte aus der unvergesslichen Hoehle. 41. Summula Drei Abreisen. Unter dem frischen, wehenden, lebensfrohen Abendhimmel fanden beide den Doktor und den Zoller. Theoda erinnerte sich sogleich an Theudobachs Versprechen, dem letzten die langsame Fussreise abzunehmen, und berichtete dem Zoller das Anerbieten. Er verbeugte sich haeufig, aber der Doktor nahm das Wort: »Du moechtest nur gern, ich merk' es, recht bald ans Wochenbett deiner Bona kommen und zum Patchen. Haeltst du aber die Nacht-Strapaze aus?« Sie erschrak ordentlich, denn sie hatte, als sie zuerst die Bitte fuer Mehlhorn getan, daran keinen andern Anteil fuer sich erwaehlen koennen als den, tags darauf allein die Fussreise zu machen. »O Fraeulein!« sagte der Hauptmann bittend und ploetzlich so aufgeheitert, als er eine Minute vorher bewoelkt geworden von der Aussicht, dass er, gemaess seinem Versprechen der Abreise und Fracht, eben jetzt, da ihm Sonne, Mond und Sterne ueber Maulbronn aufgegangen, nichts davon vor der Hand wegzufahren habe als den Umgelder. Theoda sann einen Augenblick nach, sah ihren Vater an, fragte noch einmal den Zoller: ob ihm ein zweites Nacht-Wachen nicht beschwerlich sei, und gab, da er versetzte: »Im mindesten nicht, da man ihn ja nachts tagtaeglich wecke«, leise die Antwort: »So wie Sie denn wollen, Vater!« Alle waren nun zufrieden mit ihren Perspektiv-Malereien - die Liebenden mit der steilrechten Himmelfahrt, Mehlhorn mit der waagrechten, Katzenberger mit der Aussicht in eine Hoellenfahrt zu Strykius als ein auferstandner Gekreuzigter. Theoda nahm ihren Vater noch beiseite und bat ihn mit mehr Ernst als gewoehnlich um einen leichten Gefallen; sie habe, sagte sie, allerdings noch franzoesisches Blut genug, um ihre unerschrockne Mutter nachzuahmen, die ihr von ihren kuehnen Reisen mit Maennern erzaehlt habe, nur aber an diesem Orte, wo die Menge ihre oeffentliche Verwechslung des Hauptmanns mit dem Dichter nicht vergessen, wohl aber missdeuten werde, sei es noetig, dass er ihre Abreise einige Tage verschweige und dass sie jetzt zu Fuss ins naechste Dorf vorausgehen duerfe, indes beide Herren waehrend des tumultuarischen Abendessens abreisen koennten, um weniger bemerkt zu sein. - - »Was willst du denn eigentlich? (fragte Katzenberger) Ich tu's ja.« Sie musste ihm noch kuehner die Bitten wiederholen. - »Und weiter nichts? - Wahre Weiber-Schulfuechserei! So laufe nur, denn etwas ist doch daran, an deinem Zartgehoer; ich sogar hoere ungern mich verleumden von Rezensenten: geschweige ein Maedchen; empfindliche Ohren sind bei Maedchen so gut wie bei Pferden gute Gesundheit-Zeichen. Nur vergiss nicht - setzt' er noch dazu bei ihrem Abschiede - schaendlich vor lauter Lieben und Lieben den Vater und dich.« - »O Vater!« sagte sie. - »Ja du ganz besonders (fuhr er fort); oder was gilt denn dir Vaterliebe, Gesundheit und Wirtschaft und alles gegen deine - Bona? Sag' es.« Denn nur letzte hatt' er gemeint. So flog sie denn noch seliger aus dem Badorte hinaus als in denselben hinein, nachdem sie vorher dem Dichter von Niess seine falschnamigen Geschenke zurueckgesandt. Jeder gute Mensch, sogar ein boeser, der sie, einsam und ihrer Mutter ihr Seelen-Glueck mit betenden Traenen zuschreibend, auf dem Wege nach dem naechsten Dorfe haette laufen und sich anstrengen sehen, haette ihr nachgewuenscht: »So werde nur recht gluecklich, du furchtloses und schuldloses Maedchen! Es waere fuer einen, der dich kennt, zu hart, dich im Unglueck und das kalte Messer des Grams in deinem Rosen-Herzen zu sehen. Nein, ihr Liebenden, in dieser nie wiederkommenden Nacht sprecht euch beide selig und heilig, in hoeherem als roemischen Sinn!« Theudobachs Wagen rollte schon hinter ihr, da sie kaum das Doerfchen erlangt hatte. 42. Summula Theodas kuerzeste Nacht der Reise. Warum wollen wir in der schoensten Julius-Nacht nicht lieber zuerst den Paradiesvoegeln nachfliegen und erst spaeter in Maulbronn uns mit Katzenberger und seinem Stiefbruder an die Tafel des Unliebe-Mahls setzen? Wenigstens ich fuer meine Person fliege mit ihnen; in der naechsten Summel sind ich und die Leser wieder beisammen im Bad. Es vergehen viele Jahre und viele - Herzen, eh' einmal das Schicksal den Himmel der Liebe wieder so mit einem aeussern voll Sterne einbaut und verdoppelt; denn nur im Schlachtgetuemmel der Not wird meistens der Zauberkelch der Liebe schleunig geleert; aber diesmal wollte irgend ein Liebe-Engel, der die Erde regiert, zwei unschuldige Jugend-Herzen mit allem segnen und belohnen, was sich unsre fruehen Traeume malen. Eine gestirnte duftende Sommernacht hindurch, ueber welche das Mutter-Auge des Mondes wachte, durften beide, nach dem ersten Feuer-Worte der Liebe, einander fortsehen und forthoeren. Ihr Begleiter schlummerte anfangs scheinbar aus Hoeflichkeit, dann wahrhaft aus Notwendigkeit. Und wie flog das Leben vorbei und die Baeume und die schlafenden Doerfer, und nur einzelne Toene der Nachtigall zogen ihnen nach und sprachen ihren Seelen nach! Theodas Herz zitterte, aber freudig, mit dem Boden unter dem aufrollenden Wagen; ihr war immer, als hoere sie die Toene der Hoehle fort, ueberall klang die Welt zurueck, und es wurde ihr zuletzt im Rausche der Nacht, als stehe sie wieder mit ihrem Geliebten an der Felsenwand, an der sich ihr Leben entschieden. - Die Doerfer, die Staedte, das Erdengetuemmel schwanden hin, und nur die Sterne und die Berge blieben der Liebe. - Die Welt schien ihnen die Ewigkeit, die Sterne gingen nur auf und keine unter. - Endlich stieg der Stern der Liebe wie ein kleiner hellblinkender Mond im Morgen auf, die Morgenroete gluehte ihnen entgegen, und die Sonne zog in die Rosen-Glut hinein. - Hinter ihnen ueber den Bergen, wo sie sich gefunden hatten, woelbte sich ein Regenbogen hoch in den Himmel. Und so kamen sie an, eine Seele in die andere gesunken, den Nachtschimmer in den Tages-Glanz ziehend, und ihre Blicke waren traumtrunken. O Schicksal, warum laessest du so wenige deiner Menschen eine solche Nacht, ach nur eine Stunde daraus erleben? Sie wuerden sie nie vergessen, sie wuerden mit ihr als mit dem Fruehlings-Weiss und Rot die Wuesten des Lebens faerben - sie wuerden zwar weinen und schmachten, aber nicht nach Zukunft, sondern nach Vergangenheit - und sie wuerden, wenn sie stuerben, auch sagen: auch ich war in Arkadien! - Warum muss bloss die Dichtkunst das zeigen, was du versagst, und die armen bluetenlosen Menschen erinnern sich nur seliger Traeume, nicht seliger Vergangenheiten? Ach Schicksal, dichte doch selber oefter! 