Vorlesung im Sommersemester 2000


Logik und Grundlagen der Mathematik

Wolfgang K. Seiler

Ort und Zeit: Montag und Donnerstag, 13.45 - 15.15 Uhr, D7,27, Raum 103


Die Logik ist einerseits ein Teilgebiet der Mathematik, das sich, wenn es etwa um die Boolesche Algebra geht, nur wenig von anderen Teilgebieten unterscheidet; andererseits ist sie auch eines der fundamentalen Werkzeuge der Mathematik.

In der Vorlesung soll zunächst herausgearbeitet werden, wie sich die Grundbegriffe des logischen Schließens durch eine mathematische Theorie beschreiben lassen. Dabei sollen neben der klassischen Aussagenlogik auch Alternativen wie etwa modale Logiken vorgestellt werden sollen. Außerdem geht es um die Wahrheitsdefinitionen von Tarski und von Hintikka.

Ein wesentlicher Teil der Vorlesungen dreht sich um Entscheidbarkeitsprobleme. Hier sind natürlich die Sätze von Gödel, Turing und anderen zu nennen, aber mindestens genauso wichtig sind positive Resultate über algorithmische Entscheidbarkeit, die beispielsweise in der Logikprogrammierung Anwendung finden. Vor allem aber interessieren die Auswirkungen solcher Sätze auf klassische mathematische Probleme. Unentscheidbarkeiten treten etwa auf bei der Frage nach der Existenz einer ganzzahligen Lösung einer Polynomgleichung oder der Gleichheit analytischer Ausdrücke und auch bei der Untersuchung des Langzeitverhaltens von Lösungen einer Differentialgleichung. Algorithmisch entscheidbar sind unter anderem die Euklidische Geometrie sowie ein für das praktische Rechnen interessanter Teil der reellen Zahlen.

Vorläufige Gliederung:

0. Historische Einleitung

a) Die aristotelische Logik

Aussagen, Syllogismen, Grenzen

b) Euklids Elemente

Struktur eines Beweises bei Euklid, die Rolle der Axiome und der Logik

1. Die Sprache der Logik

a) Aussagenlogik

Extensionale Junktoren und ihre Begründung, Wahrheitstafeln, Normalformen als Beweishilfsmittel

b) Prädikatenlogik

Prädikate, Quantoren, Schlußregeln, das Problem der Gleichheit, Prädikatenlogiken höherer Stufe

c) Modelle

Theorien und ihre Modelle, der Tarskische Wahrheitsbegriff, Hintikkas spieltheoretische Semantiken, der Kompaktheitssatz von Hintikka und Nichtstandardmethoden in der Mathematik

d) Modale Logiken

Das Problem der Implikation, Möglichkeit und Notwendigkeit, die Modallogiken T, S4, S5 und ihre semantische Interpretation über mögliche Welten

2. Entscheidungsverfahren

a) Entscheidbarkeit in der Prädikatenlogik erster Stufe

Tableaux, Skolemisierung, Herbrand-Universen, Prolog-Algorithmus

b) Der Satz von Tarski-Seidenberg

Quantorenelimination, berechenbare Zahlen, Entscheidbarkeit algebraischer Gleichungssysteme, Entscheidbarkeit der Elementargeometrie

3. Unentscheidbarkeitsprobleme

a) Der Unentscheidbarkeitssatz von Gödel

Hilberts Programm, der Satz von Gödel, Turings Beweis einer Verallgemeinerung, Chaitins quantitative Version

b) Der Satz von Matiyasevich

Hilberts zehntes Problem, diophantische Gleichungen und Mengen, rekursiv aufzählbare Mengen, jede ist diophantisch, Folgerungen für die Zahlentheorie, "zufällig richtige" mathematische Aussagen

c) Unentscheidbare Probleme der Analysis

Der Satz von Richardson über die Unentscheidbarkeit der Gleichheit zweier reeller Zahlen, Unentscheidbarkeit der elementaren Integrierbarkeit, unentscheidbare Probleme bei Differentialgleichungen, Unentscheidbarkeit der Mandelbrotmenge

4. Grundlagen der Mathematik

a) Mathematische Erkenntnis in Kants Kritik der reinen Vernunft

Transzendentalphilosophie, analytische und synthetische Erkenntnisse, Erkenntnisse a priori und a posteriori, Einordnung mathematischer Erkenntnisse bei Kant, die Hintikka-Parsons-Debatte

b) Die drei Klassiker vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts

Formalismus, Intuitionismus, Logizismus

c) Benaceraffs Dilemma

Schließen Beweisbarkeit und Wahrheit einander aus?

d) Die Quasi-Empirizismus-Debatte in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts

Poppers Ansatz für die Wissenschaftstheorie, Lakatos's Anwendung auf die Mathematik via Beweise und Widerlegungen und die Methodologie von Forschungsprogrammen, Gegenpositionen und Vergleich mit der historischen Entwicklung

e) Braucht Mathematik Grundlagen?

Die These von Putnam und anderen, daß es besser geht ohne.