Vorlesung im Sommersemester 2006
Reell-Algebraische Geometrie
Wolfgang K. Seiler
Ort und Zeit: Dienstag, 13.45-15.15 und Mittwoch, 10.15-11.45, C015
Die reell-algebraische Geometrie befaßt sich mit der Lösung von
nichtlinearen Gleichungssystemen im n-dimensionalen euklidischen
Raum, gesucht wird also die
Menge aller Punkte (x1, ... xn), in denen endlich viele
gegebene Polynome verschwinden.
Diese Lösungsmenge ist entweder leer oder endlich oder kontinuierlich.
In den ersten beiden Fällen kann man sie, beispielsweise durch eine
Verallgemeinerung des Gaußverfahrens für lineare Gleichungssysteme
oder durch Determinantenmethoden, explizit bestimmen; im dritten Fall
jedoch ist es im allgemeinen nicht möglich, sie wie aus der linearen
Algebra gewohnt durch geeignete Parameter explizit anzugeben: Dazu ist
die Geometrie der Lösungsmenge zu kompliziert. Trotzdem können viele
Eigenschaften dieser Menge bestimmt werden, beispielsweise die Anzahl
ihrer Zusammenhangskomponenten ( = maximale zusammenhägende
Teilmengen) und deren Projektionen auf die Koordinatenachsen, so daß
man beispielsweise genau die kleinsten Quader angeben
kann, in denen Zusammenhangskomponenten der Lösungsmenge liegen.
Hierbei wird sich herausstellen, daß genau das gleiche Verfahren
nicht nur Gleichungssysteme sondern auch Systeme aus Gleichungen und
Ungleichungen behandeln kann. Als Ausgangspunkt dienen Kriterien zur
Bestimmung der Anzahl reeller Nullstellen eines Polynoms einer
Veränderlicher in einem vorgegebenen Intervall.
Geometrisch betrachtet sind die Lösungen nichtlinearer Gleichungssysteme
im niedrigdimensionalen Fall Kurven und Flächen; falls auch Ungleichungen
dazukommen, sind es Kurvenstücke und Flächenstücke oder - im Fall beliebiger
Dimension - sogenannte semialgebraische Mengen. Als Vereinigungen
solcher Mengen, im einfachsten Fall Splines, läßt sich praktisch jede
beliebige Kurve, Fläche, usw. beliebig genau approximieren, und man
hat den zusätzlichen Vorteil, daß alle geometrischen Operationen wie
Durchschnitt, Vereinigung, Projektion algorithmisch durchführbar sind.
In einfachen Fällen ist es sogar möglich, algorithmisch eine
Parameterdarstellung zu konstruieren (so es eine gibt).
Anwendungen hat die reell-algebraischen Geometrie unter anderem
auf folgenden Gebieten:
- Geometrische Modellierung: Hier ging es zunächst
um die graphische Darstellung von Kurven und Flächen im
dreidimensionalen euklidischen Raum
Spezialprogrammen zur algebraischen Geometrie wie
GANITH
oder mit universellen Computeralgebrasystemen wie MAPLE
,
später auch um die Algorithmen der Computergraphik, die solchen
Darstellungen zugrunde liegen.
- Logik: Die in der Reell-Algebraischen Geometrie
entwickelten Verfahren zur Projektion semialgebraischer Mengen
sind, rechnerisch betrachtet, Algorithmen zur
Quantorenelimination in arithmetischen Formeln. Dies führt auf den
Satz von Tarski-Seidenberg, wonach auch solche Formeln semialgebraische
Mengen definieren, woraus beispielsweise folgt, daß die
Elementargeometrie algorithmisch entscheidbar ist - im Gegensatz etwa
zur Zahlentheorie, für die es nach den Gödelschen Sätzen kein
solches Entscheidungsverfahren geben kann.
- Robotik: Hier gibt es im wesentlichen zwei
Anwendungen: Das Problem des Klavierschiebers besteht darin,
den Roboter bei gegebenen Hindernissen von seinem Standort an den
Einsatzort fahren zu lassen; dieses Problem wird meist nur für
stückweise lineare Hindernisse behandelt, läßt sich aber tatsächlich
für beliebige semialgebraische Hindernisse zurückführen auf das Problem,
ob zwei Punkte der Lösungsmenge eines Systems von Ungleichungen in
derselben Zusammenhangskomponente liegen. Bei der Bewegungsplanung
geht es darum, die Aktoren des Roboters in die richtige räumliche
Position zu bringen, wobei direkt nur die Gelenke, Auszüge, usw.
steuerbar sind. Dieses Problem führt für Manipulatoren mit hinreichend
vielen Freiheitsgraden notwendigerweise auf ein nichtlineares
Gleichungssystem, allerdings ist dieses so speziell, daß es mit klassischen
Determinantenmethoden leicht gelöst werden kann.
Die Vorlesung eignet sich für eine Vertiefung in Algebra oder
in Geometrie; wenn Sie sich für Kombinationsmöglichkeiten mit
anderen Vorlesungen der letzten oder nächsten Semester aus
diesem Bereich interessieren, wenden Sie sich bitte an mich.