43. Summula Praeliminar-Frieden und Praeliminar-Mord und Totschlag. Wir kehren vom Nachfluge hinter den unschuldigen Paradiesvoegeln zurueck, um noch einen Abend lang in die Buehne hineinzugehen, wo freilich kein erster Liebhaber spielt, obwohl ein letzter Hasshaber. Katzenberger ist Held und Regisseur zugleich. Gewissermassen sing' ich in der 43. Summel, wie Homer den Zorn des Achilles, so Katzenbergers seinen. Dieser - seit dem tueckischen Handschlag in stiller Trauer und Wut - hatte diesen Abend dazu erlesen, um die Wolfgrube fuer seinen Freund mit noch einigen Bluetenzweigen mehr zu bedecken und ihn an dieselbe zu geleiten, um den Isegrimm, wenn er unten sass, oben zu empfangen und anzureden mit einem und dem andern Wort. Zufaellig musst' er sich an der Wirtstafel dem Fuersten nahe setzen, folglich auch dessen Hintersassen und Unedelknaben oder Edelknechte, dem Arzte Strykius. Der Doktor pries vor dem Landesherrn stark die Hoehle und alles; aber bloss um ueberall auf den Inspektor derselben, auf Strykius, schmeichelhafte Lichter zu werfen. Dieser wollte ueberall den Weihrauch wieder auf ihn zurueckblasen; der Doktor versicherte aber, sein Lob sei um so unbestochner, da sie beide oft in aerztlichen Sachen frei auseinandergingen. - Da er absichtlich bloss mit der Linken ass: so fragt' ihn der Fuerst darueber; er antwortete: wie mehre damit gemalt, so esse er noch leichter damit, bis eine schwache Wunde seiner Rechten, die er im Hoehlen-Eingange von einem mit der Lampe herabfallenden Stein erhalten, sich geheilt; - und dabei schuettelte er die schlaffe Rechte und sah heiter genug aus. Nur der Brunnenarzt stutzte innerlich darueber hin und her; inzwischen erhob er die Hoehle und den Hoehlen-Baeren, den Doktor, hoch, doch zu hoch; aber er gehoerte unter die wenigen Seelen, die von Natur klein sind; mit Seelen ists, nun wie mit Vergroesser-Linsen: je kleiner und winziger diese sind, desto breiter und ausgezogner stellen sie den Gegenstand vor. So, je kleiner Herz oder Auge ist, desto groesser stellt es das Kleinste dar; - am Grossen erliegt ein Vergroesserglas; - vielleicht ein Wink fuer Fuersten, welche gern sich und der Welt gross erscheinen wollen, dass sie sich mehr nach Menschen umsehen, welche klein genug zugeschliffen sind zu bedeutenden Vergroesserungen. Der Fuerst schlich sich am Ende unter die Baeume - und gar davon, wie die nachziehenden Lakaien bewiesen. Katzenberger haette nun endlich die Freude haben koennen, seinen Strykius ganz allein zu geniessen und die Frucht abzuschaelen; aber die alte widerwaertige Landedeldame, die frueher ueber seine medizinischen Tischreden ein Fi! ausgerufen, war so spaet sehr nahe sitzen geblieben, nicht etwan aus heimlicher Hinneigung zu Katzenberger, sondern aus Dorfgehorsam gegen ein lindes sieches weiches Hoffraeulein, das gerade von den Geruechten seiner kecken aeusserungen nach ihm und nach seinen Ratgebungen fuer ihr Wohl und Wehe desto luesterner gemacht worden; denn fuer eine Dame von Stand war ein wilder zackiger Doktor bloss ein englischer Park voll Stechgewaechse. Die junge Dame hatte die alte, wie gewoehnlich, zum Schilderhaus oder zur Brandmauer ihrer freundschaftlichen Gefuehle verbraucht oder als weibliches Messgeleite des Anstands. Da nun der Doktor - der fein erriet, um grob zu handeln - sehr leicht fand, dass er bloss die Alte fortzutreiben habe, um beide weg zu haben: so tat er das Seinige und genierte vorzueglich die Alte. »Es zeige zu seiner aerztlichen Freude - wandte er sich an sie - schoene Jugendkraefte, dass sie sich so spaet und kuehn der Nachtluft aussetze, die oft viel Juengern schlecht zuschlage.« - »Meine Brust ist ganz gesund«, antwortete sie kurz. - »Doch dadurch allein, meine Schoenste«, versetzte Katzenberger, »Waere wohl Ihr Brustfell nicht vor naechtlicher Entzuendung gedeckt. Aber Sie haben gewiss damit allzeit selber gesaeugt, und wie viele Kinder wohl? Schon an und fuer sich eine der edelsten tierischen Verrichtungen, um die ich Sie bis auf jedes Saeugtier von Amme beneide.« - Strykius, der sie kannte, nahm eiligst das Wort fuer die Stumm-Entruestete und sagte hastig: er sei im vollstaendigsten Irrtum ueber das Fraeulein. »Nu, nu, mein Freund«, erwiderte der Doktor, »unter die Saugtiere gehoeren wir doch alle, wenn sich auch gleich nur die schoenere Haelfte unter die Saeugtiere zaehlen darf. - - Aber unser Herr Brunnenarzt - fuhr er gegen die beiden Fraeulein fort - lag von jeher gern vor Damen auf den Knieen und dies, glaub' ich, mit Recht; denn er weiss als Arzt, der Schelm, recht gut, dass die Kniee, wie stark er sie auch beuge, den feurigsten Blutumlauf nicht im geringsten einhemmen. Wenn ein unmedizinischer Liebhaber vielleicht daechte, die grossen Aderstaemme der Beine liefen an den Kniescheiben hinauf und wuerden also durch das Druecken der Scheiben auf den Boden so gut wie unterbunden: so weiss dagegen unser Arzt aus seinem Soemmering, dass es anders ist und dass die grossen Adern unten um die Kniekehle liegen und nicht leiden und stocken durch Biegen ....« Da war des Bleibens nicht mehr fuer das Landfraeulein, das unter die feinern Dorfdamen gehoerte, welche vor einer Hofdame nie Fuesse, Struempfe, Kniee, Beine anbehalten, sondern sie zu Hause ablegen, um nicht am Hofe damit anzustossen; zarte Wesen, welche wie Sirenen nur ihre Haelfte zur Sprache bringen und aus Anstand sich nur als Buesten geben. - Zoegernd und mit einer freundlichen Abschieds-Verbeugung an den Doktor zog das Hoffraeulein dem aufbrechenden Landfraeulein nach, das sich die groesste Muehe gab, bloss von Strykius den Abschied zu nehmen durch Knicks und Blick und gute Nacht. - Endlich sass Katzenberger ohne Scheidewand und Ofenschirm neben seinem Strykius. Er liess sogleich viel Achtundvierziger bringen und verrichtete vor der Welt das Wunderwerk, dass er den Brunnenarzt mitzutrinken bat. »Laengst schon hab' er sich verwundert - hob er an -, dass die aerzte ungeachtet des Sprichwortes (experimentum fiat in corp. vil.) so wenig Versuche an ihrem eignen Koerper machten und nicht die verschiedenen Arten wenigstens der angenehmen Unmaessigkeiten durchgingen, um nachher besser zu verordnen. Ob sich nicht ein ganzes Collegium medicum so in die verschiedenen Unmaessigkeiten teilen koennte, dass z. B. das eine Mitglied sich aufs Saufen, das andere aufs Essen, das dritte aufs Denken legte, das vierte aufs sechste Gebot, davon oder von der Unnuetzlichkeit wuensche er doch einen Beweis zu vernehmen, und zwar um so mehr, da z. B. so viele glueckliche Kuren der Aphroditen- oder Cypris-Seuche durch junge aerzte in Residenzstaedten bewiesen, dass ein solches Vorarbeiten und solche sich gelesene Selber-Privatissima der Praxis gar nicht schaden - Er wolle nicht hoffen, dass man sich dabei ans Laster stosse, das hier als ein Pestimpfstoff der Arzt ja nur so wie der Schauspieler oder Dichter an sich selber darstelle, um zu lehren und zu heilen.