Kuhn beruft sich, seiner Ausbildung entsprechend, vor allem auf Beispiele aus der Physik zur Untermauerung seiner These, etwa auf den Übergang von der klassischen zur relativistischen Mechanik mit ihrem völlig neuen Verständnis von Geschwindigkeit, Energie, usw., aber es gibt inzwischen auch zahlreiche Arbeiten, in denen die Anwendbarkeit der Kuhnschen Thesen auf die Mathematik kontrovers diskutiert wird: Einerseits gibt es die Position, daß jede mathematische Aussage, die irgendwann in der Geschichte einmal wahr war, auch heute noch wahr ist; andererseits gibt es die Auffassung, daß etwa der Begriff Gerade bei Euklid eine völlig andere Bedeutung hatte als in der heutigen Mathematik, daß ein Syllogismus bei Aristoteles sich auf etwas ganz anderes bezieht als die "e;gleiche"e; Formel bei Frege, und daß auch der Funktionsbegriff vor und nach Cauchy nicht miteinander vergleichbar sind.
In der Arbeitsgemeinschaft ging es darum, sowohl die eher philosophisch orientierten grundlegenden Arbeiten zu dieser Frage zu betrachten als auch die eher historisch orientierten zu bestimmten - möglicherweise revolutionären - Epochen der Mathematikgeschichte, und diese aus philosophischer oder historischer Sicht geschriebenen Arbeiten aus mathematischer Sicht zu diskutieren. Dabei zeigt sich, daß es im Kern einerseits natürlich darum geht, was wir unter Revolutionen verstehen wollen, andererseits aber vor allem darum, was wir unter Mathematik verstehen.