« »Ich weiss fast - versetzte Strykius, der dasass mit dem oelblatt im Schnabel und wie Buridans Esel zwischen Ernst und Laecheln -, wohinaus Sie damit wollen.« - »Hinein will ich damit, mit dem Weine naemlich«, sagte der Doktor und eroeffnete ihm ganz frei, er sei gesonnen, sich gegenwaertig vor seinen Augen zu betrinken, um den Effekt mit wissenschaftlichen Augen zu beobachten und jede Tatsache rein ausgespelzt zurueckzulegen fuer die Wissenschaft. »Es wird - fuhr er fort - meinen Handel gewiss nicht schlechter machen, dass ein Mann vom Fache, wie Sie, dabeisitzt, den ich bitten kann, von seiner Seite mehr die nuechternen Beobachtungen ueber mich anzustellen und deshalb langsamer als ich zu trinken, da es genug ist, wenn Einer sich opfert. Spaetere Folgen am nuechternen Morgen beobacht' ich allein.« - »Wie gebeten, zugesagt!« versetzte der Arzt. Darauf rueckte der Doktor noch mit einer Bitte ganz leise heraus, Strykius moege, da seinen schwachen Kopf der Wein leicht so zunichte wie der verschluckte Traubenkern den Anakreon, in diesem Falle sein Leib- und Seelenhirt, seinen Gesundheit- und Gewissens-Rat machen und besonders dann, wenn er wie alle Trinker am Ende anfangen sollte zu weinen, zu umhalsen, zu verschenken, ja die groessten Geheimnisse auszuplaudern, ihn warnen und lenken und notfalls mit Gewalt nach Hause ziehen; er geb' ihm Vollmacht zu jeder Massregel, moeg' er selber betrunken dagegen ausschlagen, wie er wolle. Der Brunnenarzt sagte laechelnd, er versprech' es fuer den undenklichen Fall, erwarte aber denselben Liebe-Dienst, falls er selber hineingeriete. In der Tat ging bisher der Doktor mit Anschein genug zu Werke - und Strykius fing an, aus den geleerten Flaschen schoene Hoffnung Katzenbergerischer Ehrlichkeit zu schoepfen; doch war es mehr Trug; denn jenem, der sich laengst als einen ehemaligen (wie Pitt in London) sogenannten Sechs-Flaschen-Mann gekannt, blieb das schoene Bewusstsein, dass er bei allem Trinken nicht aus den Fussstapfen der Griechen wanke, welche bekanntlich den Rachegoettinnen nur nuechtern opferten und deshalb keinen Wein vor ihnen libierten oder weggossen. Jetzo beruehrt' er wieder von weitem den Rezensenten und sagte, er sei im Badmonat bloss nach Maulbronn wie die Juden zum Ostermonat nach Jerusalem gegangen, um das kritische Passahlamm oder den Passahsuendenbock zu schlachten und zu geniessen; noch aber fehle der Bock, und kaem' er an, so sei doch manches anders, als ers haben moechte, Strykius konnte nicht anders, als er musste stutzen. Bei der dritten Flasche oder Station hielt es der Doktor fuer seinen Schein zutraeglich, ein wenig mit seinem Verstaendigsein nachzulassen und mehr ins Auffallende zu fallen; ueberhaupt mehr den Mann zu zeigen, der nicht weiss, was er will. »Noch gehts gut, Herr Kollege«, sagt' er, »doch sieht man, was der Mensch vertraegt. Ich waere jetzt imstande, jedem, der wollte, unangenehme Dinge mit einer solchen juristischen Kautelarjurisprudenz zu sagen, dass der Mann an keine Injurienklage denken duerfte. - Es boete mir z. B. eine vornehme Residenz-Frau ihr Herz und Hand, so koennt' ich, da es nach Quistorp*, fuer Kleinigkeiten einen recht haemischen Dank zu sagen, keinen Animus injuriandi, Schimpf- oder Schmaeh-Willen verraet, der trefflichen Dame ins Gesicht versichern: gut! Ich nehme noch dies an; aber nun beschaemen Sie mich mit keinen groessern Geschenken, da ich noch nicht einmal Ihre Kleinigkeiten zu vergelten vermocht. - Dies koennt' ich. So weiss ich aus demselben Quistorp die andere Einschraenkung, dass man nie beschimpfe, wenn man bloss die Sachen seines Neben- und Mit-Menschen (nicht ihn) veraechtlich heruntersetzt, als etwan seinen Anzug, seine Gastmaehler u. s. w. Ich wuerde also mit Vorbedacht, da doch am Menschen alles nur fremde Sache ist, ausser seiner Moralitaet, die er sich, wie der preussische Soldat die Knoepfe, auf eigne Kosten anschaffen muss, ohne Ehrenklage im hoechsten Grade anzueglich und geringschaetzig z. B. von den schwachen Talenten oder Gesichtzuegen eines Rezensenten sprechen, beides Sachen, die der Tropf sich nicht geben kann; ebenso wollt' ich auf viele deutsche Kronen und Thronen (ein schoener weiblicher Reim) losziehen, ohne die Besitzer, die ja beides teils halb auf, teils unter sich haben, im geringsten zu meinen. Doch ich kehre zu meinem Satze zurueck - beilaeufig ein ganz gutes Zeichen, denn Trunkne koennen, wie Verrueckte, nie dieselbe Sache unveraendert wiederholen und stehen hier tief unter Autoren und Advokaten. - Und Rechtswissenschaft ist nicht einmal mein Fach - (doch trinken wir recht auf sie!); aber Heilkunde bleibt es stets. Wie gesagt, ich sagte vorhin von Injurien und dergleichen. Wo finden Sie hier, Herr Doktor, den Vollzapf?« Strykius beschwor nach allen Seiten hin das Widerspiel. »Dies sag' ich, beim Teufel, ja selber«, versetzte der Doktor - »und wozu denn Ihr Fluchen? Ich denke, ich kenne mich und viele. Manches bringt mich auf, darueber ist keine Frage. Nur wuenscht' ich zu wissen, ob jemand von der trefflichen, nie hoch genug zu achtenden Gesellschaft um uns her etwas an mir merke; aber freilich Fox und Pitt konnten nur halb so viel vertragen. Mein lieber Herr Brunnenarzt, Sie brauchen, bei Gott, nicht zu laecheln, als laeg' ich schon in den Lagen, fuer welche ich Ihre Vormundschaft bestellte. Sie sehen, ich weiss noch alles. Hab' ich aber ein Geheimnis verraten? Seh' ich irgend einen Kopf doppelt? Kaum einfach. - Verschenk' ich schon ausser dem Einschenken? Und wo stehen mir dumme Traenen der Liebe und Trunkenheit im Auge? Im Gegenteil verspuer' ich eher harten Humor zum Totschlagen, besonders schlueg' ich gern einem Manne aus Ihrer Residenzstadt, der mir mit seinen Augen- und Weisheitzaehnen ins Bein gefahren, diese auf der Stelle aus. Die Bestie kommt aber erst, wie Sie sagten, kuenftige Woche.« »Sie erhitzen sich, Guter«, sagte Strykius. - »Aber fuer das Recht und fuer jeden Rechtschaffnen, der es mit mir so redlich meint als du, Stryk! - Herr Brunnenarzt, ich sage du zu ihnen, wie der Russe zu seinem Kaiser. Einen Kuss, aber einen Judas den zweiten! Denn du weisst aus dem Neuen Testament, wo der Brief des zweiten Judas steht. Der erste Judas war nie mein Mann.« - Strykius gab Katzenbergern einen Buehnen-Kuss. »Trinke zu, heize ein, zuend' an, mein Zuend-Stryk! Ohne Wein war dem Urdeutschen kein Vertrag heilig. - O, wenn ich daran denke! Ein Freund ists Hoechste. Ich sage dir, Stryk, einst hatt' ich einen, und wir hetzten einander und er mich - alles tat ich fuer ihn und machte meinen Schnitt fuer ihn - ich haett' in seinem Namen gestohlen. Halt, dacht' ich, haeltst du auch Stich? Ich wollte ja in der Eile etwas Ihnen darstellen; sage mirs, Bruder!« - »Das Bewaehren Ihres mir unbekannten Freundes«, versetzte der Brunnendoktor. »Und dies willst du besser wissen als ich? Stich, sagt' ich ja vorhin, haelt er, wenn er sich bewaehrt und seinem Freunde zu verzeihen weiss. Der nur ist mein Freund. Deshalb macht' ich mir eine leichte Streitsache mit ihm zunutz und schleuderte diesem Freund, um recht zu wissen, woran ich mit ihm waere, eigentlich um seine Liebe gegen mich zu erproben, einen vollen Bumper oder Willkommen mit allen Kraeften an den Kopf; darauf beobachtete ich scharf und kalt, wie er bei dieser ersten Freundschaft-Anker-Probe standhalte und sich betrage. - Aber wir pruegelten sogleich uns mit vier Haenden durch, und der Treulose hasste mich hinterher wie einen Hund. Dies hatt' ich von meiner ersten leichten Liebe-Probe; - was haett' ich mir vollends von einem so wankelmuetigen Freunde zu versprechen gehabt, haett' ich ihn noch ganz anders und schaerfer auf die Kapelle gebracht, z. B. um Haus und Hof oder gar ums Leben? Anders sollen, hoff' ich, unsere Freundschaft-Proben ablaufen. Mich meinerseits erschlagen Sie, wenn Sie wollen; ich umhalse Sie stets sogleich in der frohen Ewigkeit und sage: Willkommen, mein Stryk, mein herauffuehrender Franziskaner-Strick und Galgen- und Treppen-Strick! - Doch dies sind Wortspiele und elend genug.« Der Brunnenarzt hatte bisher, zumal vor mehren Maus-Ohren an der Tafel, den bedaechtigen Mann gespielt und sich wenig anders gegen den Trunk-Sprecher ausgelassen als mit leichtem Nein, Ja und Wink. Nur Neugier nach dem Ausgange, Scheu vor dem wild-begeisterten Doktor, mehr Hoffnung, ihn vor der Welt zuletzt beschaemend zu verwickeln, und sogar einiger angetrunkener Mut pichten ihn auf dem Folterstuhle fest. Nuechtern erhielt er sich uebrigens durch Meid-Kuenste - ja mehr als der Doktor selber, der sich zuletzt doch durch Reden betrank. Erst bei der vierten Flasche ueberzeugte jener sich, dass im Weine oder im Doktor wirklich Wahrheit sei; mehre versprochne Rausch-Nachwehen und Feuermaeler waren schon da, nur das geweissagte Verschenken wollte sich nicht einstellen. Der Doktor warf allerlei seltsame Winke hin, dass er sehr gern wolle, der Fuerst waere nicht da, aber wohl dafuer ein anderer Mann fuer einen dritten, der pruegelt: »Kennst du seinen Leibmedikus Semmelmann recht?« sagt' er. - »Laengst als den gelehrtesten Arzt und feinsten Mann und meinen Freund«, versetzt' er etwas laut, um von fuerstlichen Spionen, die den Geblendeten der Tafellichter rings umher im Blaetter-Dunkel ungesehen belauschen konnten, besser vernommen zu werden. »Nun so sag' ich dir, ich bin noch schwankend, ob ich gegen Taganbruch diesen deinen Freund ganz totschlage oder nur halb. Weisst du (fing er leise an und fuhr sogleich laut fort), wer dieser Semmelmann im Innersten ist, Stryk? Der Fallstrick, der Galgenstrick, der Ehrenkronenraeuber, kurz der Rezensent meiner Werke.« - »Wie? - Herr Kollege!« sagte Strykius. »Kein Wort weiter, er wird totgemacht! - Flex, heda! mein Kerl faehrt augenblicklich vor bei Herrn Brunnenarzt Strykius, meine Tochter wird nicht geweckt - sie soll nichts wissen, bis ich wiederkomme, und das ohne alle Umstaende.« Wenn wirklich, wie schon Swift nach Rochefoucault sagt, wir in jedes Freundes Unglueck etwas weniges finden, was uns heimlich erlabt: so musste allerdings der Brunnenarzt in der Aussicht auf die Auspruegelung seines Freundes Semmelmann etwas Behagliches finden, da er so lange diese sich selber zugedacht geglaubt; auch wurde diese Behaglichkeit durch die Betrachtung eher vermehrt als vermindert, dass der Leibmedikus, sein Nebenbuhler, der als Weg-Aufseher der ersten und zweiten Wege des Fuersten mehre Wege Rechtens und Himmelfahrten und bedeckte Wege und enge Paesse des Landes besetzte, vom beruehmten Katzenberger vielleicht durch Pruegel koennte um einigen Kredit, wenn nicht um Glieder und mehr gebracht werden. Dies hielt ihn aber nicht ab, vielmehr spornte es ihn an, sich nicht nur unter vier Ohren, sondern vielleicht vor mehr als zehn Hoermaschinen des Hofs im Finstern entschieden des Leibmedikus oder der Semmelmannschen Unschuld anzunehmen, und zwar mit um so groesserer Waerme der ueberzeugung, je gewisser er wusste, dass er selber die Rezension gemacht. »Mein bester Kollege«, begann er, »moege mich nur hoeren! Wie stark der Argwohn gegen den Herrn Leibmedikus gegruendet, entscheid' ich am wenigsten, da ich Journale, worin etwas stehen soll, als z. B. die Gothaischen Anzeigen, die Oberdeutsche Literatur-Zeitung, die neue allg. deutsche Bibliothek und dergleichen Unrat, mehr mithalte als mitlese. Aber trefflicher kuehner Amt- und Waffenbruder! Lassen Sie mich doch auch reden! Kennen Sie die Misslichkeit solcher Namen-Ablauschungen wie die Ihres Herrn Richters? Ich halte Semmelmann, so weit ich ihn kenne, durchaus fuer unschuldig; doch gesetzt, aber nicht zugegeben, Sie haetten recht: aber Freund, wie kann ein Gelehrter mit einem andern Gelehrten (zur Abwaegung zwei solcher hab' ich keine Gewichte) den geistigen Zwist mit Waffen ausfechten wollen, die nichts treffen als selber? - Bei Gott, ich bin hier nicht bestochen, und die fremde Sache nehm' ich kuehn fuer eigne.« »Ich habe dich Spitzbuben wirklich ruhig ausgehoert, bloss nur um dir vorlaeufig darzutun, dass ich, bei Gott! bei Verstand bin wie einer und nach niemand frage. - Was verschlagen alle Flaschen im Magen gegen das wenige, was aus ihm davon in den Kopf steigt? Aber, wie gesagt, das ist mein Satz, oder ich weiss nicht, was wir sagen. Und doch ein Spitzbube bist du selber, so gross wie Semmelmann, weil du ihm aehnelst und beistehst. Denn du bist, nimm mirs nicht uebel, lieber Stryk, - von Hause aus - ein milder Mann mit einem weichen Herzen im Brustkaestchen, und es ist dir nachzusehen, wenn du aus verdammter verhasster Liebe Schubjacke und Stricke (ich rede gesetzt) verfichst; denn dein Angesicht ist ein sanfter oelgarten, wo man Blut schwitzt, und du bist am ganzen Leibe mit Selber-Daempfern wie mit Blutigeln besetzt. Du weisst nur zu gut, wer mich rezensiert hat; aber siehst ihn nur nicht gern erschlagen. Ein Knicker ist Semmelmann auch, und nichts hass' ich mehr als so einen geizigen Hund, der mir nichts herschenkt, der selber seinem Hund nichts zu fressen gibt als Gras, das dem Tier nur schmeckt, wenn sich das Wetter aendert. - Hat er nicht blos aus Geizhalsigkeit meine Praxis beneidet, obwohl ausser Lands, und meinen Ehrensold und die wenigen Ehrenpforten und Ehrenlegionen, die ich mir etwa erschrieben? Ist der Leibmedikus nicht der groesste Schmeichler des Hofs und denkt bei dem Fuersten, weil ich, bei Gelegenheit der Haematosen und Missgeburten, nichts von den mineralischen Bestandteilen des Landes-Bades angebracht, Ehre einzulegen, wenn er mir eine groessere nimmt, als er hat? Die Sache ist: seine Zunge gleicht der Bienenzunge, welche einem Fuchsschwanz aehnlich ist und die fuer sich Honig saugt, und fuer andere Gift. Wie gesagt, Bruder! - Ich erhebe dich vielleicht zum Leibmedikus, wenn ich den alten erschlage, mags hoeren, wer will.« »Guter Amtbruder«, sagte Strykius, »jetzt in der Nachtkaelte tritt die vorher abgeschlossene Bedingung ein, nolens volens« - »Dummes Wort, ich will entweder nolens oder volens« - »Fein bemerkt! Wir gehen dann miteinander zu mir auf einen warmen Tee«, sagte Stryk und nahm ihn mit. 44. Summula Die Stuben-Treffen - der gebotene Finger zum Frieden. Unterwegs stammelte er nach Vermoegen, und was er sagte, sollte nicht sowohl Sinn haben als wenigen: »Ich brauche keinen guten Rat«, sagt' er, »so wenig als ein Hund Zahnpulver und -stocher - ich werde meine Sache schon so machen, dass man vielleicht dies oder jenes davon sagt - Mancher ist ein geiziger Hund, und ziehe mir einmal einen Hundsschwanz gerade, ich bitte sehr. - Gut, der Mann soll abstehen, wie Fische vom Donnerwetter, auch ungetroffen, oder wie ein Wagen voll Krebse, wenn unten ein Schwein durchkriecht.« - Sie fanden den Wagen vor Strykius' Tuere, der sich wieder laut gegen das Nacht-Fahren erklaerte und den Doktor die Treppe hinaufzog, um droben leiser sich ueber den Leibmedikus auszuschuetten. Er schickte sogar den Bedienten, sobald er den Ofen fuer den Tee geheizt, mit Auftraegen in ferne, schon zugesperrte Haeuser davon, um unbehorcht zu bleiben. Der Wein - die Nacht - die Einsamkeit - der Schlag auf die Hand - dieses Ineinandergreifen so vieler Zufalls-Raeder brachte den Doktor auf einmal in der Stube so weit, als er nach andern Planen kaum in einer Woche sein konnte. Er zog daher einen Taschen-Wind-Puffer heraus, schoss die Kugel in die Wand - zog und spannte einen zweiten und sagte: »Ein lautes Wort von dir, so schiess' ich dich leise nieder, und ich fahre davon. Du bist mein Rezensent, Dieb, nicht der ehrliche gelehrte Semmelmann - und ich bin noch nuechterner als du Saufaus. Schweig; ein Wort, ein Schuss! Es macht mich schon dein blosses Waschschwamm-Gesicht mit seinen schlappen Vorderbacken und seinem Gelaechel halb wuetig. Ein Strafexempel muss ich nun an dir zum Vorteil der ganzen gelehrten Welt diese Nacht statuieren; nur steh' ich noch an, ob ich dich ganz aufreibe oder bloss lahm schlage oder gar nur ins Gesicht mehrmals streiche. Hier schleudr' ich noch zum ueberfluss den Hakenstock von dem Giftpfeil auf deinen Nabel ab (der Stock fuhr aber ans Knie) - sieh den auslaendischen Pfeil, womit ich dich harpuniere auf ewig, wenn du schreiest oder laeufst. Jetzt verantworte dich leise, nenne mich aber Sie; denn ich bin der Richter und du der Inquisit.« »In der Tat (hob der Brunnenarzt an), es wird mir schwer, nach vielen heutigen geschickten scherzhaften Rollen von Ihnen - und insofern so angenehmen - diese mit einem ueberfall auf Leib und Leben nicht fuer Scherz zu nehmen, besonders da Sie ja nicht ganz gewiss wissen koennen, ob ich die Rezensionen gemacht.« »Hier werf' ich dir - sagte der Doktor, in die Tasche fahrend, und nahm das Heft des Pfeils in den Mund, um mit dem Windpistol fort zu zielen - deine Handschrift aus der Druckerei vor die Fuesse, Raeuber zu Fuss.« »Gut, dies entschuldigt Ihre erste Hitze gewiss; aber erwaegen Sie auch, dass ueberall von jeher der Gelehrte, besonders der Kunstrichter, gegen den Gelehrten zum Vorteile der Wissenschaft auf dem Papier eine freie Sprache fuehrt, die er sich nie im Zimmer unter vier Augen ....« »Zum Wissenschaft-Vorteil? - Ist es nicht jammerschade, dass Leute wie du auch nur das geringste davon verstehen? Koennen solche Leute unwissend genug sein? Die Wissenschaft ist etwas so Grosses als die Religion - fuer jene sollte man ebenso gut Mut und Blut daransetzen als fuer diese - und doch wagen die Rezensenten nicht einmal ihre Namens-Unterschrift daran. Eine Suende pflanzt sich nicht fort, und jeder Suender erkennt sie an; ein unterstuetzter Irrtum kann ein Jahrhundert verfinstern. Wer sich der Wissenschaft weiht, besonders als Lehrer der Leser, muss ihr entweder sich und alles und jede Laune, sogar seinen Nachruhm opfern -« »Wie schoen gesagt und gedacht!« lispelte Strykius. »Schweig! - oder er ist ein Rezensent wie du; und der Teufel hole jeden Esel, der schreibt, und den er reitet; es ist genug, wenn das Tier spricht. Mache mir jetzt etwas Tee zurecht, wenn das Wasser kocht; schneide aber deine Hosenknoepfe ab, damit du mir nicht entlaeufst.« »Lieber mein Leben lass' ich als meine Ehre«, sagte Stryk, »bloss aufknoepfen will ich den Hosensack und herunter lassen; und es tut ja der Laenge wegen denselben Dienst ...« Waehrend er im Hemd muehsam das Teewasser aufgoss: zog der Doktor den Widerruf hervor und sagte, wenn er ihn beschwoere und unterschreibe, so woll' er ihm das Leben selber schenken und ihn nur an den Gliedern, wo er es fuer gut befinde, mit dem Stab-Sanft bestreifen. Strykius schwur und schrieb. Darauf begehrte der Doktor, dass ers auswendig vor ihm lerne, weil er selber das Dokument wieder zu sich stecken muesse. Der Arzt predigte den Aufsatz endlich auswendig (der Hosensack war seine Kanzel) her. »Gut!« sagte Katzenberger. »Nun haben wir beide nichts Wichtiges weiter miteinander abzumachen, als kollegialisch zu ueberlegen, welches von den Gliedmassen ich denn vor dem Einsitzen zu zerschlagen habe; wir haben die Wahl. Wir koennten die Nase nehmen und solche breit schlagen; teils weil du auf meine grobe knollige kurze Fuhrmanns-Nase etwas heruntersiehst, teils weil nach Lavater sich unter allen Gliedern die Nase am wenigsten verstellen kann, und du also bei deiner Vermummerei Gott und mir danken wirst, wenn du ein aufrichtiges Glied weniger hast - Wir koennten aber auch zum Kopfe greifen, womit oder worin du besonders gesuendigt und rezensiert, und ich koennte, da er noch nicht offen genug scheint, wenigstens die sieben Sinnenloecher, die der Vorderkopf hat, auch dem Hinterkopf durch den Natur-Trepan eines sogenannten Stocks einoperieren - Oder vor und von der Hand koennten so viele Finger, als leider rezeptieren und rezensieren, bequem dezimiert werden - Oder ich koennte auch das Pistol an deine Wade halten und sie durchschiessen, um aus der Haematose zu sehen, ob sie eine falsche sei - Die Auslese wird schwer, du hast verdammt viel Glieder, und ich glaube, gerade so viel, als Pestalozzi in seinem Buch der Muetter aufzaehlt - Oder waehlt man am besten das Ganze, die dreihaeutige Oberflaeche, und zeigt man sich dir mehr von der liebenden Seite, wann ich eben auf dich, als meinen Nachfolger, beeidigten Priester und Lehrboten, gerade so wie der Franziskus und andere Heilige die Wundenmaeler von ihrem erscheinenden Herrn bekamen, alle die blauen und braunen und gelben Flecken, womit mich in mehr als einer Pruegel-Disputa mancher Raffael angemalt, gleichsam als stigmata uebertrage und abfaerbe, um unsere Vereinigung zu zeigen - Nun so stimme doch mit ueber das Glied, sage, welches!« - - »Mein Herz«, versetzte er. - »So vertraut spricht man nicht mit mir«, sagte Katzenberger. - »Meines mein' ich ja«, sagte Stryk. »In dies Glied moegen die Weiber ihre dummen Wunden machen! Herr, hier liegt Euer dummer Dachsschliefer, der niemand anbellt und anwedelt; das unnuetze Vieh sollt Ihr mir, wenn ich unter den waehlbaren Gliedmassen etwas naschen soll, zum Zerschneiden mitgehen und vorher vor meinen Augen erdrosseln, da ich die Bestie sonst nicht fortbringe!« - »Er ist«, sagte der Arzt, »nur so still, weil er vor Alter keine fuenf Sinne mehr hat; erdrosseln kann ich das treue Tier unmoeglich, aber hergeben will ich ihn, da er doch bald abgeht.« Hier hob er den leben- und schlaftrunknen Dachsschliefer auf und gab ihm den Judas- und den Todeskuss. »Behalt' ihn, unwissenschaftlicher Narr!« rief der Doktor; »eh' ich ein veraltetes Vieh, lieber meine zehn Finger gaeb' ich her!« - Dieser Zufall oeffnete ploetzlich dem Brunnenarzt einen Himmel und eine Aussicht: »Ich besitze hier«, sagt' er, »im Kabinett aus dem Fraisch-Archiv eine alte abgeduerrte Hand, zwar keine ausnehmende Missgeburt, aber es ist doch eine Hand mit sechs Fingern, die nicht jeder am Arme hat.« »Si bon! - Ganzer Mann! Schatz, gebt mir die Hand, nicht Euere - so geh' ich ab und schone jeden Hund.« - Waehrend Strykius die Sechsfingerhand als einen Reichsabschied gegen das Faustrecht aus dem Kasten holte, saeete Katzenberger hinter dessen gebognem Ruecken mehre Knallkuegelchen auf verschiedne erwaermte Plaetze des Ofens und legte nicht sowohl Feuer als Donner ein, um auch in seiner Abwesenheit das Strykische Gewissen nachts oder sonst mehrmals fuerchterlich zu wecken durch Laermkanonen, Notschuesse, Tuerkenglocken oder andere Metaphern. Waehrend der Donnersaat sprach er fort und sagte ins Kabinett hinaus: »Ich bin aber heute so weich wie ein Kind; das macht der Trunk. Darwin bemerkt schon laengst, dass sich den Saeufern die Leber, folglich die Galle verstopfe; daher ihre Gallensteine und Gelbsuchten.« Strykius brachte die eingeraeucherte Hand, wogegen Esaus und Van Dyks Haende dem Doktor nur als invalide oder defekte erschienen. Nachdem er den Plus-Finger genau daran besehen: musste sie ihm jener selber in die Tasche stecken, damit er in der geruesteten Stellung verbliebe. Freundlich und ganz veraendert bat er, ihm ein Flaeschchen mit Tee mitzugeben, um es ruhiger im Wagen zu trinken. »Nach der Schenkung der fremden Hand verzicht' ich gern auf jeden lebendigen Handdruck; Eure Kusshand in meiner Tasche hat alles ins reine und uns einander naeher gebracht, und wir lieben uns, so gut wir koennen. Nur bitt' ich Euch noch, mir die Stockscheide, womit ich vorher in die Scheibe des Knies getroffen, selber an den Giftpfeil anzustossen, weil ich mich aus Misstrauen nicht buecke, Schatz!« Als Stryk etwas aengstlich die obere Haelfte des Hakenstocks an die untere angeschienet hatte, haendigte Katzenberger mit dem Gemsenhorn noch schleunig einen betraechtlichen Schlag den Schreibknoecheln des Mannes ein - es sollte ein Siegel auf die Bundakte sein - und sagte: »Nur ein Katzenpfoetchen und Handschlag fuer den in der Hoehle, Addio!« Er eilte die Treppe hinunter und in den Wagen hinein, um schnell ueber die Grenze des Hauses und Landes zu kommen. Noch im Dorfe begegnete ihm Stryks Bedienter, dem er neuen Dank an seinen Herrn mitgab, und vor dem er fahrend die Gesundheit desselben in Tee trank. Frohlockend fuhr er mit dem Reichtum von sechs Fingern und von zwei Alliance-Hasen im Geleise des Himmelweges seiner Tochter nach. Strykius sang zu Hause Dankpsalmen an seine Geschicklichkeit und an das Geschick, dass er sich durch eine tote Hand aus einer lebendigen gerettet, und machte singend die Beinkleider und dann die Haustuere zu; erst da er die letzte dem Bedienten wieder oeffnete, stimmte er Kriegslieder und Wettergebete gegen dessen ungeheures Aussenbleiben an und gegen den Raeuber von Doktor. Sein erster Gedanke war, diesem in einer ganz neuen Zeitung durch die zehnte Hand statt einer Benefiz- lieber eine Malefizkomoedie zu geben und ihn zu einem Mitgliede in die Unehren-Legion der erbaermlichen Autoren aufzunehmen. Ferner hatt' er den zweiten Gedanken, bei sich anzustehen, ob er ueberhaupt einen ihm mit dem Pistol auf der Brust abgenoetigten Eid und Widerruf nur wirklich zu halten habe. Da platzte auf dem Ofen eine Knallkugel, und sein Gewissen, von dieser Krachmandel gestaerkt, sagte: »Nein, halte deinen Eid und nimm dir nur die Zeit; denn nach zwanzig Jahren kannst du ebenso gut widerrufen, wenn du nicht stirbst, als morgen.« 45. Summula Ende der Reisen und Noeten. Die sechs Finger und acht Hasenbeine waren so erquickende Zuckerroehre, an denen Katzenberger unterwegs saugte, dass er nach dem Unfall wenig fragte, sowohl die Abrechnung der Reisekosten mit Niessen vergessen zu haben als das Aufheben des weggeworfenen Windpistols bei Stryk. Das letzte sollten ihm, beschloss er, ein paar hoefliche Zeilen nachholen. Er liess galoppieren, um noch vor Untergang des Mars ueber das grosspoleiische Grenzwappen hinauszufahren. Dann stieg er in Fugnitz aus und genoss bei Licht seine Missgeburten ruhiger. Nach einem kraeftigen Extrakt von kurzem Schlaf flog er der Tochter nach und durch das Staedtchen Huhl mit gezognem Giftpfeil vor dem Hause des Pharmazeutikus vorbei. Dieser stand eben unter der pharmazeutischen Glastuere und unter der Wappen-Schlange seiner Offizin neben dem Orts-Physikus und zeigte diesem ohne Hutabziehen und sonstige Gruss-Schuesse mit ausgestrecktem Arme den Giftmischer und Hasendieb. Erst spaet, bei Licht-Anzuenden, kam er zu Hause an. Er hoerte, Theoda, die schon vormittags angelangt, sei bei ihrer Freundin. Halb verdruesslich machte er sich nach Mehlhorns Wohnung im Erdgeschosse auf, welches fuer ihn den Vorteil hatte, da es abends durch Fensterladen verschlossen war, dass man ungesehen durch sie hineingehen konnte. Katzenberger war ein Mann von vielen Grundsaetzen, worunter er einen hatte, den zarte Seelen, welche die menschliche, von keiner sichtbaren Gegenwart gemilderte Schaerfe der Urteile ueber taube Abwesende schwer ertragen, ihm nicht so leicht nachbefolgen konnten, naemlich den, zu - horchen und zu luken. Darum erklaerte er besonders Fenster-Laeden der Erdgeschosse fuer die besten Operngucker und Hoermaschinen, die er nur kenne; und sagte, solche Laeden schloessen etwas wohl dem Raeuber, aber nichts dem Herzen zu - und man schaue nie ruhiger und schaerfer in Haushaltungen als durch zarte Ritzen, entweder in einen offnen Himmel oder offnen Schaden, und er wisse dieses aperturae Jus oder diese servitus luminum et prospectus, kurz diese Licht-Anstalt mit nichts zu vergleichen als mit Totenbeschau und Leichenoeffnung; nie sei er von solchen Fensterlaeden weggegangen, ohne irgend einen Gewinn davonzutragen, entweder eines Schmaehwortes auf ihn oder sonst einer Offenherzigkeit. Durch den Fensterladen sah er nun mit Erstaunen die Woechnerin Bona im Bette und in ihren Haenden zwei fremde Haende, die sie aufeinander drueckte, Theodas und Theudobachs, indem sie ihr klares, obwohl mattes Auge mit so viel Entzueckung und Teilnahme zu den beiden Liebenden aufhob, als sie ihrem Zustand erlauben durfte. - Er sah ferner, wie der Umgelder mit (geborgten) Weinglaesern und mit (bezahltem) Weine ohne Anstand, aber lebhaft umhersprang und den Aufguss seiner eignen Begeisterung einer himmlischern vorhielt und anbot, sogar der neuen Kindbetterin, welche indes mitten in der ihrigen genug Bedachtsamkeit besass, diesen boesen Honigtau des Wochenbettes auszuschlagen. Er vernahm sogar, dass der Zoller ein Wagstueck mit seiner Zunge bestand und sagte: »Gnaedigster Herr Gevatter, aufs hohe Wohl unseres Paten!« - Von dem Nachmittag und der vorigen Nacht war also (sah er durch die Spalten) das Pfund jeder Stunde gewissenhaft benutzt und auf Zinsen der Liebe angelegt. Nie sah die blasse hellblauaugige Bona verklaerter und durchsichtiger aus als in dieser Stunde des Mit-Entzueckens, aber ihre Verklaerung verschoenerte auch die fremde; denn ein liebendes Paar erscheint zaerter und himmlischer durch den Widerschein einer teilnehmenden Freude. Jetzt hoerte der Doktor den Zoller ausrufen: »Ich gaebe meine Hand darum, waeren der Herr Doktor Gevatter da; meine scharmanten Brautleute waeren aufgeraeumter und stiessen an.« - Der Zoller hatte als ein Mann, der wenig anders noch in der Welt scharf beobachtet hatte als Zoll und Umgeld, aus Theodas Bleich- und Ernst-Sinn den Schluss gezogen, sie bange vor des Vaters Entscheidung; wiewohl die heitere Rose bloss vor der heissen Sonne der Liebe und Entzueckung zur weissen erblasste. Der tiefe Ernst der Liebe griff ihr ganzes munteres Wesen an. Der Hauptmann, schon von Natur und Wissenschaft ernst, war durch die ploetzliche unberechnete Lohe der Liebe nur noch ernster geworden; denn sonst irgend eine aeussere Stoerung (Perturbation) seines Liebe-Hesperus durch den Vater Saturn oder Mars kam ihm bei seiner mathematischen Hartnaeckigkeit und kriegerischen Entschlossenheit gar nicht in Betracht, ja wenig in Sinn. Mehlhorn fuhr fort: »Ich setze meine Ehre zum Pfande, die Sache geht.« Vergeblich winkte ihm Bona. »Ich weiss sehr gut«, sagt' er, »was ich sagen will; ich kenne meinen teuersten Herrn Gevatter Doktor so gut als euch selber, und vermachen ihm Dieselben auf Ihrem herrlichen Rittergut Ihre ganze Hoehle voll Baerenknochen zum Ausleeren: so weiss ich, was ich weiss.« Der Doktor aergerte sich am Fensterladen, dass Mehlhorn bei Kraeften sein wollte und keck - denn derselbe Liebhaber aller Kraft-Menschen wird doch verdriesslich ueber einen Schwaechling, welcher ploetzlich, wenn auch nur im Trunk-Mut, etwas vorstellen und dadurch das Verhaeltnis der Unterordnung schwaechen will -; doch sagte zu sich der Doktor: »uebrigens ists gut, und ich bin Herrn Theudobachs gehorsamer Diener und Schwiegervater, wenn es mit der Hoehle richtig ist.« Der Doktor trat gelassen ins Zimmer und sah jeden unverlegen an. Die verschiedenen Konzertisten der harmonischen Liebe mussten gegen den eintretenden Taktschlaeger sich in angemessenen Spielen der Harmonie darstellen. Die Tochter hatt' es am leichtesten, sie hatte einen Vater zu empfangen und zu kuessen. - Auch der Zoller unternahm bei so viel Wein im Kopf mit Erfolg die schwersten Umhalsungen. Nur der Schwiegersohn, Theudobach, begab sich gegen Katzenberger, der ohnehin mit lauter Winterseiten besetzt war, mit Anstrengung in das gewoehnliche krause Hoeflichkeit-Gefecht zwischen kuehlen Schwiegervaetern und heissen Schwiegersoehnen. Je feuriger und reifer der Doktor das Ja im Herzen hatte, desto fester verkorkte er es darin; schon auch darum, um dem ergoetzenden Ringel-Frontanze um sein Vaterherz herum zuzusehen. Bona durchblickte sogleich die Ineinanderwirrung; der nun trocknere Hauptmann, der neben dem Alten die Hand der Tochter nicht fortbehalten konnte, schien ihr Anstalt zum Abzuge in sein Quartier im Sinne zu haben, um sich aus demselben an den Nordmann mit der Feder zu wenden. Auch der geheizte Kopf des Zollers, schiens ihr, versprach mit allen seinem Reverberier-Feuer nicht viel Licht fuer den Ausgang der Sache. Aber sie tat es kuehn ab; sie bat die Gesellschaft um einen einzigen Augenblick, um mit ihrem alten Arzte ein Wort zu reden. Man ging leicht, nur Mehlhorn schwer. Sie leitete wirklich mit einigen Kranken-Fragen ein, ehe sie den Doktor zur Geschichte ihrer Freundin, zu der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft derselben ueberfuehrte. Zuletzt kam ihr eben aus Woechnerin-Schwaeche ihre Schwaeche ganz aus dem Sinn, und sie liess Herz und Zunge flammen fuer Theoda. Ihr verschwinde zwar, sagte sie, mit ihr das halbe Glueck des Lebens; wenn aber diese dadurch das ganze gewinne, so weine sie gern ihre heissesten Traenen. Der Doktor bat, ihn mit den naehern Verhaeltnissen des Mannes in Bekanntschaft zu setzen. Sie erzaehlte, ihr Mann habe schon vormittags bei mehr als fuenf Studenten aus Theudobachs Nachbarschaft Nachrichten ueber seine Umstaende und ueber die Wahrheit seiner Versicherungen einziehen muessen, aber lauter Bejahungen eingebracht, wie sich denn im ganzen Wesen desselben der Mann von Wort ausweise. Sie nahm so viel Anteil an Theudobachs Reichtum als Katzenberger selber; und es steht einer schoenen Seele nicht uebel an, fuer eine fremde dasselbe Irdische zu beherzigen, das sie fuer sich selber versaeumt. »Sie koennen ja - setzte sie laechelnd hinzu - unter einem sehr guten Vorwand selber hinreisen und sich alles mit Augen befuehlen; er hat naemlich auf seinem Gute eine Hoehle voll Baeren- und Gott weiss was fuer Knochen. Fuer die Tochter gibt er Ihnen freudig alles, was er von toten Baeren hat; es wird schon was zu einem lebendigen uebrig bleiben fuer die Ehe.« »Ich - versetzte der Doktor - bin gewissermassen dabei. Weibleute kann man nicht frueh genug auf juengere Schultern abladen von alten; wir armen Maenner werden bei allem Gewicht leicht in ihnen geschmolzen, wie z. B. Bleikugeln in Postpapier ohne dessen Anbrennen. Sie soll ihn vor der Hand haben, bedingt.« Hier war der Umgelder schon von der Tuere (er hatte, um sie nicht aufzumachen, davor gehorcht) abgeflogen zum Braut-Paar; vierundzwanzig blasende Postillione stellte er vor, um das gewonnene Treffen anzusagen. Vielleicht haetten sie wenig dagegen gehabt, haette sich der Sieg auch einige Stunden spaeter entschieden. Die Liebenden kamen zurueck, und in ihren Augen glaenzte neue Zukunft, und auf den Wangen bluehte die Gegenwart. Der Umgelder wollte auf einem Umweg durch die Knochenhoehle - als einem tierischen Scherbenberge Roms - der Sache naeher kommen und tat dem Hauptmann die Frage, was er fuer Schoenheiten auf seinem Landgute verwahre. Aber dieser wandte sich, ohne Antwort und Umweg, gerade an den Vater und legte ihm den durchdachten Entschluss seines Herzens zum Besiegeln vor. Katzenberger murmelte, wie verlegen, einige Hoeflichkeit-Schnoerkel, bloss um sich bestimmtes Loben zu ersparen, und aeusserte darauf: er sage ein bedingtes Ja und schiesse das unbedingte freudig auf dem Gute selber nach, wenn ihm und seiner Tochter der Hauptmann erlaube mitzureisen. »Warum soll ichs nicht sagen?« fuhr er fort, »ich bin ein gerader Mann mit dem ganzen Herzen auf der kleinen Zunge. Ich wuenschte wirklich den unterirdischen Schatz zu sehen, dessen Herr Zoller gedachte, und Sie moegen immerhin dies fuer einen Vorwand mehr aufnehmen, um meine naturhistorische Unersaettlichkeit zu befriedigen.« Ob er nicht eine wahre Verstellung in die scheinbare verbarg und eigentlich gerade dem Reichtum ueber der Erde unter seinem Vorwand eines tiefern nachschauen wollte, konnte ausser der hellen Bona wohl niemand bejahen; sondern eine triumphierende Kirche frommer Liebe, ein Brockengipfel tanzender Zauberfreude wurde das Zimmerchen; und selber Katzenberger stellte in dieser Walpurgisnacht voll Zauberinnen schoener als sein Urbild (der Teufel) den umtanzten Brocken-Helden dar. Nachdem er, um die allgemeine Entzueckung und die eigne lustiger zu ertragen, den noetigen Wein getrunken: so macht' er sich unversehends, in der Flucht vor vier Dankstimmen, nach Hause und sagte unterwegs, die Augen gegen den Sternenhimmel gerichtet: »Rechn' ich auch nur fluechtig nach, dass ich einen achtfuessigen Hasen - eine sechsfingrige Hand - die goldfingerige eines Schwiegersohns auf einer kurzen Reise gewonnen, wobei ich nicht einmal im Vorbeigehn die Strykische Schreibtatze anschlage, auf die ich geschlagen - und schau' ich in die Hoehle hinein, wo ich auf ganz andere Hoehlenbaeren als auf die kritischen stossen soll: so kann ein Mann, der auf einer Reise ums Weltmeer nicht mehr haette fischen koennen als ich auf meiner ins Maulbronner Bad, dafuer Gott, sollt' ich denken, nicht genug danken.« Werft noch vier Blicke in den kleinen Freudensaal der vom Vater-Ja beglueckten Liebe und der beglueckten Freundschaft zurueck, eh' ihr von allen auf immer geht! Solche Abende und Zeiten kommen dem duerftigen Herzen selten wieder; und obgleich die Liebe wie die Sonne nicht kleiner wird durch langes Waermen und Leuchten, so werden doch einst die Liebenden noch im Alter zueinander sagen: »Gedenkst du noch, Alter, der schoenen Juli-Nacht? - Und wie du immer froher wurdest und deine Bona kuesstest! - Und wie du, Theoda, (denn beide fallen einander unaufhoerlich in die Rede) den guten Zoller herztest! - Und wie wir dann nach Hause gingen, und der ganze Himmel funkelte, und das Sommer-Rot in Norden ruhte - Und wie du von mir gingst, aber vorher einen ganzen Himmel in meine Seele kuesstest, und ich im Lieberausche leis' an meinem Vater vorueberschlich, um den mueden nicht zu wecken - - Und wie alles, alles war, Theoda; ich bin kahl, und du bist grau, aber niemals wird die Nacht vergessen!« - So werden beide im Alter davon sprechen. Ende der Badgeschichte.